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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Seht einen Haufen Menschen bey einander,
ist es nicht die nemliche Anwandlung? Sie
ist so angreifend nicht; vorhanden ist sie.
Wenn ich schwach bin, bin ich stark, könnte
man hier sagen. Wenn ich allein bin, fürcht
ich mich, falls ich gesund bin, vor keinem.
Junker Gotthard, der sich vor dem Alexander
dem Großen im Bilde fürchtet, macht keinen
Einwand. Frische und gesunde Leute sind so
gar gebohrne Freydenker! -- Ich würde sie
Fleisch- und Biutphilosophen heißen, frische
und gesunde Leute, sag ich; denn; wenn ich
einen Spötter sehe, dessen Körper wie ein zer-
rissenes Kleid aussieht, weiß ich, daß seine
lezten Stunden zu seiner Zeit im Druck er-
scheinen. Wie kommts, daß der Mensch, der
doch die menschliche Schwäche kennt, sich vor
nichts so sehr als Menschen fürchtet? Der
Mensch hat keine natürliche Rüstung und
Waffen, das was außer ihm ist, sich vom
Halse zu halten. Nicht Element, nicht Thier,
kann er allein zwingen, und doch ein Kronprinz
der Ratur. Vereinigt aber steht alles für ei-
nen Mann. Tausend Köpfe, tausend Arme,
sind Ein Kopf Ein Arm! -- Ists Wunder,
daß er blaß wird, wenn er den Feind sieht?
Zwar befindet er sich auch in guter Gesellschaft;

allein
Z 5

Seht einen Haufen Menſchen bey einander,
iſt es nicht die nemliche Anwandlung? Sie
iſt ſo angreifend nicht; vorhanden iſt ſie.
Wenn ich ſchwach bin, bin ich ſtark, koͤnnte
man hier ſagen. Wenn ich allein bin, fuͤrcht
ich mich, falls ich geſund bin, vor keinem.
Junker Gotthard, der ſich vor dem Alexander
dem Großen im Bilde fuͤrchtet, macht keinen
Einwand. Friſche und geſunde Leute ſind ſo
gar gebohrne Freydenker! — Ich wuͤrde ſie
Fleiſch- und Biutphiloſophen heißen, friſche
und geſunde Leute, ſag ich; denn; wenn ich
einen Spoͤtter ſehe, deſſen Koͤrper wie ein zer-
riſſenes Kleid ausſieht, weiß ich, daß ſeine
lezten Stunden zu ſeiner Zeit im Druck er-
ſcheinen. Wie kommts, daß der Menſch, der
doch die menſchliche Schwaͤche kennt, ſich vor
nichts ſo ſehr als Menſchen fuͤrchtet? Der
Menſch hat keine natuͤrliche Ruͤſtung und
Waffen, das was außer ihm iſt, ſich vom
Halſe zu halten. Nicht Element, nicht Thier,
kann er allein zwingen, und doch ein Kronprinz
der Ratur. Vereinigt aber ſteht alles fuͤr ei-
nen Mann. Tauſend Koͤpfe, tauſend Arme,
ſind Ein Kopf Ein Arm! — Iſts Wunder,
daß er blaß wird, wenn er den Feind ſieht?
Zwar befindet er ſich auch in guter Geſellſchaft;

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[361/0369] Seht einen Haufen Menſchen bey einander, iſt es nicht die nemliche Anwandlung? Sie iſt ſo angreifend nicht; vorhanden iſt ſie. Wenn ich ſchwach bin, bin ich ſtark, koͤnnte man hier ſagen. Wenn ich allein bin, fuͤrcht ich mich, falls ich geſund bin, vor keinem. Junker Gotthard, der ſich vor dem Alexander dem Großen im Bilde fuͤrchtet, macht keinen Einwand. Friſche und geſunde Leute ſind ſo gar gebohrne Freydenker! — Ich wuͤrde ſie Fleiſch- und Biutphiloſophen heißen, friſche und geſunde Leute, ſag ich; denn; wenn ich einen Spoͤtter ſehe, deſſen Koͤrper wie ein zer- riſſenes Kleid ausſieht, weiß ich, daß ſeine lezten Stunden zu ſeiner Zeit im Druck er- ſcheinen. Wie kommts, daß der Menſch, der doch die menſchliche Schwaͤche kennt, ſich vor nichts ſo ſehr als Menſchen fuͤrchtet? Der Menſch hat keine natuͤrliche Ruͤſtung und Waffen, das was außer ihm iſt, ſich vom Halſe zu halten. Nicht Element, nicht Thier, kann er allein zwingen, und doch ein Kronprinz der Ratur. Vereinigt aber ſteht alles fuͤr ei- nen Mann. Tauſend Koͤpfe, tauſend Arme, ſind Ein Kopf Ein Arm! — Iſts Wunder, daß er blaß wird, wenn er den Feind ſieht? Zwar befindet er ſich auch in guter Geſellſchaft; allein Z 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/369>, abgerufen am 22.11.2024.