wie weit! -- Alles ist noch zu tapfer, anstatt daß es verfeinert seyn sollte. Je roher die Nation, je tapferer der Bürger! -- Je mehr Renomist, je weniger Fleiß!
Aber, fieng ein andrer an, wissen sie auch, daß ein Knäbchen, Milch und Blut im Gesicht (schon wollt ich Angesicht sagen, das gebührt keinem Knäbchen) wissen sie auch, daß ein solches Bürschgen mit aller seiner Wissen- schaft kein Kerl ist? Ich nahm mich diesmal des andern an. Der Nutzen ist beym Ge- schmack nur nebenher, sagt' ich. Sobald der Nutzendurst, eigentlich Hunger, zu merken ist, leb wohl, Geschmack! Fein ist der, der in der Anschauung Vergnügen findet; fest, steif, klug, wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht zu den sichtbaren Geschöpfen gehöret, bedacht ist. Nutzen ist ein Gegenstand des Nachden- kens, Feinheit ist ein Dienst der Sinne. Wenn aber gleich eine silberne Dose weniger gefällt, als eine von zerbrechlichem Porcellain, es sey berlinisch, oder aus Dresden; was meynen Sie, hat man denn immer Zeit, eine Dose zu warten? und ists nicht unangenehm, wenn sie bricht? Hat man denn nicht mehr in der Welt zu thun, als Geschmack und extra feinen Geschmack zu zeigen? Ein Bauer, der seine
milch-
wie weit! — Alles iſt noch zu tapfer, anſtatt daß es verfeinert ſeyn ſollte. Je roher die Nation, je tapferer der Buͤrger! — Je mehr Renomiſt, je weniger Fleiß!
Aber, fieng ein andrer an, wiſſen ſie auch, daß ein Knaͤbchen, Milch und Blut im Geſicht (ſchon wollt ich Angeſicht ſagen, das gebuͤhrt keinem Knaͤbchen) wiſſen ſie auch, daß ein ſolches Buͤrſchgen mit aller ſeiner Wiſſen- ſchaft kein Kerl iſt? Ich nahm mich diesmal des andern an. Der Nutzen iſt beym Ge- ſchmack nur nebenher, ſagt’ ich. Sobald der Nutzendurſt, eigentlich Hunger, zu merken iſt, leb wohl, Geſchmack! Fein iſt der, der in der Anſchauung Vergnuͤgen findet; feſt, ſteif, klug, wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht zu den ſichtbaren Geſchoͤpfen gehoͤret, bedacht iſt. Nutzen iſt ein Gegenſtand des Nachden- kens, Feinheit iſt ein Dienſt der Sinne. Wenn aber gleich eine ſilberne Doſe weniger gefaͤllt, als eine von zerbrechlichem Porcellain, es ſey berliniſch, oder aus Dresden; was meynen Sie, hat man denn immer Zeit, eine Doſe zu warten? und iſts nicht unangenehm, wenn ſie bricht? Hat man denn nicht mehr in der Welt zu thun, als Geſchmack und extra feinen Geſchmack zu zeigen? Ein Bauer, der ſeine
milch-
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wie weit! — Alles iſt noch zu tapfer, anſtatt
daß es verfeinert ſeyn ſollte. Je roher die
Nation, je tapferer der Buͤrger! — Je mehr
Renomiſt, je weniger Fleiß!
Aber, fieng ein andrer an, wiſſen ſie
auch, daß ein Knaͤbchen, Milch und Blut im
Geſicht (ſchon wollt ich Angeſicht ſagen, das
gebuͤhrt keinem Knaͤbchen) wiſſen ſie auch, daß
ein ſolches Buͤrſchgen mit aller ſeiner Wiſſen-
ſchaft kein Kerl iſt? Ich nahm mich diesmal
des andern an. Der Nutzen iſt beym Ge-
ſchmack nur nebenher, ſagt’ ich. Sobald der
Nutzendurſt, eigentlich Hunger, zu merken iſt,
leb wohl, Geſchmack! Fein iſt der, der in der
Anſchauung Vergnuͤgen findet; feſt, ſteif, klug,
wer auf Nutzen, wenn der Nutzen gleich nicht
zu den ſichtbaren Geſchoͤpfen gehoͤret, bedacht
iſt. Nutzen iſt ein Gegenſtand des Nachden-
kens, Feinheit iſt ein Dienſt der Sinne. Wenn
aber gleich eine ſilberne Doſe weniger gefaͤllt,
als eine von zerbrechlichem Porcellain, es ſey
berliniſch, oder aus Dresden; was meynen
Sie, hat man denn immer Zeit, eine Doſe
zu warten? und iſts nicht unangenehm, wenn
ſie bricht? Hat man denn nicht mehr in der
Welt zu thun, als Geſchmack und extra feinen
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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