Thier und Engel! -- Die Seele ist Mittler zwischen Geist und Körper. Mein Geist denkt vernünftig, zusammenhängend allge- meine Wahrheiten; indessen ist mein Geist ein ausgelernter Geist. Kinder zeigen so we- nig von allen diesen Menscheneigenschaften, daß einem jeden klugen Mann bange wird, wenn er sein Kind sieht. Kluger Mann, sag ich, das heißt ein solcher der die wenigste Af- fenliebe hat. Wer hat sie aber nicht? Gemein- hin verzweifelt der Kluge auch in Verhältnis von sich auf den Kleinen: ob je aus dem Kindlein was werden würde, und eben dar- um gerathen so selten die Kinder der Gelehr- ten. In der ersten Jugend wissen sie so viel, daß man gewis glaubt, sie würden eher Ma- gisters werden, als Leibnitz; allein sie blei- ben bald stockstill stehen -- -- Der Herr Vater giebt sie auf --
Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl verwandelt, ehe ich das Bewußtseyn meines ganzen Gewesens erhalte und die Kette über- sehe, welche ich hinauf gieng. Mein Kör- per steht auf. Nichts wird ganz vernichtet. Alles, das geringste Stäubchen nicht ausge- schlossen, ist zu etwas gut! -- Die Vernunft ist ewig! ewig! Sie ist der Sitz des göttli-
chen
Thier und Engel! — Die Seele iſt Mittler zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mein Geiſt denkt vernuͤnftig, zuſammenhaͤngend allge- meine Wahrheiten; indeſſen iſt mein Geiſt ein ausgelernter Geiſt. Kinder zeigen ſo we- nig von allen dieſen Menſcheneigenſchaften, daß einem jeden klugen Mann bange wird, wenn er ſein Kind ſieht. Kluger Mann, ſag ich, das heißt ein ſolcher der die wenigſte Af- fenliebe hat. Wer hat ſie aber nicht? Gemein- hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis von ſich auf den Kleinen: ob je aus dem Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar- um gerathen ſo ſelten die Kinder der Gelehr- ten. In der erſten Jugend wiſſen ſie ſo viel, daß man gewis glaubt, ſie wuͤrden eher Ma- giſters werden, als Leibnitz; allein ſie blei- ben bald ſtockſtill ſtehen — — Der Herr Vater giebt ſie auf —
Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl verwandelt, ehe ich das Bewußtſeyn meines ganzen Geweſens erhalte und die Kette uͤber- ſehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr- per ſteht auf. Nichts wird ganz vernichtet. Alles, das geringſte Staͤubchen nicht ausge- ſchloſſen, iſt zu etwas gut! — Die Vernunft iſt ewig! ewig! Sie iſt der Sitz des goͤttli-
chen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0258"n="252"/>
Thier und Engel! — Die Seele iſt Mittler<lb/>
zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mein Geiſt<lb/>
denkt vernuͤnftig, zuſammenhaͤngend allge-<lb/>
meine Wahrheiten; indeſſen iſt mein Geiſt<lb/>
ein ausgelernter Geiſt. Kinder zeigen ſo we-<lb/>
nig von allen dieſen Menſcheneigenſchaften,<lb/>
daß einem jeden klugen Mann bange wird,<lb/>
wenn er ſein Kind ſieht. Kluger Mann, ſag<lb/><hirendition="#fr">ich,</hi> das heißt ein ſolcher der die wenigſte Af-<lb/>
fenliebe hat. Wer hat ſie aber nicht? Gemein-<lb/>
hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis<lb/>
von ſich auf den Kleinen: ob je aus dem<lb/>
Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar-<lb/>
um gerathen ſo ſelten die Kinder der Gelehr-<lb/>
ten. In der erſten Jugend wiſſen ſie ſo viel,<lb/>
daß man gewis glaubt, ſie wuͤrden eher Ma-<lb/>
giſters werden, als Leibnitz; allein ſie blei-<lb/>
ben bald ſtockſtill ſtehen —— Der Herr<lb/>
Vater giebt ſie auf —</p><lb/><p>Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl<lb/>
verwandelt, ehe ich das Bewußtſeyn meines<lb/>
ganzen <hirendition="#fr">Geweſens</hi> erhalte und die Kette uͤber-<lb/>ſehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr-<lb/>
per ſteht auf. Nichts wird ganz vernichtet.<lb/>
Alles, das geringſte Staͤubchen nicht ausge-<lb/>ſchloſſen, iſt zu etwas gut! — Die Vernunft<lb/>
iſt ewig! ewig! Sie iſt der Sitz des goͤttli-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">chen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[252/0258]
Thier und Engel! — Die Seele iſt Mittler
zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mein Geiſt
denkt vernuͤnftig, zuſammenhaͤngend allge-
meine Wahrheiten; indeſſen iſt mein Geiſt
ein ausgelernter Geiſt. Kinder zeigen ſo we-
nig von allen dieſen Menſcheneigenſchaften,
daß einem jeden klugen Mann bange wird,
wenn er ſein Kind ſieht. Kluger Mann, ſag
ich, das heißt ein ſolcher der die wenigſte Af-
fenliebe hat. Wer hat ſie aber nicht? Gemein-
hin verzweifelt der Kluge auch in Verhaͤltnis
von ſich auf den Kleinen: ob je aus dem
Kindlein was werden wuͤrde, und eben dar-
um gerathen ſo ſelten die Kinder der Gelehr-
ten. In der erſten Jugend wiſſen ſie ſo viel,
daß man gewis glaubt, ſie wuͤrden eher Ma-
giſters werden, als Leibnitz; allein ſie blei-
ben bald ſtockſtill ſtehen — — Der Herr
Vater giebt ſie auf —
Vielleicht werd ich noch ein Paar mahl
verwandelt, ehe ich das Bewußtſeyn meines
ganzen Geweſens erhalte und die Kette uͤber-
ſehe, welche ich hinauf gieng. Mein Koͤr-
per ſteht auf. Nichts wird ganz vernichtet.
Alles, das geringſte Staͤubchen nicht ausge-
ſchloſſen, iſt zu etwas gut! — Die Vernunft
iſt ewig! ewig! Sie iſt der Sitz des goͤttli-
chen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/258>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.