Besonders war es, daß meine Mutter über mich, wie bereits bemerkt worden, auch keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem lezten Briefe, den ich extraktsweise meinen Lesern mitgetheilt, war alles still über mich. Zuweilen dachte sie meiner im Fluge; wer kann aber im Fluge treffen? Die Pastor- wittwe konnt' es nicht. Sieben Tage vor ihrem Ende, wie diese Krankenwärterin mit den funfzig Thaler Alb. Pension mir berich- tet, war der Geist, wie soll ichs nennen? noch stärker. Kann es nicht heißen, als je? Sie war in einer wirklichen Extase, wo zuweilen Funken fielen; allein sie fielen auf kein gut Land, schreibt die Pastorwittwe, sie zündeten nirgend. Es war alles so in die Luft. Die gute Frau hat mir davon eine Probe mitge- theilt, die ich so wiedergebe, als ich sie em- pfangen habe. Meine Leser wissen, wie sehr ich für eigene Worte bin!
Alles, was Othem hat, liebt, und was keinen hat, möchte gern lieben. Es sehnet sich nach Liebe. Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch. Habt ihr nicht gemerkt, wie sich manches Gewächs an ein- ander schlingt, so fest als ein junges Weib an ihren Gatten, und was sich nicht umschlin-
gen
Beſonders war es, daß meine Mutter uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem lezten Briefe, den ich extraktsweiſe meinen Leſern mitgetheilt, war alles ſtill uͤber mich. Zuweilen dachte ſie meiner im Fluge; wer kann aber im Fluge treffen? Die Paſtor- wittwe konnt’ es nicht. Sieben Tage vor ihrem Ende, wie dieſe Krankenwaͤrterin mit den funfzig Thaler Alb. Penſion mir berich- tet, war der Geiſt, wie ſoll ichs nennen? noch ſtaͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie war in einer wirklichen Extaſe, wo zuweilen Funken fielen; allein ſie fielen auf kein gut Land, ſchreibt die Paſtorwittwe, ſie zuͤndeten nirgend. Es war alles ſo in die Luft. Die gute Frau hat mir davon eine Probe mitge- theilt, die ich ſo wiedergebe, als ich ſie em- pfangen habe. Meine Leſer wiſſen, wie ſehr ich fuͤr eigene Worte bin!
Alles, was Othem hat, liebt, und was keinen hat, moͤchte gern lieben. Es ſehnet ſich nach Liebe. Bein von meinem Bein, Fleiſch von meinem Fleiſch. Habt ihr nicht gemerkt, wie ſich manches Gewaͤchs an ein- ander ſchlingt, ſo feſt als ein junges Weib an ihren Gatten, und was ſich nicht umſchlin-
gen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0096"n="90"/><p>Beſonders war es, daß meine Mutter<lb/>
uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch<lb/>
keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem<lb/>
lezten Briefe, den ich extraktsweiſe meinen<lb/>
Leſern mitgetheilt, war alles ſtill uͤber mich.<lb/>
Zuweilen dachte ſie meiner im Fluge; wer<lb/>
kann aber im Fluge treffen? Die Paſtor-<lb/>
wittwe konnt’ es nicht. <hirendition="#fr">Sieben</hi> Tage vor<lb/>
ihrem Ende, wie dieſe Krankenwaͤrterin mit<lb/>
den funfzig Thaler Alb. Penſion mir berich-<lb/>
tet, war der Geiſt, wie ſoll ichs nennen? noch<lb/>ſtaͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie<lb/>
war in einer wirklichen Extaſe, wo zuweilen<lb/>
Funken fielen; allein ſie fielen auf kein gut<lb/>
Land, ſchreibt die Paſtorwittwe, ſie zuͤndeten<lb/>
nirgend. Es war alles ſo in die Luft. Die<lb/>
gute Frau hat mir davon eine Probe mitge-<lb/>
theilt, die ich ſo wiedergebe, als ich ſie em-<lb/>
pfangen habe. Meine Leſer wiſſen, wie ſehr<lb/>
ich fuͤr eigene Worte bin!</p><lb/><p>Alles, was Othem hat, liebt, und was<lb/>
keinen hat, moͤchte gern lieben. Es ſehnet<lb/>ſich nach Liebe. Bein von meinem Bein,<lb/>
Fleiſch von meinem Fleiſch. Habt ihr nicht<lb/>
gemerkt, wie ſich manches Gewaͤchs an ein-<lb/>
ander ſchlingt, ſo feſt als ein junges Weib<lb/>
an ihren Gatten, und was ſich nicht umſchlin-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[90/0096]
Beſonders war es, daß meine Mutter
uͤber mich, wie bereits bemerkt worden, auch
keinen einzigen Laut prophezeyte! Nach ihrem
lezten Briefe, den ich extraktsweiſe meinen
Leſern mitgetheilt, war alles ſtill uͤber mich.
Zuweilen dachte ſie meiner im Fluge; wer
kann aber im Fluge treffen? Die Paſtor-
wittwe konnt’ es nicht. Sieben Tage vor
ihrem Ende, wie dieſe Krankenwaͤrterin mit
den funfzig Thaler Alb. Penſion mir berich-
tet, war der Geiſt, wie ſoll ichs nennen? noch
ſtaͤrker. Kann es nicht heißen, als je? Sie
war in einer wirklichen Extaſe, wo zuweilen
Funken fielen; allein ſie fielen auf kein gut
Land, ſchreibt die Paſtorwittwe, ſie zuͤndeten
nirgend. Es war alles ſo in die Luft. Die
gute Frau hat mir davon eine Probe mitge-
theilt, die ich ſo wiedergebe, als ich ſie em-
pfangen habe. Meine Leſer wiſſen, wie ſehr
ich fuͤr eigene Worte bin!
Alles, was Othem hat, liebt, und was
keinen hat, moͤchte gern lieben. Es ſehnet
ſich nach Liebe. Bein von meinem Bein,
Fleiſch von meinem Fleiſch. Habt ihr nicht
gemerkt, wie ſich manches Gewaͤchs an ein-
ander ſchlingt, ſo feſt als ein junges Weib
an ihren Gatten, und was ſich nicht umſchlin-
gen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/96>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.