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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Mit dem Künstler, Meister Herrmann,
sprach er wie Naturmann. Er fragte sich nie:
was werden andere Leute sagen; allein er leb-
te wahrlich so, daß niemand von ihm auch
nicht einst etwas Böses denken konnte, dar-
auf, fügte er hinzu, muß man es anlegen.
Der Schmähsucht entgeht niemand. Selten
wird ein Mann seyn, der so gleichgültig gegen
das Urtel anderer ist, als er war. Um von
gewissen Leuten nicht gelobt zu werden, hätt'
er so gar etwas thun können, das er sonst
nicht würde gethan haben!

Es giebt Krippenreiter in Curland, die es
recht geflissentlich dazu anzulegen, ihre Brü-
der in Versuchung zu führen, ihnen auf die
Zähne zu fühlen; indessen nur alsdann, wenn
die Zähne los sind, stoßen sie sie ihnen aus.
Da hatte einer eine Ohrfeige erhalten und
nichts dagegen vorgenommen, als gefragt:
wie er diese Zweydeutigkeit verstehen sollte?
Das war sehr natürlich unserm v. G -- ein
Stachel im Auge! der Thor! sagt' er. Sieh
den andern, der dich ansieht, wieder an, und
sein Auge sinkt. Ziele nur, der andre wird
wanken, wenn er Herz hat, und sich zurück-
ziehen, wenn er keines hat. Umgekehrt, so
wird ein Vers draus. Auf den Hohn: das

Pul-
L 4

Mit dem Kuͤnſtler, Meiſter Herrmann,
ſprach er wie Naturmann. Er fragte ſich nie:
was werden andere Leute ſagen; allein er leb-
te wahrlich ſo, daß niemand von ihm auch
nicht einſt etwas Boͤſes denken konnte, dar-
auf, fuͤgte er hinzu, muß man es anlegen.
Der Schmaͤhſucht entgeht niemand. Selten
wird ein Mann ſeyn, der ſo gleichguͤltig gegen
das Urtel anderer iſt, als er war. Um von
gewiſſen Leuten nicht gelobt zu werden, haͤtt’
er ſo gar etwas thun koͤnnen, das er ſonſt
nicht wuͤrde gethan haben!

Es giebt Krippenreiter in Curland, die es
recht gefliſſentlich dazu anzulegen, ihre Bruͤ-
der in Verſuchung zu fuͤhren, ihnen auf die
Zaͤhne zu fuͤhlen; indeſſen nur alsdann, wenn
die Zaͤhne los ſind, ſtoßen ſie ſie ihnen aus.
Da hatte einer eine Ohrfeige erhalten und
nichts dagegen vorgenommen, als gefragt:
wie er dieſe Zweydeutigkeit verſtehen ſollte?
Das war ſehr natuͤrlich unſerm v. G — ein
Stachel im Auge! der Thor! ſagt’ er. Sieh
den andern, der dich anſieht, wieder an, und
ſein Auge ſinkt. Ziele nur, der andre wird
wanken, wenn er Herz hat, und ſich zuruͤck-
ziehen, wenn er keines hat. Umgekehrt, ſo
wird ein Vers draus. Auf den Hohn: das

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[167/0173] Mit dem Kuͤnſtler, Meiſter Herrmann, ſprach er wie Naturmann. Er fragte ſich nie: was werden andere Leute ſagen; allein er leb- te wahrlich ſo, daß niemand von ihm auch nicht einſt etwas Boͤſes denken konnte, dar- auf, fuͤgte er hinzu, muß man es anlegen. Der Schmaͤhſucht entgeht niemand. Selten wird ein Mann ſeyn, der ſo gleichguͤltig gegen das Urtel anderer iſt, als er war. Um von gewiſſen Leuten nicht gelobt zu werden, haͤtt’ er ſo gar etwas thun koͤnnen, das er ſonſt nicht wuͤrde gethan haben! Es giebt Krippenreiter in Curland, die es recht gefliſſentlich dazu anzulegen, ihre Bruͤ- der in Verſuchung zu fuͤhren, ihnen auf die Zaͤhne zu fuͤhlen; indeſſen nur alsdann, wenn die Zaͤhne los ſind, ſtoßen ſie ſie ihnen aus. Da hatte einer eine Ohrfeige erhalten und nichts dagegen vorgenommen, als gefragt: wie er dieſe Zweydeutigkeit verſtehen ſollte? Das war ſehr natuͤrlich unſerm v. G — ein Stachel im Auge! der Thor! ſagt’ er. Sieh den andern, der dich anſieht, wieder an, und ſein Auge ſinkt. Ziele nur, der andre wird wanken, wenn er Herz hat, und ſich zuruͤck- ziehen, wenn er keines hat. Umgekehrt, ſo wird ein Vers draus. Auf den Hohn: das Pul- L 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/173>, abgerufen am 26.11.2024.