Trost! Wie konnt' ich ihn aber ohne den ster- ben lassen? Oft wenn er lechzte, wie gern hätt' ich ihm ein Glas Wasser gereicht! konnt ich! -- da lag ich noch ärger, als todt. So etwas, Freunde, wer kann es erzählen? Leset den Homer. Ich bitt Euch! -- ich kann nicht mehr -- --
So viel sey euch noch unverhohlen, daß ich den Sterbenden mit dem Prinzen Will- helm von Braunschweig am meisten aufrich- tete, der ein Schwestersohn König Friedrichs war! Auch Er, sagt ich, starb im Kriege. Eben so wenig unmittelbar. An den Neben- umständen des Krieges starb er, die so wie die Krankheiten ärger, als der Tod, sind. Ich werd' auch als Held auferstehen, sagt er, in einer Nacht. Wie denn anders? antwortete ich, und hatt' eine Thräne in den Augen. Er starb --
Was konnt ich mehr verlieren? Meine beyden Freunde! Mich selbst! Ich lag vier Wochen ohne alle Hofnung! Ists Sünd und Schand, in solcher Lage die Lebensschnur selbst abreißen, die ein Arzt mit solchen un- aussprechlichen Schmerzen anknüpfen will? Hält die Schnur da, wo sie angeknüpft ist am längsten, und ein eisern Band, da wo es
brach,
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Troſt! Wie konnt’ ich ihn aber ohne den ſter- ben laſſen? Oft wenn er lechzte, wie gern haͤtt’ ich ihm ein Glas Waſſer gereicht! konnt ich! — da lag ich noch aͤrger, als todt. So etwas, Freunde, wer kann es erzaͤhlen? Leſet den Homer. Ich bitt Euch! — ich kann nicht mehr — —
So viel ſey euch noch unverhohlen, daß ich den Sterbenden mit dem Prinzen Will- helm von Braunſchweig am meiſten aufrich- tete, der ein Schweſterſohn Koͤnig Friedrichs war! Auch Er, ſagt ich, ſtarb im Kriege. Eben ſo wenig unmittelbar. An den Neben- umſtaͤnden des Krieges ſtarb er, die ſo wie die Krankheiten aͤrger, als der Tod, ſind. Ich werd’ auch als Held auferſtehen, ſagt er, in einer Nacht. Wie denn anders? antwortete ich, und hatt’ eine Thraͤne in den Augen. Er ſtarb —
Was konnt ich mehr verlieren? Meine beyden Freunde! Mich ſelbſt! Ich lag vier Wochen ohne alle Hofnung! Iſts Suͤnd und Schand, in ſolcher Lage die Lebensſchnur ſelbſt abreißen, die ein Arzt mit ſolchen un- ausſprechlichen Schmerzen anknuͤpfen will? Haͤlt die Schnur da, wo ſie angeknuͤpft iſt am laͤngſten, und ein eiſern Band, da wo es
brach,
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Troſt! Wie konnt’ ich ihn aber ohne den ſter-
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haͤtt’ ich ihm ein Glas Waſſer gereicht! konnt
ich! — da lag ich noch aͤrger, als todt. So
etwas, Freunde, wer kann es erzaͤhlen? Leſet
den Homer. Ich bitt Euch! — ich kann nicht
mehr — —
So viel ſey euch noch unverhohlen, daß
ich den Sterbenden mit dem Prinzen Will-
helm von Braunſchweig am meiſten aufrich-
tete, der ein Schweſterſohn Koͤnig Friedrichs
war! Auch Er, ſagt ich, ſtarb im Kriege.
Eben ſo wenig unmittelbar. An den Neben-
umſtaͤnden des Krieges ſtarb er, die ſo wie
die Krankheiten aͤrger, als der Tod, ſind. Ich
werd’ auch als Held auferſtehen, ſagt er, in
einer Nacht. Wie denn anders? antwortete
ich, und hatt’ eine Thraͤne in den Augen. Er
ſtarb —
Was konnt ich mehr verlieren? Meine
beyden Freunde! Mich ſelbſt! Ich lag vier
Wochen ohne alle Hofnung! Iſts Suͤnd und
Schand, in ſolcher Lage die Lebensſchnur
ſelbſt abreißen, die ein Arzt mit ſolchen un-
ausſprechlichen Schmerzen anknuͤpfen will?
Haͤlt die Schnur da, wo ſie angeknuͤpft iſt
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/363>, abgerufen am 22.11.2024.
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