Wär' es nicht gut, fragte sie, lieber Mann! wenn man lieber spräche, wie Mat- thäus, Marcus, Lucas sagt, und nicht, wie sie schreiben. Sagen ist lebendiger Glaube, schreiben todter. Jenes Geist, dies Leib. Mein Vater lächelte. --
Meine Mutter, die gegen Jedermann gerecht war, und die mir in ihrer Textsamm- lung, in ihren Denkzetteln die Lehre gab, die u bey ihrem Strich und die i bey ihrem Punkt (privilegio reali) zu laßen, war eben so gerecht gegen alte Wörter und ihre wohl- hergebrachten Privilegia. Der Wurmstich thut zu ihrer Gültigkeit nichts ab, nichts zu. Luther war ihr Autor Classicus.
Sie liebte sehr Realworte, solche, welche die Sache selbst wären wie sie sich ausdrückte. Donner! Blitz! -- Sturm! -- In dieser Hinsicht war sie mit einigen nicht zufrieden, z. E. mit Geschwind. Es wird kalt, ehe man das Wort zu Ende spricht. Schwind, wie der Wind, wäre besser. Du sollt nicht stehlen, setzte sie hinzu, und wich dem Worte Geschwind aus, um ihren Grundsätzen auf der einen und auf der andern Seite dem Worte keinen Schaden noch Leides zu thun, sondern
allen,
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Waͤr’ es nicht gut, fragte ſie, lieber Mann! wenn man lieber ſpraͤche, wie Mat- thaͤus, Marcus, Lucas ſagt, und nicht, wie ſie ſchreiben. Sagen iſt lebendiger Glaube, ſchreiben todter. Jenes Geiſt, dies Leib. Mein Vater laͤchelte. —
Meine Mutter, die gegen Jedermann gerecht war, und die mir in ihrer Textſamm- lung, in ihren Denkzetteln die Lehre gab, die u bey ihrem Strich und die i bey ihrem Punkt (privilegio reali) zu laßen, war eben ſo gerecht gegen alte Woͤrter und ihre wohl- hergebrachten Privilegia. Der Wurmſtich thut zu ihrer Guͤltigkeit nichts ab, nichts zu. Luther war ihr Autor Claſſicus.
Sie liebte ſehr Realworte, ſolche, welche die Sache ſelbſt waͤren wie ſie ſich ausdruͤckte. Donner! Blitz! — Sturm! — In dieſer Hinſicht war ſie mit einigen nicht zufrieden, z. E. mit Geſchwind. Es wird kalt, ehe man das Wort zu Ende ſpricht. Schwind, wie der Wind, waͤre beſſer. Du ſollt nicht ſtehlen, ſetzte ſie hinzu, und wich dem Worte Geſchwind aus, um ihren Grundſaͤtzen auf der einen und auf der andern Seite dem Worte keinen Schaden noch Leides zu thun, ſondern
allen,
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Waͤr’ es nicht gut, fragte ſie, lieber
Mann! wenn man lieber ſpraͤche, wie Mat-
thaͤus, Marcus, Lucas ſagt, und nicht, wie
ſie ſchreiben. Sagen iſt lebendiger Glaube,
ſchreiben todter. Jenes Geiſt, dies Leib.
Mein Vater laͤchelte. —
Meine Mutter, die gegen Jedermann
gerecht war, und die mir in ihrer Textſamm-
lung, in ihren Denkzetteln die Lehre gab, die
u bey ihrem Strich und die i bey ihrem
Punkt (privilegio reali) zu laßen, war eben
ſo gerecht gegen alte Woͤrter und ihre wohl-
hergebrachten Privilegia. Der Wurmſtich
thut zu ihrer Guͤltigkeit nichts ab, nichts zu.
Luther war ihr Autor Claſſicus.
Sie liebte ſehr Realworte, ſolche, welche
die Sache ſelbſt waͤren wie ſie ſich ausdruͤckte.
Donner! Blitz! — Sturm! — In dieſer
Hinſicht war ſie mit einigen nicht zufrieden,
z. E. mit Geſchwind. Es wird kalt, ehe
man das Wort zu Ende ſpricht. Schwind,
wie der Wind, waͤre beſſer. Du ſollt nicht
ſtehlen, ſetzte ſie hinzu, und wich dem Worte
Geſchwind aus, um ihren Grundſaͤtzen auf
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/141>, abgerufen am 26.11.2024.
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