Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

und für selbiges betet. Es rühret mich
nicht mehr, wenn dieses kleine Gesträuch
so rings um die priesterliche Linde steht,
und mit deinem Geiste lispelt, oder
wenn es vielmehr, nach rußischer Art,
mit einem Gospodi pumilu sich bückt.

Wie schwer athme ich den Balsam
des schönen Morgens ein! Ists mir doch
nicht anders, als wenn ich Arzeney ein-
nähme! Wie pflegte mich die Natur lieb
zu haben! wie fest an sich zu drücken! --
Lieb hatt' ich sie wieder! ich weinte oft
für Freuden in ihren mütterlichen Ar-
men! O ich habe eine liebe gute Mutter
verlohren! -- Wenn ich jezt etwas seh,
ists alles ungerathen! eitel! Da ärgert
mich der Baum, der gerade wachsen
könnte, und aus Eitelkeit schief wird,
um sich in dem kleinen Gewässer zu be-
spiegeln, das in einiger Entfernung blin-
ket -- und dort verdrießt mich das elen-
de Kraut, das sich auf der stolz herausge-
wachsenen Wurzel der Eiche niederläßt,
und diesen edlen Baum chikanirt, wie
oft der Pöbel große Männer.

Zwar lieb ich mich abzusondern; al-
lein ich kann nicht ganz allein seyn! das

heißt,

und fuͤr ſelbiges betet. Es ruͤhret mich
nicht mehr, wenn dieſes kleine Geſtraͤuch
ſo rings um die prieſterliche Linde ſteht,
und mit deinem Geiſte lispelt, oder
wenn es vielmehr, nach rußiſcher Art,
mit einem Gospodi pumilu ſich buͤckt.

Wie ſchwer athme ich den Balſam
des ſchoͤnen Morgens ein! Iſts mir doch
nicht anders, als wenn ich Arzeney ein-
naͤhme! Wie pflegte mich die Natur lieb
zu haben! wie feſt an ſich zu druͤcken! —
Lieb hatt’ ich ſie wieder! ich weinte oft
fuͤr Freuden in ihren muͤtterlichen Ar-
men! O ich habe eine liebe gute Mutter
verlohren! — Wenn ich jezt etwas ſeh,
iſts alles ungerathen! eitel! Da aͤrgert
mich der Baum, der gerade wachſen
koͤnnte, und aus Eitelkeit ſchief wird,
um ſich in dem kleinen Gewaͤſſer zu be-
ſpiegeln, das in einiger Entfernung blin-
ket — und dort verdrießt mich das elen-
de Kraut, das ſich auf der ſtolz herausge-
wachſenen Wurzel der Eiche niederlaͤßt,
und dieſen edlen Baum chikanirt, wie
oft der Poͤbel große Maͤnner.

Zwar lieb ich mich abzuſondern; al-
lein ich kann nicht ganz allein ſeyn! das

heißt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0049" n="43"/> <hi rendition="#fr">und fu&#x0364;r &#x017F;elbiges betet. Es ru&#x0364;hret mich<lb/>
nicht mehr, wenn die&#x017F;es kleine Ge&#x017F;tra&#x0364;uch<lb/>
&#x017F;o rings um die prie&#x017F;terliche Linde &#x017F;teht,<lb/><hi rendition="#g">und mit deinem Gei&#x017F;te</hi> lispelt, oder<lb/>
wenn es vielmehr, nach rußi&#x017F;cher Art,<lb/>
mit einem Gospodi pumilu &#x017F;ich bu&#x0364;ckt.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#fr">Wie &#x017F;chwer athme ich den Bal&#x017F;am<lb/>
des &#x017F;cho&#x0364;nen Morgens ein! I&#x017F;ts mir doch<lb/>
nicht anders, als wenn ich Arzeney ein-<lb/>
na&#x0364;hme! Wie pflegte mich die Natur lieb<lb/>
zu haben! wie fe&#x017F;t an &#x017F;ich zu dru&#x0364;cken! &#x2014;<lb/>
Lieb hatt&#x2019; ich &#x017F;ie wieder! ich weinte oft<lb/>
fu&#x0364;r Freuden in ihren mu&#x0364;tterlichen Ar-<lb/>
men! O ich habe eine liebe gute Mutter<lb/>
verlohren! &#x2014; Wenn ich jezt etwas &#x017F;eh,<lb/>
i&#x017F;ts alles ungerathen! eitel! Da a&#x0364;rgert<lb/>
mich der Baum, der gerade wach&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnte, und aus Eitelkeit &#x017F;chief wird,<lb/>
um &#x017F;ich in dem kleinen Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er zu be-<lb/>
&#x017F;piegeln, das in einiger Entfernung blin-<lb/>
ket &#x2014; und dort verdrießt mich das elen-<lb/>
de Kraut, das &#x017F;ich auf der &#x017F;tolz herausge-<lb/>
wach&#x017F;enen Wurzel der Eiche niederla&#x0364;ßt,<lb/>
und die&#x017F;en edlen Baum chikanirt, wie<lb/>
oft der Po&#x0364;bel große Ma&#x0364;nner.</hi> </p><lb/>
        <p> <hi rendition="#fr">Zwar lieb ich mich abzu&#x017F;ondern; al-<lb/>
lein ich kann nicht ganz allein &#x017F;eyn! das</hi><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">heißt,</hi> </fw><lb/>
        </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0049] und fuͤr ſelbiges betet. Es ruͤhret mich nicht mehr, wenn dieſes kleine Geſtraͤuch ſo rings um die prieſterliche Linde ſteht, und mit deinem Geiſte lispelt, oder wenn es vielmehr, nach rußiſcher Art, mit einem Gospodi pumilu ſich buͤckt. Wie ſchwer athme ich den Balſam des ſchoͤnen Morgens ein! Iſts mir doch nicht anders, als wenn ich Arzeney ein- naͤhme! Wie pflegte mich die Natur lieb zu haben! wie feſt an ſich zu druͤcken! — Lieb hatt’ ich ſie wieder! ich weinte oft fuͤr Freuden in ihren muͤtterlichen Ar- men! O ich habe eine liebe gute Mutter verlohren! — Wenn ich jezt etwas ſeh, iſts alles ungerathen! eitel! Da aͤrgert mich der Baum, der gerade wachſen koͤnnte, und aus Eitelkeit ſchief wird, um ſich in dem kleinen Gewaͤſſer zu be- ſpiegeln, das in einiger Entfernung blin- ket — und dort verdrießt mich das elen- de Kraut, das ſich auf der ſtolz herausge- wachſenen Wurzel der Eiche niederlaͤßt, und dieſen edlen Baum chikanirt, wie oft der Poͤbel große Maͤnner. Zwar lieb ich mich abzuſondern; al- lein ich kann nicht ganz allein ſeyn! das heißt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/49
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/49>, abgerufen am 03.12.2024.