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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Besonders war es, daß meine Mutter
über mich, wie bereits bemerkt worden, auch
keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem
lezten Briefe, den ich extraktsweise meinen
Lesern mitgetheilt, war alles still über mich.
Zuweilen dachte sie meiner im Fluge; wer
kann aber im Fluge treffen? Die Pastor-
wittwe konnt' es nicht. Sieben Tage vor
ihrem Ende, wie diese Krankenwärterin mit
den funfzig Thaler Alb. Pension mir berich-
tet, war der Geist, wie soll ichs nennen? noch
stärker. Kann es nicht heißen, als je? Sie
war in einer wirklichen Extase, wo zuweilen
Funken fielen; allein sie fielen auf kein gut
Land, schreibt die Pastorwittwe, sie zündeten
nirgend. Es war alles so in die Luft. Die
gute Frau hat mir davon eine Probe mitge-
theilt, die ich so wiedergebe, als ich sie em-
pfangen habe. Meine Leser wissen, wie sehr
ich für eigene Worte bin!

Alles, was Othem hat, liebt, und was
keinen hat, möchte gern lieben. Es sehnet
sich nach Liebe. Bein von meinem Bein,
Fleisch von meinem Fleisch. Habt ihr nicht
gemerkt, wie sich manches Gewächs an ein-
ander schlingt, so fest als ein junges Weib
an ihren Gatten, und was sich nicht umschlin-

gen

Beſonders war es, daß meine Mutter
uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch
keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem
lezten Briefe, den ich extraktsweiſe meinen
Leſern mitgetheilt, war alles ſtill uͤber mich.
Zuweilen dachte ſie meiner im Fluge; wer
kann aber im Fluge treffen? Die Paſtor-
wittwe konnt’ es nicht. Sieben Tage vor
ihrem Ende, wie dieſe Krankenwaͤrterin mit
den funfzig Thaler Alb. Penſion mir berich-
tet, war der Geiſt, wie ſoll ichs nennen? noch
ſtaͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie
war in einer wirklichen Extaſe, wo zuweilen
Funken fielen; allein ſie fielen auf kein gut
Land, ſchreibt die Paſtorwittwe, ſie zuͤndeten
nirgend. Es war alles ſo in die Luft. Die
gute Frau hat mir davon eine Probe mitge-
theilt, die ich ſo wiedergebe, als ich ſie em-
pfangen habe. Meine Leſer wiſſen, wie ſehr
ich fuͤr eigene Worte bin!

Alles, was Othem hat, liebt, und was
keinen hat, moͤchte gern lieben. Es ſehnet
ſich nach Liebe. Bein von meinem Bein,
Fleiſch von meinem Fleiſch. Habt ihr nicht
gemerkt, wie ſich manches Gewaͤchs an ein-
ander ſchlingt, ſo feſt als ein junges Weib
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[90/0096] Beſonders war es, daß meine Mutter uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem lezten Briefe, den ich extraktsweiſe meinen Leſern mitgetheilt, war alles ſtill uͤber mich. Zuweilen dachte ſie meiner im Fluge; wer kann aber im Fluge treffen? Die Paſtor- wittwe konnt’ es nicht. Sieben Tage vor ihrem Ende, wie dieſe Krankenwaͤrterin mit den funfzig Thaler Alb. Penſion mir berich- tet, war der Geiſt, wie ſoll ichs nennen? noch ſtaͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie war in einer wirklichen Extaſe, wo zuweilen Funken fielen; allein ſie fielen auf kein gut Land, ſchreibt die Paſtorwittwe, ſie zuͤndeten nirgend. Es war alles ſo in die Luft. Die gute Frau hat mir davon eine Probe mitge- theilt, die ich ſo wiedergebe, als ich ſie em- pfangen habe. Meine Leſer wiſſen, wie ſehr ich fuͤr eigene Worte bin! Alles, was Othem hat, liebt, und was keinen hat, moͤchte gern lieben. Es ſehnet ſich nach Liebe. Bein von meinem Bein, Fleiſch von meinem Fleiſch. Habt ihr nicht gemerkt, wie ſich manches Gewaͤchs an ein- ander ſchlingt, ſo feſt als ein junges Weib an ihren Gatten, und was ſich nicht umſchlin- gen

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/96>, abgerufen am 24.11.2024.