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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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Vergiß nie, mein Sohn, daß du im Dienste
der Wahrheit und in keines Menschen Dienst
stehest. Die Wahrheit ist Gottes. Professor
Grosvater, so gut ich ihm gleich bin, ist doch
ein Mensch. Von den Kopfhängenden Pieti-
sten, dergleichen es in Königsberg an allen
Ecken der Straßen geben soll, laß dich nicht
verführen. Die Hurer und Ehebrecher wird
Gott richten. Ein Mensch, wie du, muß so
seelenkrank in der Welt seyn! -- Ist das
nicht Jammer und Schade! Doch du wirst
alles gewohnt werden, und Gewohnheit ist
die andre Natur. -- Minchens Anverwandte
in Mitau sind Anverwandte meines Herzens
durch Minens letzten Willen worden. So
lang ich Brod habe, solls ihnen gebrochen
werden. Die guten Alten! Warum solt' ich
ihnen sogleich sagen laßen, daß Minchen todt
wäre? Was die Minchen gesegnet haben! --
Sie braucht euren Segen nicht mehr. Jetzt
wissen sie ihren selgen Tod; denn die Wahr-
heit zu sagen, ich wollte mir diese Pension
von Seegen selbst zuwenden; da hab ich einen
Geitz, der seines Gleichen nicht hat. Sieh!
das ist ein Capitälchen, das in der himmli-
schen Bank ausstehet, wo die Zinsen auf den
Tag fallen. Eile mit Weile. Ein Arzt, der
einen Schaden vorbeugt, ist theurer und wer-

ther,

Vergiß nie, mein Sohn, daß du im Dienſte
der Wahrheit und in keines Menſchen Dienſt
ſteheſt. Die Wahrheit iſt Gottes. Profeſſor
Grosvater, ſo gut ich ihm gleich bin, iſt doch
ein Menſch. Von den Kopfhaͤngenden Pieti-
ſten, dergleichen es in Koͤnigsberg an allen
Ecken der Straßen geben ſoll, laß dich nicht
verfuͤhren. Die Hurer und Ehebrecher wird
Gott richten. Ein Menſch, wie du, muß ſo
ſeelenkrank in der Welt ſeyn! — Iſt das
nicht Jammer und Schade! Doch du wirſt
alles gewohnt werden, und Gewohnheit iſt
die andre Natur. — Minchens Anverwandte
in Mitau ſind Anverwandte meines Herzens
durch Minens letzten Willen worden. So
lang ich Brod habe, ſolls ihnen gebrochen
werden. Die guten Alten! Warum ſolt’ ich
ihnen ſogleich ſagen laßen, daß Minchen todt
waͤre? Was die Minchen geſegnet haben! —
Sie braucht euren Segen nicht mehr. Jetzt
wiſſen ſie ihren ſelgen Tod; denn die Wahr-
heit zu ſagen, ich wollte mir dieſe Penſion
von Seegen ſelbſt zuwenden; da hab ich einen
Geitz, der ſeines Gleichen nicht hat. Sieh!
das iſt ein Capitaͤlchen, das in der himmli-
ſchen Bank ausſtehet, wo die Zinſen auf den
Tag fallen. Eile mit Weile. Ein Arzt, der
einen Schaden vorbeugt, iſt theurer und wer-

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[402/0410] Vergiß nie, mein Sohn, daß du im Dienſte der Wahrheit und in keines Menſchen Dienſt ſteheſt. Die Wahrheit iſt Gottes. Profeſſor Grosvater, ſo gut ich ihm gleich bin, iſt doch ein Menſch. Von den Kopfhaͤngenden Pieti- ſten, dergleichen es in Koͤnigsberg an allen Ecken der Straßen geben ſoll, laß dich nicht verfuͤhren. Die Hurer und Ehebrecher wird Gott richten. Ein Menſch, wie du, muß ſo ſeelenkrank in der Welt ſeyn! — Iſt das nicht Jammer und Schade! Doch du wirſt alles gewohnt werden, und Gewohnheit iſt die andre Natur. — Minchens Anverwandte in Mitau ſind Anverwandte meines Herzens durch Minens letzten Willen worden. So lang ich Brod habe, ſolls ihnen gebrochen werden. Die guten Alten! Warum ſolt’ ich ihnen ſogleich ſagen laßen, daß Minchen todt waͤre? Was die Minchen geſegnet haben! — Sie braucht euren Segen nicht mehr. Jetzt wiſſen ſie ihren ſelgen Tod; denn die Wahr- heit zu ſagen, ich wollte mir dieſe Penſion von Seegen ſelbſt zuwenden; da hab ich einen Geitz, der ſeines Gleichen nicht hat. Sieh! das iſt ein Capitaͤlchen, das in der himmli- ſchen Bank ausſtehet, wo die Zinſen auf den Tag fallen. Eile mit Weile. Ein Arzt, der einen Schaden vorbeugt, iſt theurer und wer- ther,

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/410>, abgerufen am 21.11.2024.