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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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nicht selbst gesehen, hat keine rechte Vorstellung
vom bösem Feinde. Die Ketzer sehen, Gott
seys geklagt! aus, wie wir andere Christen-
menschen. Vom Kopf bis zu Füßen, nicht
einst lassen sie sich den Bart wachsen, wie Ju-
das in den drey Kirchen. Man hat mir er-
zählt, daß unter den Doktorn und Schrift-
gelehrten so gar viele wären, die nicht reiner
Lehre sind; allein hier ist jeder für sich, und
Gott für uns alle. Ich habe mir einen Can-
didaten zeigen lassen, der seine Stimme durch
eine Erkältung verlohren, aber darum geht
ihm kein Dreyer ab. Er steht sich besser, als
wenn er eine Gemeine und eine Stimme hätte.
Er lebt von Predigtmachen so gut, als Einer,
und wenn der Pastor unter den Mennonisten,
den Reformirten, den Katoliken, selbst unter
den Juden, eine Predigt nöthig hat, husch!
ist er mit fertig, und wer sie hört, merkt nicht
auf tausend Meilen, daß ein lutherischer Can-
didat ohne Stimme diese Predigt ausgeheckt.
Der Herr Sohn sagt: der Mann sieht wie die
Toleranz selbst aus, und da war ich noch übler
mit diesem Candidaten dran, wie zuvor;
denn ich fand an ihm kein Abzeichen, ob ich
ihm gleich zehn Straßen nachlief, wenn ich
ihn gehen sah. Was er darüber gedacht hat,

fahr

nicht ſelbſt geſehen, hat keine rechte Vorſtellung
vom boͤſem Feinde. Die Ketzer ſehen, Gott
ſeys geklagt! aus, wie wir andere Chriſten-
menſchen. Vom Kopf bis zu Fuͤßen, nicht
einſt laſſen ſie ſich den Bart wachſen, wie Ju-
das in den drey Kirchen. Man hat mir er-
zaͤhlt, daß unter den Doktorn und Schrift-
gelehrten ſo gar viele waͤren, die nicht reiner
Lehre ſind; allein hier iſt jeder fuͤr ſich, und
Gott fuͤr uns alle. Ich habe mir einen Can-
didaten zeigen laſſen, der ſeine Stimme durch
eine Erkaͤltung verlohren, aber darum geht
ihm kein Dreyer ab. Er ſteht ſich beſſer, als
wenn er eine Gemeine und eine Stimme haͤtte.
Er lebt von Predigtmachen ſo gut, als Einer,
und wenn der Paſtor unter den Mennoniſten,
den Reformirten, den Katoliken, ſelbſt unter
den Juden, eine Predigt noͤthig hat, huſch!
iſt er mit fertig, und wer ſie hoͤrt, merkt nicht
auf tauſend Meilen, daß ein lutheriſcher Can-
didat ohne Stimme dieſe Predigt ausgeheckt.
Der Herr Sohn ſagt: der Mann ſieht wie die
Toleranz ſelbſt aus, und da war ich noch uͤbler
mit dieſem Candidaten dran, wie zuvor;
denn ich fand an ihm kein Abzeichen, ob ich
ihm gleich zehn Straßen nachlief, wenn ich
ihn gehen ſah. Was er daruͤber gedacht hat,

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[283/0289] nicht ſelbſt geſehen, hat keine rechte Vorſtellung vom boͤſem Feinde. Die Ketzer ſehen, Gott ſeys geklagt! aus, wie wir andere Chriſten- menſchen. Vom Kopf bis zu Fuͤßen, nicht einſt laſſen ſie ſich den Bart wachſen, wie Ju- das in den drey Kirchen. Man hat mir er- zaͤhlt, daß unter den Doktorn und Schrift- gelehrten ſo gar viele waͤren, die nicht reiner Lehre ſind; allein hier iſt jeder fuͤr ſich, und Gott fuͤr uns alle. Ich habe mir einen Can- didaten zeigen laſſen, der ſeine Stimme durch eine Erkaͤltung verlohren, aber darum geht ihm kein Dreyer ab. Er ſteht ſich beſſer, als wenn er eine Gemeine und eine Stimme haͤtte. Er lebt von Predigtmachen ſo gut, als Einer, und wenn der Paſtor unter den Mennoniſten, den Reformirten, den Katoliken, ſelbſt unter den Juden, eine Predigt noͤthig hat, huſch! iſt er mit fertig, und wer ſie hoͤrt, merkt nicht auf tauſend Meilen, daß ein lutheriſcher Can- didat ohne Stimme dieſe Predigt ausgeheckt. Der Herr Sohn ſagt: der Mann ſieht wie die Toleranz ſelbſt aus, und da war ich noch uͤbler mit dieſem Candidaten dran, wie zuvor; denn ich fand an ihm kein Abzeichen, ob ich ihm gleich zehn Straßen nachlief, wenn ich ihn gehen ſah. Was er daruͤber gedacht hat, fahr

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/289>, abgerufen am 26.11.2024.