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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Siehe da! die benachbarte Thür ist verschlos-
sen! und so muß er durch die ganze Kirche,
und alles zeigt ihm mit Fingern nach. Er
hatte nur einen Gulden in seinem ganzen
Hause, und fünf Kinder, die nach Brod
den Mund aufsperrten. Mein zweyter Herr
behauptet, dieser Trostlose hätte mehr gege-
ben, wie sie alle, obgleich er nichts gab. Er
lies sich schnöde mit Fingern nachweisen.
Wenn es doch mit dem Gulden wie mit dem
Oehlkrüglein gienge. Gott gebs --

Hab mir noch einige Knoten ins Schnupf-
tuch gemacht.

Ein armes Weib bekommt drey Kinder,
und hat nur mit genauer Noth ein Hemd-
chen vor ihrer Niederkunft zusammenge-
bracht. Wie das dritte kommt ringt sie die
Hände. Das arme Weib will die beyden
jüngsten nackt taufen laßen! -- Der Pre-
diger gab nichts, als drey Segens und wolte
auch für drey bezahlt seyn. Was aber die
Leute, ohne daß sie Gevattern waren, dem
armen Weibe zugewandt, ist nicht zu beschrei-
ben! Müssen doch noch mehr Gerechte hier
seyn, als in Sodom, wenn gleich man mit
"Uns ist gebohren ein Kindelein" vor

den

Siehe da! die benachbarte Thuͤr iſt verſchloſ-
ſen! und ſo muß er durch die ganze Kirche,
und alles zeigt ihm mit Fingern nach. Er
hatte nur einen Gulden in ſeinem ganzen
Hauſe, und fuͤnf Kinder, die nach Brod
den Mund aufſperrten. Mein zweyter Herr
behauptet, dieſer Troſtloſe haͤtte mehr gege-
ben, wie ſie alle, obgleich er nichts gab. Er
lies ſich ſchnoͤde mit Fingern nachweiſen.
Wenn es doch mit dem Gulden wie mit dem
Oehlkruͤglein gienge. Gott gebs —

Hab mir noch einige Knoten ins Schnupf-
tuch gemacht.

Ein armes Weib bekommt drey Kinder,
und hat nur mit genauer Noth ein Hemd-
chen vor ihrer Niederkunft zuſammenge-
bracht. Wie das dritte kommt ringt ſie die
Haͤnde. Das arme Weib will die beyden
juͤngſten nackt taufen laßen! — Der Pre-
diger gab nichts, als drey Segens und wolte
auch fuͤr drey bezahlt ſeyn. Was aber die
Leute, ohne daß ſie Gevattern waren, dem
armen Weibe zugewandt, iſt nicht zu beſchrei-
ben! Muͤſſen doch noch mehr Gerechte hier
ſeyn, als in Sodom, wenn gleich man mit
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[302/0308] Siehe da! die benachbarte Thuͤr iſt verſchloſ- ſen! und ſo muß er durch die ganze Kirche, und alles zeigt ihm mit Fingern nach. Er hatte nur einen Gulden in ſeinem ganzen Hauſe, und fuͤnf Kinder, die nach Brod den Mund aufſperrten. Mein zweyter Herr behauptet, dieſer Troſtloſe haͤtte mehr gege- ben, wie ſie alle, obgleich er nichts gab. Er lies ſich ſchnoͤde mit Fingern nachweiſen. Wenn es doch mit dem Gulden wie mit dem Oehlkruͤglein gienge. Gott gebs — Hab mir noch einige Knoten ins Schnupf- tuch gemacht. Ein armes Weib bekommt drey Kinder, und hat nur mit genauer Noth ein Hemd- chen vor ihrer Niederkunft zuſammenge- bracht. Wie das dritte kommt ringt ſie die Haͤnde. Das arme Weib will die beyden juͤngſten nackt taufen laßen! — Der Pre- diger gab nichts, als drey Segens und wolte auch fuͤr drey bezahlt ſeyn. Was aber die Leute, ohne daß ſie Gevattern waren, dem armen Weibe zugewandt, iſt nicht zu beſchrei- ben! Muͤſſen doch noch mehr Gerechte hier ſeyn, als in Sodom, wenn gleich man mit „Uns iſt gebohren ein Kindelein„ vor den

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/308>, abgerufen am 25.11.2024.