Dank für deinen Blick! Dank für alles! Sieh auf dein Grab; ist es nicht aus Er- kenntlichkeit gut aufgeklopft? Da soll dein Gebein ruhen, sicher vor jedem Sturm- wind, der sich mit unbedeckten Gebeinen neckt, als könnt' er sie lebendig machen! und die frommen Tauben mögen Habichte werden, und unsre junge Küchlein aufhacken, wenn wir dein Gebein nicht ehren, du from- me Mutter! um deinetwillen!
Am Begräbnistage, und noch zwey Tage nach- her, ward in der nemlichen Procession dies Lied abgesungen! und jedesmahl mit einer Rührung, die ihres gleichen nicht hatte. Im- mer als zum erstenmahl.
Der nemliche lettisch gelehrte Sänger hat auch auf meinen Vater einen Sang heraus- gegeben; indessen find ich die gegenwärtige fromme Sonnabends-Empfindung bey wei- tem nicht drin. Naive Tändeley ist dem Volke eigen; indessen ist, was drüber ist, nicht im- mer vom Uebel.
Eine Stelle verdient Mittheilung. Man merkt leicht, daß das Lied aus höherm Chor ist, und daß überhaupt unser Meistersänger das Kunstlose des Volksliedes öfters verfehlt! Wie das zugeht, weiß ich nicht. Mein Va-
ter
Dank fuͤr deinen Blick! Dank fuͤr alles! Sieh auf dein Grab; iſt es nicht aus Er- kenntlichkeit gut aufgeklopft? Da ſoll dein Gebein ruhen, ſicher vor jedem Sturm- wind, der ſich mit unbedeckten Gebeinen neckt, als koͤnnt’ er ſie lebendig machen! und die frommen Tauben moͤgen Habichte werden, und unſre junge Kuͤchlein aufhacken, wenn wir dein Gebein nicht ehren, du from- me Mutter! um deinetwillen!
Am Begraͤbnistage, und noch zwey Tage nach- her, ward in der nemlichen Proceſſion dies Lied abgeſungen! und jedesmahl mit einer Ruͤhrung, die ihres gleichen nicht hatte. Im- mer als zum erſtenmahl.
Der nemliche lettiſch gelehrte Saͤnger hat auch auf meinen Vater einen Sang heraus- gegeben; indeſſen find ich die gegenwaͤrtige fromme Sonnabends-Empfindung bey wei- tem nicht drin. Naive Taͤndeley iſt dem Volke eigen; indeſſen iſt, was druͤber iſt, nicht im- mer vom Uebel.
Eine Stelle verdient Mittheilung. Man merkt leicht, daß das Lied aus hoͤherm Chor iſt, und daß uͤberhaupt unſer Meiſterſaͤnger das Kunſtloſe des Volksliedes oͤfters verfehlt! Wie das zugeht, weiß ich nicht. Mein Va-
ter
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Dank fuͤr deinen Blick! Dank fuͤr alles!
Sieh auf dein Grab; iſt es nicht aus Er-
kenntlichkeit gut aufgeklopft? Da ſoll dein
Gebein ruhen, ſicher vor jedem Sturm-
wind, der ſich mit unbedeckten Gebeinen
neckt, als koͤnnt’ er ſie lebendig machen!
und die frommen Tauben moͤgen Habichte
werden, und unſre junge Kuͤchlein aufhacken,
wenn wir dein Gebein nicht ehren, du from-
me Mutter! um deinetwillen!
Am Begraͤbnistage, und noch zwey Tage nach-
her, ward in der nemlichen Proceſſion dies
Lied abgeſungen! und jedesmahl mit einer
Ruͤhrung, die ihres gleichen nicht hatte. Im-
mer als zum erſtenmahl.
Der nemliche lettiſch gelehrte Saͤnger hat
auch auf meinen Vater einen Sang heraus-
gegeben; indeſſen find ich die gegenwaͤrtige
fromme Sonnabends-Empfindung bey wei-
tem nicht drin. Naive Taͤndeley iſt dem Volke
eigen; indeſſen iſt, was druͤber iſt, nicht im-
mer vom Uebel.
Eine Stelle verdient Mittheilung. Man
merkt leicht, daß das Lied aus hoͤherm Chor
iſt, und daß uͤberhaupt unſer Meiſterſaͤnger
das Kunſtloſe des Volksliedes oͤfters verfehlt!
Wie das zugeht, weiß ich nicht. Mein Va-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/131>, abgerufen am 25.11.2024.
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