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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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sein Capitalverbrechen noch eben so, wie zu-
vor, dachte. Der Bettler hatt' ihn an eine
Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar,
fieng er an, war ich in Noth; allein mußt'
ich darum dem armen alten Kerl das Brod
nehmen? Er hatte vor fünf Jahren einem al-
ten Bettler ein Brod genommen. (Um mei-
ne Leser nicht aufzuhalten) der Bettler, dem
unser Läufer begegnete, mochte nun entwe-
der eine Aehnlichkeit haben, mit dem, wel-
chem er das Brod genommen, wie denn alle
Bettler sich gleich sind, oder es mochte das
Gewissen, welches, wie man sagt, auch seine
fünf Sinnen hat, bey dieser Gelegenheit auf
die so alten schon reponirten und bestäubten
Akta gefallen seyn; kurz, dieser kleine Vorfall
brachte ihn zum Bekenntniß, ein armer gros-
ser Sünder zu seyn, und das Leben verwürkt
zu haben. Nicht immer machen dem Men-
schen die schädlichsten gefährlichsten Dinge den
größten Schmerz. Wer ist am Zahnweh ge-
storben, und wer kann diesen Schmerz ohne
zu murren ertragen? Einer der Cameraden,
den dieser Vorfall rührte, bot dem armen
großen Sünder einen Theil von seinem Sol-
de an, um das Gewissen zu stillen, er nannt'
es aus gutem Herzen, dem Gewissen was

zu
D 2

ſein Capitalverbrechen noch eben ſo, wie zu-
vor, dachte. Der Bettler hatt’ ihn an eine
Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar,
fieng er an, war ich in Noth; allein mußt’
ich darum dem armen alten Kerl das Brod
nehmen? Er hatte vor fuͤnf Jahren einem al-
ten Bettler ein Brod genommen. (Um mei-
ne Leſer nicht aufzuhalten) der Bettler, dem
unſer Laͤufer begegnete, mochte nun entwe-
der eine Aehnlichkeit haben, mit dem, wel-
chem er das Brod genommen, wie denn alle
Bettler ſich gleich ſind, oder es mochte das
Gewiſſen, welches, wie man ſagt, auch ſeine
fuͤnf Sinnen hat, bey dieſer Gelegenheit auf
die ſo alten ſchon reponirten und beſtaͤubten
Akta gefallen ſeyn; kurz, dieſer kleine Vorfall
brachte ihn zum Bekenntniß, ein armer groſ-
ſer Suͤnder zu ſeyn, und das Leben verwuͤrkt
zu haben. Nicht immer machen dem Men-
ſchen die ſchaͤdlichſten gefaͤhrlichſten Dinge den
groͤßten Schmerz. Wer iſt am Zahnweh ge-
ſtorben, und wer kann dieſen Schmerz ohne
zu murren ertragen? Einer der Cameraden,
den dieſer Vorfall ruͤhrte, bot dem armen
großen Suͤnder einen Theil von ſeinem Sol-
de an, um das Gewiſſen zu ſtillen, er nannt’
es aus gutem Herzen, dem Gewiſſen was

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[51/0057] ſein Capitalverbrechen noch eben ſo, wie zu- vor, dachte. Der Bettler hatt’ ihn an eine Schuld erinnert, die er mitnahm! Zwar, fieng er an, war ich in Noth; allein mußt’ ich darum dem armen alten Kerl das Brod nehmen? Er hatte vor fuͤnf Jahren einem al- ten Bettler ein Brod genommen. (Um mei- ne Leſer nicht aufzuhalten) der Bettler, dem unſer Laͤufer begegnete, mochte nun entwe- der eine Aehnlichkeit haben, mit dem, wel- chem er das Brod genommen, wie denn alle Bettler ſich gleich ſind, oder es mochte das Gewiſſen, welches, wie man ſagt, auch ſeine fuͤnf Sinnen hat, bey dieſer Gelegenheit auf die ſo alten ſchon reponirten und beſtaͤubten Akta gefallen ſeyn; kurz, dieſer kleine Vorfall brachte ihn zum Bekenntniß, ein armer groſ- ſer Suͤnder zu ſeyn, und das Leben verwuͤrkt zu haben. Nicht immer machen dem Men- ſchen die ſchaͤdlichſten gefaͤhrlichſten Dinge den groͤßten Schmerz. Wer iſt am Zahnweh ge- ſtorben, und wer kann dieſen Schmerz ohne zu murren ertragen? Einer der Cameraden, den dieſer Vorfall ruͤhrte, bot dem armen großen Suͤnder einen Theil von ſeinem Sol- de an, um das Gewiſſen zu ſtillen, er nannt’ es aus gutem Herzen, dem Gewiſſen was zu D 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/57>, abgerufen am 21.11.2024.