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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Gott eilet mit den Seinen,
daß sie so gar meinen ungestimmten unmusi-
kalischen Vater dahin sang, daß er selbst bey
der zwoten Strophe im zweyten Diskant ein-
fiel, wie oben und unten erwehnt worden! --

Da mein Vater nach dem Brande versi-
cherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auf-
trank, sie nicht mehr verzehrt hätte, als er,
und daß kein Lucius Plancius die andre Perle
gerettet; war meine Mutter so Gott ergeben,
daß sie mitten in der Predigt sang, mitten im
Gewitter sanft regnen ließ, und nur eins lag
ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt
hätte, eh ich stürbe!! -- Wie sehr ich meine
Mutter geliebt, ist am Tage, und wenn selbst
mein Tod sie nicht aus dem Lebensconcept
bringen konnte; ich wüßte nicht, was sonst
sie zu unterbrechen im Stande gewesen? --
Nichts, nichts konnte sie scheiden von ihrer
Fassung, nicht Trübsal, nicht Angst, nicht Tod,
nicht Leben! Wahrlich sie kam nie aus der
Melodie, sie hielte Takt, und konnte selbst ihre
Hausgenossen, ihre Corinther, wie sie sie in
ihrem Condolenzschreiben nannt, in Takt und
Melodie setzen. -- Minens Tod indessen brach-
te sie so sehr vom Leben ab, daß sie gern ster-
ben wollte.

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C 5

Gott eilet mit den Seinen,
daß ſie ſo gar meinen ungeſtimmten unmuſi-
kaliſchen Vater dahin ſang, daß er ſelbſt bey
der zwoten Strophe im zweyten Diskant ein-
fiel, wie oben und unten erwehnt worden! —

Da mein Vater nach dem Brande verſi-
cherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auf-
trank, ſie nicht mehr verzehrt haͤtte, als er,
und daß kein Lucius Plancius die andre Perle
gerettet; war meine Mutter ſo Gott ergeben,
daß ſie mitten in der Predigt ſang, mitten im
Gewitter ſanft regnen ließ, und nur eins lag
ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt
haͤtte, eh ich ſtuͤrbe!! — Wie ſehr ich meine
Mutter geliebt, iſt am Tage, und wenn ſelbſt
mein Tod ſie nicht aus dem Lebensconcept
bringen konnte; ich wuͤßte nicht, was ſonſt
ſie zu unterbrechen im Stande geweſen? —
Nichts, nichts konnte ſie ſcheiden von ihrer
Faſſung, nicht Truͤbſal, nicht Angſt, nicht Tod,
nicht Leben! Wahrlich ſie kam nie aus der
Melodie, ſie hielte Takt, und konnte ſelbſt ihre
Hausgenoſſen, ihre Corinther, wie ſie ſie in
ihrem Condolenzſchreiben nannt, in Takt und
Melodie ſetzen. — Minens Tod indeſſen brach-
te ſie ſo ſehr vom Leben ab, daß ſie gern ſter-
ben wollte.

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[41/0047] Gott eilet mit den Seinen, daß ſie ſo gar meinen ungeſtimmten unmuſi- kaliſchen Vater dahin ſang, daß er ſelbſt bey der zwoten Strophe im zweyten Diskant ein- fiel, wie oben und unten erwehnt worden! — Da mein Vater nach dem Brande verſi- cherte, daß, da Cleopatra die eine Perle auf- trank, ſie nicht mehr verzehrt haͤtte, als er, und daß kein Lucius Plancius die andre Perle gerettet; war meine Mutter ſo Gott ergeben, daß ſie mitten in der Predigt ſang, mitten im Gewitter ſanft regnen ließ, und nur eins lag ihr auf dem Herzen, daß ich nicht gepredigt haͤtte, eh ich ſtuͤrbe!! — Wie ſehr ich meine Mutter geliebt, iſt am Tage, und wenn ſelbſt mein Tod ſie nicht aus dem Lebensconcept bringen konnte; ich wuͤßte nicht, was ſonſt ſie zu unterbrechen im Stande geweſen? — Nichts, nichts konnte ſie ſcheiden von ihrer Faſſung, nicht Truͤbſal, nicht Angſt, nicht Tod, nicht Leben! Wahrlich ſie kam nie aus der Melodie, ſie hielte Takt, und konnte ſelbſt ihre Hausgenoſſen, ihre Corinther, wie ſie ſie in ihrem Condolenzſchreiben nannt, in Takt und Melodie ſetzen. — Minens Tod indeſſen brach- te ſie ſo ſehr vom Leben ab, daß ſie gern ſter- ben wollte. O C 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/47>, abgerufen am 21.11.2024.