nicht gleichgültig gegen Minen. Mein Gott! aber wer konnte auch gleichgültig seyn! Wenn ich ihr kaum einen guten Morgen bot, da sie kam, mußt ich sie doch küssen, wenn sie gieng. Viele Menschen lassen die Natur nicht zum Worte. Mine stand so mit der Kunst. Warlich die Natur hat Euch die Liebe gelehrt! -- Laß sie nur Pfefferkraut sammlen, dacht' ich! Was hats zu sagen, wenn es beym Pfefferkraut bleibt. Ich Thö- rin! konnt ich denn nicht bedenken, zu die- ser meiner Zeit, daß du die erst und letzte Geburt einer Dichterin wärst, und daß deine Einbildungskraft kein Stück Kleid bey dem, was es ist, lassen, sondern es in ein himm- lisches Gewand umschaffen würde! Ich, die ich deines Vaters halber hebräisch lernte, ich konnte dies alles nicht bedenken? --
Meine Mutter, obgleich kein Wort ihr Kopfschmerzen machte, und sie Genie im Ausdruck war, trat doch der u und i Ge- rechtigkeits halber meinem Vater in Absicht der Stammworte bey. Diese waren ihr so ehrwürdig, als ihre Ahnherren, die Supe- rintendenten und Präpositi. Sie rieth, sich dran zu halten, um jedem Worte seine Würde und Ehre zu geben. Ohne das ist
alles
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nicht gleichguͤltig gegen Minen. Mein Gott! aber wer konnte auch gleichguͤltig ſeyn! Wenn ich ihr kaum einen guten Morgen bot, da ſie kam, mußt ich ſie doch kuͤſſen, wenn ſie gieng. Viele Menſchen laſſen die Natur nicht zum Worte. Mine ſtand ſo mit der Kunſt. Warlich die Natur hat Euch die Liebe gelehrt! — Laß ſie nur Pfefferkraut ſammlen, dacht’ ich! Was hats zu ſagen, wenn es beym Pfefferkraut bleibt. Ich Thoͤ- rin! konnt ich denn nicht bedenken, zu die- ſer meiner Zeit, daß du die erſt und letzte Geburt einer Dichterin waͤrſt, und daß deine Einbildungskraft kein Stuͤck Kleid bey dem, was es iſt, laſſen, ſondern es in ein himm- liſches Gewand umſchaffen wuͤrde! Ich, die ich deines Vaters halber hebraͤiſch lernte, ich konnte dies alles nicht bedenken? —
Meine Mutter, obgleich kein Wort ihr Kopfſchmerzen machte, und ſie Genie im Ausdruck war, trat doch der u und i Ge- rechtigkeits halber meinem Vater in Abſicht der Stammworte bey. Dieſe waren ihr ſo ehrwuͤrdig, als ihre Ahnherren, die Supe- rintendenten und Praͤpoſiti. Sie rieth, ſich dran zu halten, um jedem Worte ſeine Wuͤrde und Ehre zu geben. Ohne das iſt
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nicht gleichguͤltig gegen Minen. Mein Gott!
aber wer konnte auch gleichguͤltig ſeyn!
Wenn ich ihr kaum einen guten Morgen bot,
da ſie kam, mußt ich ſie doch kuͤſſen, wenn
ſie gieng. Viele Menſchen laſſen die Natur
nicht zum Worte. Mine ſtand ſo mit der
Kunſt. Warlich die Natur hat Euch die
Liebe gelehrt! — Laß ſie nur Pfefferkraut
ſammlen, dacht’ ich! Was hats zu ſagen,
wenn es beym Pfefferkraut bleibt. Ich Thoͤ-
rin! konnt ich denn nicht bedenken, zu die-
ſer meiner Zeit, daß du die erſt und letzte
Geburt einer Dichterin waͤrſt, und daß deine
Einbildungskraft kein Stuͤck Kleid bey dem,
was es iſt, laſſen, ſondern es in ein himm-
liſches Gewand umſchaffen wuͤrde! Ich, die
ich deines Vaters halber hebraͤiſch lernte, ich
konnte dies alles nicht bedenken? —
Meine Mutter, obgleich kein Wort ihr
Kopfſchmerzen machte, und ſie Genie im
Ausdruck war, trat doch der u und i Ge-
rechtigkeits halber meinem Vater in Abſicht
der Stammworte bey. Dieſe waren ihr ſo
ehrwuͤrdig, als ihre Ahnherren, die Supe-
rintendenten und Praͤpoſiti. Sie rieth, ſich
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/153>, abgerufen am 27.11.2024.
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