O des schönen Baums im Garten Gottes! schreibt sie noch in ihrem vorletzten Briefe. Nach ihrem Ableben fühl ich keinen Schlag mehr der herrlichen Na- tur, wovon sonst meine Seele genas! Sie elektrisirt mich nicht weiter. Sie ist mir nicht greiflich. Sie sitzt mir nicht mehr, daß ich sie mahlen kann! Keine Tulpe öfnet mir ihren keuschen Busen, den sie zuschnürt, wenn der Abend sich Freyheiten herausnehmen will. Die Rose lockt mich nicht wonniglich in die Abend- kühle. Wenn ich sonst in den Wind sa- he, war mir, als hätt' ich mich mit kal- tem Wasser erfrischt, jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich ihn sehe! Er macht mir Hitze. Da seh ich die Saat, die sich krümmet, wie das Alter, und sage nicht: sey gesegnet im Namen des Herrn! und dem Baume wünsch ich nicht Glück zur Erziehung seiner neugebohrnen Früh- lings Spröslinge, die ich sonst so gern mit einer Hand voll Wasser zu taufen pflegte! -- Ich verstehe die Linde nicht mehr, wenn sie in der Gegend den Prie- ster vorstellet, wenn sie sich ehrfurchts- voll neiget, das kleine Gesträuch segnet
und
O des ſchoͤnen Baums im Garten Gottes! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich keinen Schlag mehr der herrlichen Na- tur, wovon ſonſt meine Seele genas! Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen, den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe lockt mich nicht wonniglich in die Abend- kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa- he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal- tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht: ſey geſegnet im Namen des Herrn! und dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh- lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern mit einer Hand voll Waſſer zu taufen pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie- ſter vorſtellet, wenn ſie ſich ehrfurchts- voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnet
und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0048"n="42"/><p><hirendition="#fr">O des ſchoͤnen Baums im Garten<lb/>
Gottes</hi>! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten<lb/>
Briefe. <hirendition="#fr">Nach ihrem Ableben fuͤhl ich<lb/>
keinen Schlag mehr der herrlichen Na-<lb/>
tur, wovon ſonſt meine Seele genas!<lb/>
Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt<lb/>
mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht<lb/>
mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine<lb/>
Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen,<lb/>
den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich<lb/>
Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe<lb/>
lockt mich nicht wonniglich in die Abend-<lb/>
kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa-<lb/>
he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal-<lb/>
tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm<lb/>
ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht<lb/>
mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich<lb/>
kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht:<lb/>ſey geſegnet im Namen des Herrn! und<lb/>
dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur<lb/>
Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh-<lb/>
lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern<lb/>
mit einer Hand voll Waſſer zu taufen<lb/>
pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht<lb/>
mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie-<lb/>ſter vorſtellet, wenn ſie ſich ehrfurchts-<lb/>
voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnet</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">und</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[42/0048]
O des ſchoͤnen Baums im Garten
Gottes! ſchreibt ſie noch in ihrem vorletzten
Briefe. Nach ihrem Ableben fuͤhl ich
keinen Schlag mehr der herrlichen Na-
tur, wovon ſonſt meine Seele genas!
Sie elektriſirt mich nicht weiter. Sie iſt
mir nicht greiflich. Sie ſitzt mir nicht
mehr, daß ich ſie mahlen kann! Keine
Tulpe oͤfnet mir ihren keuſchen Buſen,
den ſie zuſchnuͤrt, wenn der Abend ſich
Freyheiten herausnehmen will. Die Roſe
lockt mich nicht wonniglich in die Abend-
kuͤhle. Wenn ich ſonſt in den Wind ſa-
he, war mir, als haͤtt’ ich mich mit kal-
tem Waſſer erfriſcht, jetzt wird mir warm
ums Herz, wenn ich ihn ſehe! Er macht
mir Hitze. Da ſeh ich die Saat, die ſich
kruͤmmet, wie das Alter, und ſage nicht:
ſey geſegnet im Namen des Herrn! und
dem Baume wuͤnſch ich nicht Gluͤck zur
Erziehung ſeiner neugebohrnen Fruͤh-
lings Sproͤslinge, die ich ſonſt ſo gern
mit einer Hand voll Waſſer zu taufen
pflegte! — Ich verſtehe die Linde nicht
mehr, wenn ſie in der Gegend den Prie-
ſter vorſtellet, wenn ſie ſich ehrfurchts-
voll neiget, das kleine Geſtraͤuch ſegnet
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/48>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.