Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

gesehen, selbst gehört, oder mir von andern
erzählen lassen, was diese andere gesehen und
was sie gehöret. Der hat ein Auge fürs
Vergangene, der fürs Gegenwärtige. Man
sagt: einige hätten es für die Zukunft. Ich
meines Orts habe keinen von der letzten Art
gekannt. Sie, Pastor, sehen das Gegen-
wärtige, als stünd alles vor ihnen --


Wie lange kann es mit uns währen? So
alt, oder älter. Wir sind nicht von dan-
nen, sondern warten auf unseres Leibes Er-
lösung.

So lang ich hoffe, leb ich, so lang ich
seufze, hoff ich. Ich bin der festen Zuver-
sicht, daß mein Tod mich nicht aus der Fas-
sung bringen werde. Jetzt, in diesem Stan-
de der Sünden zu leben, wenn gleich Cur-
land noch hie und da vermöge der herrschen-
den Freyheit mehr Aussicht zum Gnadenrei-
che hat, als ein ander Land, was ists mehr
als Wüsteney? Man stirbt jetzt des Erden-
leidens wegen gern, wenn gleich Krankheit
und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im
Stande der Gnaden wird man gern sterben,
weil bey einer einfachern Lebensart die Krank-

heiten

geſehen, ſelbſt gehoͤrt, oder mir von andern
erzaͤhlen laſſen, was dieſe andere geſehen und
was ſie gehoͤret. Der hat ein Auge fuͤrs
Vergangene, der fuͤrs Gegenwaͤrtige. Man
ſagt: einige haͤtten es fuͤr die Zukunft. Ich
meines Orts habe keinen von der letzten Art
gekannt. Sie, Paſtor, ſehen das Gegen-
waͤrtige, als ſtuͤnd alles vor ihnen —


Wie lange kann es mit uns waͤhren? So
alt, oder aͤlter. Wir ſind nicht von dan-
nen, ſondern warten auf unſeres Leibes Er-
loͤſung.

So lang ich hoffe, leb ich, ſo lang ich
ſeufze, hoff ich. Ich bin der feſten Zuver-
ſicht, daß mein Tod mich nicht aus der Faſ-
ſung bringen werde. Jetzt, in dieſem Stan-
de der Suͤnden zu leben, wenn gleich Cur-
land noch hie und da vermoͤge der herrſchen-
den Freyheit mehr Ausſicht zum Gnadenrei-
che hat, als ein ander Land, was iſts mehr
als Wuͤſteney? Man ſtirbt jetzt des Erden-
leidens wegen gern, wenn gleich Krankheit
und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im
Stande der Gnaden wird man gern ſterben,
weil bey einer einfachern Lebensart die Krank-

heiten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="250"/>
ge&#x017F;ehen, &#x017F;elb&#x017F;t geho&#x0364;rt, oder mir von andern<lb/>
erza&#x0364;hlen la&#x017F;&#x017F;en, was die&#x017F;e andere ge&#x017F;ehen und<lb/>
was &#x017F;ie geho&#x0364;ret. Der hat ein Auge fu&#x0364;rs<lb/>
Vergangene, der fu&#x0364;rs Gegenwa&#x0364;rtige. Man<lb/>
&#x017F;agt: einige ha&#x0364;tten es fu&#x0364;r die Zukunft. Ich<lb/>
meines Orts habe keinen von der letzten Art<lb/>
gekannt. Sie, Pa&#x017F;tor, &#x017F;ehen das Gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtige, als &#x017F;tu&#x0364;nd alles vor ihnen &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wie lange kann es mit uns wa&#x0364;hren? So<lb/>
alt, oder a&#x0364;lter. Wir &#x017F;ind nicht von dan-<lb/>
nen, &#x017F;ondern warten auf un&#x017F;eres Leibes Er-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ung.</p><lb/>
        <p>So lang ich hoffe, leb ich, &#x017F;o lang ich<lb/>
&#x017F;eufze, hoff ich. Ich bin der fe&#x017F;ten Zuver-<lb/>
&#x017F;icht, daß mein Tod mich nicht aus der Fa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung bringen werde. Jetzt, in die&#x017F;em Stan-<lb/>
de der Su&#x0364;nden zu leben, wenn gleich Cur-<lb/>
land noch hie und da vermo&#x0364;ge der herr&#x017F;chen-<lb/>
den Freyheit mehr Aus&#x017F;icht zum Gnadenrei-<lb/>
che hat, als ein ander Land, was i&#x017F;ts mehr<lb/>
als Wu&#x0364;&#x017F;teney? Man &#x017F;tirbt jetzt des Erden-<lb/>
leidens wegen gern, wenn gleich Krankheit<lb/>
und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im<lb/>
Stande der Gnaden wird man gern &#x017F;terben,<lb/>
weil bey einer einfachern Lebensart die Krank-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">heiten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0256] geſehen, ſelbſt gehoͤrt, oder mir von andern erzaͤhlen laſſen, was dieſe andere geſehen und was ſie gehoͤret. Der hat ein Auge fuͤrs Vergangene, der fuͤrs Gegenwaͤrtige. Man ſagt: einige haͤtten es fuͤr die Zukunft. Ich meines Orts habe keinen von der letzten Art gekannt. Sie, Paſtor, ſehen das Gegen- waͤrtige, als ſtuͤnd alles vor ihnen — Wie lange kann es mit uns waͤhren? So alt, oder aͤlter. Wir ſind nicht von dan- nen, ſondern warten auf unſeres Leibes Er- loͤſung. So lang ich hoffe, leb ich, ſo lang ich ſeufze, hoff ich. Ich bin der feſten Zuver- ſicht, daß mein Tod mich nicht aus der Faſ- ſung bringen werde. Jetzt, in dieſem Stan- de der Suͤnden zu leben, wenn gleich Cur- land noch hie und da vermoͤge der herrſchen- den Freyheit mehr Ausſicht zum Gnadenrei- che hat, als ein ander Land, was iſts mehr als Wuͤſteney? Man ſtirbt jetzt des Erden- leidens wegen gern, wenn gleich Krankheit und Schmerzen uns den Tod verbittern. Im Stande der Gnaden wird man gern ſterben, weil bey einer einfachern Lebensart die Krank- heiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/256
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/256>, abgerufen am 27.11.2024.