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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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allen, wärs auch einer Sylbe, förderlich und
dienstlich zu seyn.

Sie gab allen Bäumen zu viel Wasser,
die sie selbst pflanzte. Ueberaus gern sah und
hörte sie regnen.

Ihren Unterricht pflegte sie eine Schöpfe
zu nennen! wollte Gott, setzte sie hinzu, aus
einem Gesundbrunnen, aus einem Brunnen
des Lebens! Nicht jeder kann, so lang wie
er ist, sich in den Bethesda stürzen.

Seht doch jenen Baum, dem die Aeste
brechen. Er hat mehr Kinder, als er tragen
kann! So fromm, wie jene Wittwe das
Scherflein einlegte, so fromm stützte sie die-
sen Baum!

Ein Pastor aus der Gegend, dessen Geiz
grenzenlos war, hatte einem dürftigen Ein-
gepfarrten 10 Thaler Alb. geliehen. "Wo
sind denn die neune
" sagte er zu seinem
Schuldner, da er ihm einen Reichsthaler
zum Anfang abtrug? Das nenn ich, sagte
meine Mutter, eine Spruchspötterey, der-
gleichen sich zehn Freygeister nicht zu Schul-
den kommen lassen; wiewohl sie ob der Bie-
belsprache hielt.

Die Juden sahn meine Mutter wie Win-
kelmann
die Antiquitäten an. Von getauf-

ten

allen, waͤrs auch einer Sylbe, foͤrderlich und
dienſtlich zu ſeyn.

Sie gab allen Baͤumen zu viel Waſſer,
die ſie ſelbſt pflanzte. Ueberaus gern ſah und
hoͤrte ſie regnen.

Ihren Unterricht pflegte ſie eine Schoͤpfe
zu nennen! wollte Gott, ſetzte ſie hinzu, aus
einem Geſundbrunnen, aus einem Brunnen
des Lebens! Nicht jeder kann, ſo lang wie
er iſt, ſich in den Bethesda ſtuͤrzen.

Seht doch jenen Baum, dem die Aeſte
brechen. Er hat mehr Kinder, als er tragen
kann! So fromm, wie jene Wittwe das
Scherflein einlegte, ſo fromm ſtuͤtzte ſie die-
ſen Baum!

Ein Paſtor aus der Gegend, deſſen Geiz
grenzenlos war, hatte einem duͤrftigen Ein-
gepfarrten 10 Thaler Alb. geliehen. „Wo
ſind denn die neune
“ ſagte er zu ſeinem
Schuldner, da er ihm einen Reichsthaler
zum Anfang abtrug? Das nenn ich, ſagte
meine Mutter, eine Spruchſpoͤtterey, der-
gleichen ſich zehn Freygeiſter nicht zu Schul-
den kommen laſſen; wiewohl ſie ob der Bie-
belſprache hielt.

Die Juden ſahn meine Mutter wie Win-
kelmann
die Antiquitaͤten an. Von getauf-

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[136/0142] allen, waͤrs auch einer Sylbe, foͤrderlich und dienſtlich zu ſeyn. Sie gab allen Baͤumen zu viel Waſſer, die ſie ſelbſt pflanzte. Ueberaus gern ſah und hoͤrte ſie regnen. Ihren Unterricht pflegte ſie eine Schoͤpfe zu nennen! wollte Gott, ſetzte ſie hinzu, aus einem Geſundbrunnen, aus einem Brunnen des Lebens! Nicht jeder kann, ſo lang wie er iſt, ſich in den Bethesda ſtuͤrzen. Seht doch jenen Baum, dem die Aeſte brechen. Er hat mehr Kinder, als er tragen kann! So fromm, wie jene Wittwe das Scherflein einlegte, ſo fromm ſtuͤtzte ſie die- ſen Baum! Ein Paſtor aus der Gegend, deſſen Geiz grenzenlos war, hatte einem duͤrftigen Ein- gepfarrten 10 Thaler Alb. geliehen. „Wo ſind denn die neune“ ſagte er zu ſeinem Schuldner, da er ihm einen Reichsthaler zum Anfang abtrug? Das nenn ich, ſagte meine Mutter, eine Spruchſpoͤtterey, der- gleichen ſich zehn Freygeiſter nicht zu Schul- den kommen laſſen; wiewohl ſie ob der Bie- belſprache hielt. Die Juden ſahn meine Mutter wie Win- kelmann die Antiquitaͤten an. Von getauf- ten

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/142>, abgerufen am 26.11.2024.