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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Wallfart zu meiner Mutter, um alle Umstän-
de, die Minen und mich betrafen, erkundiget.
"Auch Herrmann jährlich funfzig Thaler Alb"
hieß es in ihrem mildthätigen Testamente.
Mir hatte sie ein schwarzes Kleid nebst Kra-
gen und Mantel legiret, wenn ich Prediger
werden würde, welches ich, so unbeträchtlich
der Umstand ist, hier anzumerken nicht er-
mangeln kann! --

Meine Mutter ward von Tage zu Tage
schwächer, der Geist immer noch willig, thä-
tig, kräftig; das Fleisch schwach. Ihre Ein-
bildungskrankheit nahm so zu, daß sie hier
schon wie ein Geist aussahe. Aus der Ge-
schichte mit der Frau v -- b -- ergiebt sich,
daß sie zu Bette gewesen. Sie war würklich
so, daß sie sich nicht auf den Füßen halten
konnte. Seht nur, meine Lieben, sagte sie,
wie sehr ich beweise, daß mein Geist unsterb-
lich ist! Da bin ich, durch den, der mich
mächtig macht, stärker als Sokrates, von
dem so viel gemacht wird, und der doch, wie
man mir erzählt hat, einen Hahn opfern lies,
um seine Religionsgrundsätze zu läugnen. So
muß ein Hahn immer bey der Verleugnung
seyn! Ich lebe auf, indem ich sterbe. Mein
Geist fliegt, indem mein Körper sinkt! --

Beson-
F 5

Wallfart zu meiner Mutter, um alle Umſtaͤn-
de, die Minen und mich betrafen, erkundiget.
„Auch Herrmann jaͤhrlich funfzig Thaler Alb„
hieß es in ihrem mildthaͤtigen Teſtamente.
Mir hatte ſie ein ſchwarzes Kleid nebſt Kra-
gen und Mantel legiret, wenn ich Prediger
werden wuͤrde, welches ich, ſo unbetraͤchtlich
der Umſtand iſt, hier anzumerken nicht er-
mangeln kann! —

Meine Mutter ward von Tage zu Tage
ſchwaͤcher, der Geiſt immer noch willig, thaͤ-
tig, kraͤftig; das Fleiſch ſchwach. Ihre Ein-
bildungskrankheit nahm ſo zu, daß ſie hier
ſchon wie ein Geiſt ausſahe. Aus der Ge-
ſchichte mit der Frau v — b — ergiebt ſich,
daß ſie zu Bette geweſen. Sie war wuͤrklich
ſo, daß ſie ſich nicht auf den Fuͤßen halten
konnte. Seht nur, meine Lieben, ſagte ſie,
wie ſehr ich beweiſe, daß mein Geiſt unſterb-
lich iſt! Da bin ich, durch den, der mich
maͤchtig macht, ſtaͤrker als Sokrates, von
dem ſo viel gemacht wird, und der doch, wie
man mir erzaͤhlt hat, einen Hahn opfern lies,
um ſeine Religionsgrundſaͤtze zu laͤugnen. So
muß ein Hahn immer bey der Verleugnung
ſeyn! Ich lebe auf, indem ich ſterbe. Mein
Geiſt fliegt, indem mein Koͤrper ſinkt! —

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[89/0095] Wallfart zu meiner Mutter, um alle Umſtaͤn- de, die Minen und mich betrafen, erkundiget. „Auch Herrmann jaͤhrlich funfzig Thaler Alb„ hieß es in ihrem mildthaͤtigen Teſtamente. Mir hatte ſie ein ſchwarzes Kleid nebſt Kra- gen und Mantel legiret, wenn ich Prediger werden wuͤrde, welches ich, ſo unbetraͤchtlich der Umſtand iſt, hier anzumerken nicht er- mangeln kann! — Meine Mutter ward von Tage zu Tage ſchwaͤcher, der Geiſt immer noch willig, thaͤ- tig, kraͤftig; das Fleiſch ſchwach. Ihre Ein- bildungskrankheit nahm ſo zu, daß ſie hier ſchon wie ein Geiſt ausſahe. Aus der Ge- ſchichte mit der Frau v — b — ergiebt ſich, daß ſie zu Bette geweſen. Sie war wuͤrklich ſo, daß ſie ſich nicht auf den Fuͤßen halten konnte. Seht nur, meine Lieben, ſagte ſie, wie ſehr ich beweiſe, daß mein Geiſt unſterb- lich iſt! Da bin ich, durch den, der mich maͤchtig macht, ſtaͤrker als Sokrates, von dem ſo viel gemacht wird, und der doch, wie man mir erzaͤhlt hat, einen Hahn opfern lies, um ſeine Religionsgrundſaͤtze zu laͤugnen. So muß ein Hahn immer bey der Verleugnung ſeyn! Ich lebe auf, indem ich ſterbe. Mein Geiſt fliegt, indem mein Koͤrper ſinkt! — Beſon- F 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/95>, abgerufen am 21.11.2024.