Ein dergleichen Commandantenpostchen hatte auch ihr ehemaliger Liebling: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Der Inhalt der liebsten, ja einzigen Gespräche, wa- ren die vier letzten Dinge: Tod, Auferste- hung der Todten, jüngstes Gericht, En- de der Welt. Alle, die sie sonst gekannt hatten, fanden jetzt bey ihr eine so grosse Veränderung, als zwischen Tod und Leben, zwischen Wachen und Schlafen, und sie ver- barg sie auch nicht, wie ehemals, den Na- men Melchisedech. Thür und Thor stand of- fen bey ihm. Jeder sahe den Unterschied, wie Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zu- gegangen; allein alle Augenblick hatte sie ei- nen schweren Namen im Munde. Mein Va- ter wollt' ihr aushelfen; allein sie verbats. Der Tod ist weit schwerer, als diese kauder- welsche Namen, sagte sie, und mein Vater schwieg bedenklich. --
Tertullianus und Theophylactus in Eh- ren, fieng sie an, welche die Paradoxie gehabt, daß die Geschichte vom reichen Mann und ar- men Lazarus, eine bloße Parabel sey; die gu- ten Herren! haben gewiß keine Mine in ihrem Dorfe gehabt, und keinen Sohn, der Minen liebte und keinen Gewißensscrupel Minens
Todes
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Ein dergleichen Commandantenpoſtchen hatte auch ihr ehemaliger Liebling: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Der Inhalt der liebſten, ja einzigen Geſpraͤche, wa- ren die vier letzten Dinge: Tod, Auferſte- hung der Todten, juͤngſtes Gericht, En- de der Welt. Alle, die ſie ſonſt gekannt hatten, fanden jetzt bey ihr eine ſo groſſe Veraͤnderung, als zwiſchen Tod und Leben, zwiſchen Wachen und Schlafen, und ſie ver- barg ſie auch nicht, wie ehemals, den Na- men Melchiſedech. Thuͤr und Thor ſtand of- fen bey ihm. Jeder ſahe den Unterſchied, wie Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zu- gegangen; allein alle Augenblick hatte ſie ei- nen ſchweren Namen im Munde. Mein Va- ter wollt’ ihr aushelfen; allein ſie verbats. Der Tod iſt weit ſchwerer, als dieſe kauder- welſche Namen, ſagte ſie, und mein Vater ſchwieg bedenklich. —
Tertullianus und Theophylactus in Eh- ren, fieng ſie an, welche die Paradoxie gehabt, daß die Geſchichte vom reichen Mann und ar- men Lazarus, eine bloße Parabel ſey; die gu- ten Herren! haben gewiß keine Mine in ihrem Dorfe gehabt, und keinen Sohn, der Minen liebte und keinen Gewißensſcrupel Minens
Todes
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Ein dergleichen Commandantenpoſtchen hatte
auch ihr ehemaliger Liebling: Der Herr hats
gegeben, der Herr hats genommen. Der
Inhalt der liebſten, ja einzigen Geſpraͤche, wa-
ren die vier letzten Dinge: Tod, Auferſte-
hung der Todten, juͤngſtes Gericht, En-
de der Welt. Alle, die ſie ſonſt gekannt
hatten, fanden jetzt bey ihr eine ſo groſſe
Veraͤnderung, als zwiſchen Tod und Leben,
zwiſchen Wachen und Schlafen, und ſie ver-
barg ſie auch nicht, wie ehemals, den Na-
men Melchiſedech. Thuͤr und Thor ſtand of-
fen bey ihm. Jeder ſahe den Unterſchied, wie
Tag und Nacht. Ich weiß nicht, wie es zu-
gegangen; allein alle Augenblick hatte ſie ei-
nen ſchweren Namen im Munde. Mein Va-
ter wollt’ ihr aushelfen; allein ſie verbats.
Der Tod iſt weit ſchwerer, als dieſe kauder-
welſche Namen, ſagte ſie, und mein Vater
ſchwieg bedenklich. —
Tertullianus und Theophylactus in Eh-
ren, fieng ſie an, welche die Paradoxie gehabt,
daß die Geſchichte vom reichen Mann und ar-
men Lazarus, eine bloße Parabel ſey; die gu-
ten Herren! haben gewiß keine Mine in ihrem
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/61>, abgerufen am 16.02.2025.
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