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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Gedanken dieser Heyrath völlig geopfert zu
haben. Noth, sagte meine Mutter, hält kein
Gebot, wenn ich Ihnen aber Nahrung und
Kleider verspreche; so lang ich lebe! versteht
sich. Herrmann machte Busse und Glauben
durch das gute Werk thätig, Denen zu ent-
sagen. -- Nach der Zeit tröstete sie den Herr-
mann, darf ich mehr bemerken, um an den
Tag zu legen, daß der Tochterlose Herrmann
würklich Reu und Leid über seine Sünden ge-
tragen! Sie hatte ihm alles aufgedeckt, auch
was er an der Curländerin verschuldet. Er
gieng krumm und sehr gebückt; den ganzen
Tag war er traurig. -- Der Tremulant war
sein Hauptzug. Seine größte Strafe, wie
meine Mutter bemerkte, war die Furcht vor
dem Tode; nicht weil es ihm in der Welt ge-
fiel, sondern weil er sich furchte, seinem Wei-
be und Tochter unter die Augen zu kommen.
So war unser Bekannter voll Angst, seinen
Sohn und Charlotten zu sehen.

Eines Tages, da meine Mutter ihn in
tiefster Schwermuth fand, welches sie zwi-
schen eilf und zwölf in der Nacht nannte,
nahm sie ihn bey der Hand: getrost, sagte
sie! Luther lies sich zu seiner Zeit gegen ei-
nen traurigen Organisten so aus: Lieber Ma-

thia,
F 4

Gedanken dieſer Heyrath voͤllig geopfert zu
haben. Noth, ſagte meine Mutter, haͤlt kein
Gebot, wenn ich Ihnen aber Nahrung und
Kleider verſpreche; ſo lang ich lebe! verſteht
ſich. Herrmann machte Buſſe und Glauben
durch das gute Werk thaͤtig, Denen zu ent-
ſagen. — Nach der Zeit troͤſtete ſie den Herr-
mann, darf ich mehr bemerken, um an den
Tag zu legen, daß der Tochterloſe Herrmann
wuͤrklich Reu und Leid uͤber ſeine Suͤnden ge-
tragen! Sie hatte ihm alles aufgedeckt, auch
was er an der Curlaͤnderin verſchuldet. Er
gieng krumm und ſehr gebuͤckt; den ganzen
Tag war er traurig. — Der Tremulant war
ſein Hauptzug. Seine groͤßte Strafe, wie
meine Mutter bemerkte, war die Furcht vor
dem Tode; nicht weil es ihm in der Welt ge-
fiel, ſondern weil er ſich furchte, ſeinem Wei-
be und Tochter unter die Augen zu kommen.
So war unſer Bekannter voll Angſt, ſeinen
Sohn und Charlotten zu ſehen.

Eines Tages, da meine Mutter ihn in
tiefſter Schwermuth fand, welches ſie zwi-
ſchen eilf und zwoͤlf in der Nacht nannte,
nahm ſie ihn bey der Hand: getroſt, ſagte
ſie! Luther lies ſich zu ſeiner Zeit gegen ei-
nen traurigen Organiſten ſo aus: Lieber Ma-

thia,
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[87/0093] Gedanken dieſer Heyrath voͤllig geopfert zu haben. Noth, ſagte meine Mutter, haͤlt kein Gebot, wenn ich Ihnen aber Nahrung und Kleider verſpreche; ſo lang ich lebe! verſteht ſich. Herrmann machte Buſſe und Glauben durch das gute Werk thaͤtig, Denen zu ent- ſagen. — Nach der Zeit troͤſtete ſie den Herr- mann, darf ich mehr bemerken, um an den Tag zu legen, daß der Tochterloſe Herrmann wuͤrklich Reu und Leid uͤber ſeine Suͤnden ge- tragen! Sie hatte ihm alles aufgedeckt, auch was er an der Curlaͤnderin verſchuldet. Er gieng krumm und ſehr gebuͤckt; den ganzen Tag war er traurig. — Der Tremulant war ſein Hauptzug. Seine groͤßte Strafe, wie meine Mutter bemerkte, war die Furcht vor dem Tode; nicht weil es ihm in der Welt ge- fiel, ſondern weil er ſich furchte, ſeinem Wei- be und Tochter unter die Augen zu kommen. So war unſer Bekannter voll Angſt, ſeinen Sohn und Charlotten zu ſehen. Eines Tages, da meine Mutter ihn in tiefſter Schwermuth fand, welches ſie zwi- ſchen eilf und zwoͤlf in der Nacht nannte, nahm ſie ihn bey der Hand: getroſt, ſagte ſie! Luther lies ſich zu ſeiner Zeit gegen ei- nen traurigen Organiſten ſo aus: Lieber Ma- thia, F 4

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/93>, abgerufen am 24.11.2024.