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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Leb wohl, gib dem Kayser, was des Kay-
sers, und Gotte, was Gottes ist. Fürchte
Gott, ehre den König; Lebe wohl! --
Aus einem andern väterlichen Briefe.

Deine Mutter schreibt dir viel und unfehl-
bar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der
ich war. Wenn man einmal in gewißen Jah-
ren ist, hat man sich so ausprobirt, daß man
lange vor Krankheit sicher ist. Da weis man
den verstimmten Clavis über zu springen, da
hält man eine Rede ohne R., wenn man das
r nicht aussprechen kann. So giengs mir;
aber die Jahre traten ein, von denen es heißt:
sie gefallen uns nicht. Das erstemal, daß ich
klage. Stöhnen erleichtert den Schmerz, so
wie der Aufschrey das Schrecken. Was hilft
es, daß du früh aufstehst, und lange sitzest,
und dein Brod ißest mit Sorgen? Seinen
Freunden giebt ers im Schlafe, im Tode. --
Wer nach einer frohen Stunde den Tod schön
finden kann, das ist ein Mann. Leben und
Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im
Tode? Wir legen blos das Kleid ab, das
jedem zu enge ist. Wir glauben vom Tode,
so wie die Jünger von ihrem Herrn und Mei-
ster, er sey ein Gespenst. -- Ueber vierzig

Jahre,
C

Leb wohl, gib dem Kayſer, was des Kay-
ſers, und Gotte, was Gottes iſt. Fuͤrchte
Gott, ehre den Koͤnig; Lebe wohl! —
Aus einem andern vaͤterlichen Briefe.

Deine Mutter ſchreibt dir viel und unfehl-
bar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der
ich war. Wenn man einmal in gewißen Jah-
ren iſt, hat man ſich ſo ausprobirt, daß man
lange vor Krankheit ſicher iſt. Da weis man
den verſtimmten Clavis uͤber zu ſpringen, da
haͤlt man eine Rede ohne R., wenn man das
r nicht ausſprechen kann. So giengs mir;
aber die Jahre traten ein, von denen es heißt:
ſie gefallen uns nicht. Das erſtemal, daß ich
klage. Stoͤhnen erleichtert den Schmerz, ſo
wie der Aufſchrey das Schrecken. Was hilft
es, daß du fruͤh aufſtehſt, und lange ſitzeſt,
und dein Brod ißeſt mit Sorgen? Seinen
Freunden giebt ers im Schlafe, im Tode. —
Wer nach einer frohen Stunde den Tod ſchoͤn
finden kann, das iſt ein Mann. Leben und
Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im
Tode? Wir legen blos das Kleid ab, das
jedem zu enge iſt. Wir glauben vom Tode,
ſo wie die Juͤnger von ihrem Herrn und Mei-
ſter, er ſey ein Geſpenſt. — Ueber vierzig

Jahre,
C
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[33/0039] Leb wohl, gib dem Kayſer, was des Kay- ſers, und Gotte, was Gottes iſt. Fuͤrchte Gott, ehre den Koͤnig; Lebe wohl! — Aus einem andern vaͤterlichen Briefe. Deine Mutter ſchreibt dir viel und unfehl- bar auch von mir. Ich bin nicht mehr, der ich war. Wenn man einmal in gewißen Jah- ren iſt, hat man ſich ſo ausprobirt, daß man lange vor Krankheit ſicher iſt. Da weis man den verſtimmten Clavis uͤber zu ſpringen, da haͤlt man eine Rede ohne R., wenn man das r nicht ausſprechen kann. So giengs mir; aber die Jahre traten ein, von denen es heißt: ſie gefallen uns nicht. Das erſtemal, daß ich klage. Stoͤhnen erleichtert den Schmerz, ſo wie der Aufſchrey das Schrecken. Was hilft es, daß du fruͤh aufſtehſt, und lange ſitzeſt, und dein Brod ißeſt mit Sorgen? Seinen Freunden giebt ers im Schlafe, im Tode. — Wer nach einer frohen Stunde den Tod ſchoͤn finden kann, das iſt ein Mann. Leben und Tod liegt im Gemenge. Was thun wir im Tode? Wir legen blos das Kleid ab, das jedem zu enge iſt. Wir glauben vom Tode, ſo wie die Juͤnger von ihrem Herrn und Mei- ſter, er ſey ein Geſpenſt. — Ueber vierzig Jahre, C

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/39>, abgerufen am 23.11.2024.