jedes Wort aus der Wurzel ziehen -- Mein Vater war ein Prosaist; meine Mutter eine Dichterinn. --
Wenn ein Hahn trähte, dachte meine Mutter an den Hochverrath des Petrus und an ihren eigenen, den sie sich wegen Minen zu Schulden kommen laßen. Der Präposi- tus unter ihren Hähnen, der alle andre überschrie, war ihr ein ehrwürdiges Thier! In den Denkzetteln that sie ihm sogar die Ehre, ihn Superintendent zu nennen. Schade, sagte sie, daß auch er den Auskehrigt noch einmahl auskehrt! -- Nichts konnt es ihr näher legen: wer steht, mag wohl zusehen, daß er nicht falle, als ein Hahn.
Sie konnte keine Uhr schlagen hören, ohne daß sie auffuhr: Kaufet die Zeit aus! sagte sie. Wenn sie wo war, stand sie mit dem Schlage auf; wenn sie wo hingieng, geschah es mit dem Schlage, und dies nicht etwa der Pünktlichkeit wegen, sondern des Vollschla- gens halber. Sie that, als wüßte sie, daß sie mit dem Schlage sterben würde. Ich wollt' auch nicht im ersten oder dritten Vier- tel, oder wenn es halb ist; kalt oder warm, sagte sie, da du aber lau bist, will ich dich ausspeyen. --
Wär'
jedes Wort aus der Wurzel ziehen — Mein Vater war ein Proſaiſt; meine Mutter eine Dichterinn. —
Wenn ein Hahn traͤhte, dachte meine Mutter an den Hochverrath des Petrus und an ihren eigenen, den ſie ſich wegen Minen zu Schulden kommen laßen. Der Praͤpoſi- tus unter ihren Haͤhnen, der alle andre uͤberſchrie, war ihr ein ehrwuͤrdiges Thier! In den Denkzetteln that ſie ihm ſogar die Ehre, ihn Superintendent zu nennen. Schade, ſagte ſie, daß auch er den Auskehrigt noch einmahl auskehrt! — Nichts konnt es ihr naͤher legen: wer ſteht, mag wohl zuſehen, daß er nicht falle, als ein Hahn.
Sie konnte keine Uhr ſchlagen hoͤren, ohne daß ſie auffuhr: Kaufet die Zeit aus! ſagte ſie. Wenn ſie wo war, ſtand ſie mit dem Schlage auf; wenn ſie wo hingieng, geſchah es mit dem Schlage, und dies nicht etwa der Puͤnktlichkeit wegen, ſondern des Vollſchla- gens halber. Sie that, als wuͤßte ſie, daß ſie mit dem Schlage ſterben wuͤrde. Ich wollt’ auch nicht im erſten oder dritten Vier- tel, oder wenn es halb iſt; kalt oder warm, ſagte ſie, da du aber lau biſt, will ich dich ausſpeyen. —
Waͤr’
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jedes Wort aus der Wurzel ziehen — Mein
Vater war ein Proſaiſt; meine Mutter eine
Dichterinn. —
Wenn ein Hahn traͤhte, dachte meine
Mutter an den Hochverrath des Petrus und
an ihren eigenen, den ſie ſich wegen Minen
zu Schulden kommen laßen. Der Praͤpoſi-
tus unter ihren Haͤhnen, der alle andre
uͤberſchrie, war ihr ein ehrwuͤrdiges Thier!
In den Denkzetteln that ſie ihm ſogar die
Ehre, ihn Superintendent zu nennen. Schade,
ſagte ſie, daß auch er den Auskehrigt noch
einmahl auskehrt! — Nichts konnt es ihr
naͤher legen: wer ſteht, mag wohl zuſehen,
daß er nicht falle, als ein Hahn.
Sie konnte keine Uhr ſchlagen hoͤren, ohne
daß ſie auffuhr: Kaufet die Zeit aus! ſagte
ſie. Wenn ſie wo war, ſtand ſie mit dem
Schlage auf; wenn ſie wo hingieng, geſchah
es mit dem Schlage, und dies nicht etwa der
Puͤnktlichkeit wegen, ſondern des Vollſchla-
gens halber. Sie that, als wuͤßte ſie, daß
ſie mit dem Schlage ſterben wuͤrde. Ich
wollt’ auch nicht im erſten oder dritten Vier-
tel, oder wenn es halb iſt; kalt oder warm,
ſagte ſie, da du aber lau biſt, will ich dich
ausſpeyen. —
Waͤr’
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/140>, abgerufen am 26.11.2024.
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