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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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fahr in die nächste Predigt, die er für den
Rabbi macht, welches allhier ein feister Mann
ist, der wie ein Wechsler aussieht und von
Moses kein Haar hat. Die Toleranz sieht
wie der Herr Candidat aus, und der Herr
Candidat, wie ein andrer ehrlicher Mensch.
Was ich mir drüber den Kopf zerbrochen ha-
be! Gestern bemühte sich der Herrn Sohn
dies Wort ins Licht zu stellen, wozu ich ihm
Feurstein und Stahl reichte.

Toleranz heißt: wenn man fünf gerade
seyn läßt, welches doch nicht ist, obgleich wir
an jeder Hand fünf Finger haben. Wo Dul-
dung ist, da ist auch Fortpflanzung, sagt' er,
und was er sagt, ist wie Amen in der Kirche.
Hier zu Land' ist man für beydes, für Fort-
pflanzung und für Toleranz. Die Leute sa-
gen: je mehr Kinder, je mehr Brod. Das
find ich nicht, und was die Toleranz betrift;
so kann ich Ew. WohlEhrwürden versichern,
daß zur heiligen Advents- und Weyhnachts-
zeit von den Chorknaben vor den Häusern der
Juden so wie vor Christen Thüren gesungen
wird "Uns ist gebohren ein Rindelein"
das ist über den Candidaten, den Predigtfa-
brikanten. Ew. WohlEhrwürden können
nicht glauben, wie sonderbar das Lied:

"Uns

fahr in die naͤchſte Predigt, die er fuͤr den
Rabbi macht, welches allhier ein feiſter Mann
iſt, der wie ein Wechsler ausſieht und von
Moſes kein Haar hat. Die Toleranz ſieht
wie der Herr Candidat aus, und der Herr
Candidat, wie ein andrer ehrlicher Menſch.
Was ich mir druͤber den Kopf zerbrochen ha-
be! Geſtern bemuͤhte ſich der Herrn Sohn
dies Wort ins Licht zu ſtellen, wozu ich ihm
Feurſtein und Stahl reichte.

Toleranz heißt: wenn man fuͤnf gerade
ſeyn laͤßt, welches doch nicht iſt, obgleich wir
an jeder Hand fuͤnf Finger haben. Wo Dul-
dung iſt, da iſt auch Fortpflanzung, ſagt’ er,
und was er ſagt, iſt wie Amen in der Kirche.
Hier zu Land’ iſt man fuͤr beydes, fuͤr Fort-
pflanzung und fuͤr Toleranz. Die Leute ſa-
gen: je mehr Kinder, je mehr Brod. Das
find ich nicht, und was die Toleranz betrift;
ſo kann ich Ew. WohlEhrwuͤrden verſichern,
daß zur heiligen Advents- und Weyhnachts-
zeit von den Chorknaben vor den Haͤuſern der
Juden ſo wie vor Chriſten Thuͤren geſungen
wird „Uns iſt gebohren ein Rindelein
das iſt uͤber den Candidaten, den Predigtfa-
brikanten. Ew. WohlEhrwuͤrden koͤnnen
nicht glauben, wie ſonderbar das Lied:

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[284/0290] fahr in die naͤchſte Predigt, die er fuͤr den Rabbi macht, welches allhier ein feiſter Mann iſt, der wie ein Wechsler ausſieht und von Moſes kein Haar hat. Die Toleranz ſieht wie der Herr Candidat aus, und der Herr Candidat, wie ein andrer ehrlicher Menſch. Was ich mir druͤber den Kopf zerbrochen ha- be! Geſtern bemuͤhte ſich der Herrn Sohn dies Wort ins Licht zu ſtellen, wozu ich ihm Feurſtein und Stahl reichte. Toleranz heißt: wenn man fuͤnf gerade ſeyn laͤßt, welches doch nicht iſt, obgleich wir an jeder Hand fuͤnf Finger haben. Wo Dul- dung iſt, da iſt auch Fortpflanzung, ſagt’ er, und was er ſagt, iſt wie Amen in der Kirche. Hier zu Land’ iſt man fuͤr beydes, fuͤr Fort- pflanzung und fuͤr Toleranz. Die Leute ſa- gen: je mehr Kinder, je mehr Brod. Das find ich nicht, und was die Toleranz betrift; ſo kann ich Ew. WohlEhrwuͤrden verſichern, daß zur heiligen Advents- und Weyhnachts- zeit von den Chorknaben vor den Haͤuſern der Juden ſo wie vor Chriſten Thuͤren geſungen wird „Uns iſt gebohren ein Rindelein“ das iſt uͤber den Candidaten, den Predigtfa- brikanten. Ew. WohlEhrwuͤrden koͤnnen nicht glauben, wie ſonderbar das Lied: „Uns

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/290>, abgerufen am 26.11.2024.