manchen Gewissensknoten zu lösen hatte, ehe sie überwand; geschieht das an meiner Mutter, die Gewissensängste ergriffen; was will am Dürren werden! Wer kann dies zu oft wie- derhohlen? Wer es lieset, der merke drauf! -- Die Krankheit meiner Mutter behinderte sie, ausserhalb ihrem Hause Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam seit dem Handschla- ge nicht mehr aus dem Pastorat; indessen ließ sie ihre geistliche Priesterhände nicht völlig sin- ken. Freylich musten sie zuweilen gestützt werden, wie jenes Priesters, wenn er das Volk segnen sollte; indessen ward sie nicht laß zu strafen, zu lehren und zu trösten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das sich nicht finden konnte, suchte Rath, im Geistlichen und im Leiblichen.
Eine Besondernheit, noch denkwürdiger, als die schweren Worte, womit sie sich bela- stete! Sie hatte das Glück, daß sie einige verborgene Dinge, als z. E Diebstäle, ans Licht brachte, die wie eine Pest im Verborge- nen schlichen. -- Sie sagt' es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo sie anklopfte, da ward aufgethan. -- Ich weiß nicht, schreibt die Prie- sterwittwe, ob die verschiedene denkwürdige Träume die Ursache waren, woher sie die ihr
ver-
manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter, die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie- derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! — Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie, auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen vorzunehmen. Sie kam ſeit dem Handſchla- ge nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin- ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen.
Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger, als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela- ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge- nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie- ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihr
ver-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0076"n="70"/>
manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe<lb/>ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter,<lb/>
die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am<lb/>
Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie-<lb/>
derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! —<lb/>
Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie,<lb/>
auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen<lb/>
vorzunehmen. Sie kam ſeit dem <hirendition="#fr">Handſchla-<lb/>
ge</hi> nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ<lb/>ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin-<lb/>
ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt<lb/>
werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk<lb/>ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu<lb/>ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das<lb/>
einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu<lb/>
ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte<lb/>
Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen.</p><lb/><p>Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger,<lb/>
als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela-<lb/>ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige<lb/>
verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans<lb/>
Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge-<lb/>
nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen<lb/>
auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward<lb/>
aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie-<lb/>ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige<lb/>
Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihr<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ver-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[70/0076]
manchen Gewiſſensknoten zu loͤſen hatte, ehe
ſie uͤberwand; geſchieht das an meiner Mutter,
die Gewiſſensaͤngſte ergriffen; was will am
Duͤrren werden! Wer kann dies zu oft wie-
derhohlen? Wer es lieſet, der merke drauf! —
Die Krankheit meiner Mutter behinderte ſie,
auſſerhalb ihrem Hauſe Amtsverrichtungen
vorzunehmen. Sie kam ſeit dem Handſchla-
ge nicht mehr aus dem Paſtorat; indeſſen ließ
ſie ihre geiſtliche Prieſterhaͤnde nicht voͤllig ſin-
ken. Freylich muſten ſie zuweilen geſtuͤtzt
werden, wie jenes Prieſters, wenn er das Volk
ſegnen ſollte; indeſſen ward ſie nicht laß zu
ſtrafen, zu lehren und zu troͤſten. Jedes, das
einen Stein auf dem Herzen hatte, kam zu
ihr; jedes, das ſich nicht finden konnte, ſuchte
Rath, im Geiſtlichen und im Leiblichen.
Eine Beſondernheit, noch denkwuͤrdiger,
als die ſchweren Worte, womit ſie ſich bela-
ſtete! Sie hatte das Gluͤck, daß ſie einige
verborgene Dinge, als z. E Diebſtaͤle, ans
Licht brachte, die wie eine Peſt im Verborge-
nen ſchlichen. — Sie ſagt’ es dem Schuldigen
auf den Kopf zu. Wo ſie anklopfte, da ward
aufgethan. — Ich weiß nicht, ſchreibt die Prie-
ſterwittwe, ob die verſchiedene denkwuͤrdige
Traͤume die Urſache waren, woher ſie die ihr
ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/76>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.