drinn, daß die Flucht aus dem Gefängnisse die Strafe nicht vergrössert, die auf den Missethäter wartete, wenn er nicht geflohen wäre. Mit der Desertion ists so eine Sache. Es kömmt alles auf den Contrakt an, den der Soldat eingehet. Unserm waren von den Capitulationspunkten nicht ein einziger gehal- ten, und doch sollt er des Todes sterben. Bit- ter und gesetzt, wie ein Märtyrer, gieng er zum Richtplatz. Die Märtyrer haben alle den Todesgang, als wäre nichts, Welt auf, Welt ab, ihrer werth. -- Die Geistlichen hat- ten sich müde und matt bemüht, unserm Ver- urtelten zu beweisen, daß er alle zehn Gebote, und des D. Luthers Auslegung oben ein, bis auf jedes Comma und Punkt, übertreten hät- te; allein er blieb dabey, er sterbe unschuldig. Nun sagte einer der vornehmsten unter den Ehrwürdigen Herren, so wäre seine Behaup- tung, unschuldig zu seyn, eine Todsünde: denn, setzte er hinzu, wenn wir alles und jedes ge- than haben, was wir zu thun schuldig sind, bleiben wir doch unnütze Knechte, und des Galgens werth. Da der Deserteur aber die- sem Manne, der die Sache beym rechten En- de angegriffen zu haben glaubte, seinen Platz anbot, hieß es, daß sie so nicht gewettet hät-
ten. --
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drinn, daß die Flucht aus dem Gefaͤngniſſe die Strafe nicht vergroͤſſert, die auf den Miſſethaͤter wartete, wenn er nicht geflohen waͤre. Mit der Deſertion iſts ſo eine Sache. Es koͤmmt alles auf den Contrakt an, den der Soldat eingehet. Unſerm waren von den Capitulationspunkten nicht ein einziger gehal- ten, und doch ſollt er des Todes ſterben. Bit- ter und geſetzt, wie ein Maͤrtyrer, gieng er zum Richtplatz. Die Maͤrtyrer haben alle den Todesgang, als waͤre nichts, Welt auf, Welt ab, ihrer werth. — Die Geiſtlichen hat- ten ſich muͤde und matt bemuͤht, unſerm Ver- urtelten zu beweiſen, daß er alle zehn Gebote, und des D. Luthers Auslegung oben ein, bis auf jedes Comma und Punkt, uͤbertreten haͤt- te; allein er blieb dabey, er ſterbe unſchuldig. Nun ſagte einer der vornehmſten unter den Ehrwuͤrdigen Herren, ſo waͤre ſeine Behaup- tung, unſchuldig zu ſeyn, eine Todſuͤnde: denn, ſetzte er hinzu, wenn wir alles und jedes ge- than haben, was wir zu thun ſchuldig ſind, bleiben wir doch unnuͤtze Knechte, und des Galgens werth. Da der Deſerteur aber die- ſem Manne, der die Sache beym rechten En- de angegriffen zu haben glaubte, ſeinen Platz anbot, hieß es, daß ſie ſo nicht gewettet haͤt-
ten. —
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drinn, daß die Flucht aus dem Gefaͤngniſſe
die Strafe nicht vergroͤſſert, die auf den
Miſſethaͤter wartete, wenn er nicht geflohen
waͤre. Mit der Deſertion iſts ſo eine Sache.
Es koͤmmt alles auf den Contrakt an, den der
Soldat eingehet. Unſerm waren von den
Capitulationspunkten nicht ein einziger gehal-
ten, und doch ſollt er des Todes ſterben. Bit-
ter und geſetzt, wie ein Maͤrtyrer, gieng er
zum Richtplatz. Die Maͤrtyrer haben alle
den Todesgang, als waͤre nichts, Welt auf,
Welt ab, ihrer werth. — Die Geiſtlichen hat-
ten ſich muͤde und matt bemuͤht, unſerm Ver-
urtelten zu beweiſen, daß er alle zehn Gebote,
und des D. Luthers Auslegung oben ein, bis
auf jedes Comma und Punkt, uͤbertreten haͤt-
te; allein er blieb dabey, er ſterbe unſchuldig.
Nun ſagte einer der vornehmſten unter den
Ehrwuͤrdigen Herren, ſo waͤre ſeine Behaup-
tung, unſchuldig zu ſeyn, eine Todſuͤnde: denn,
ſetzte er hinzu, wenn wir alles und jedes ge-
than haben, was wir zu thun ſchuldig ſind,
bleiben wir doch unnuͤtze Knechte, und des
Galgens werth. Da der Deſerteur aber die-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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