Menschheit ist nicht speculirende Vernunft, nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses Etwas, das, wenn es Regierungskunst heisst, eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un- bedenklich unterwirft -- Ein kühler Trunk kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann aber auch ein Gift für den erhitzten Wande- rer werden: Das Schwert, das uns beschützt, wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä- ssigen und von dem höchsten Grade dersel- ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte christliche Freiheit heissen. Und ihre Schu- le? -- ist die Schule der Weiber. -- Wenn Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke, die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent- liche Christen werden, und Selbstrache, Blut- vergiessen, alle Machtsprüche und Machtbe- weise aufopfern sollen; so wähnen sie, dass sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge- schlecht einbüssen -- Es ist schwer Gutes zu wollen und zu thun, wenn das so leicht aus- zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt --
Menschheit ist nicht speculirende Vernunft, nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst, eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un- bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann aber auch ein Gift für den erhitzten Wande- rer werden: Das Schwert, das uns beschützt, wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä- ſsigen und von dem höchsten Grade dersel- ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu- le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke, die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent- liche Christen werden, und Selbstrache, Blut- vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe- weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge- schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu wollen und zu thun, wenn das so leicht aus- zuführende Böse noch obendrein Ehre bringt —
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Menschheit ist nicht speculirende Vernunft,
nicht Philosophie allein, sondern ein gewisses
Etwas, das, wenn es Regierungskunst heiſst,
eine Kunst ist, der die Natur selbst sich un-
bedenklich unterwirft — Ein kühler Trunk
kann Lebensgeister zu der Wohnung, die sie
fast schon verlassen hatten, zurückrufen, kann
aber auch ein Gift für den erhitzten Wande-
rer werden: Das Schwert, das uns beschützt,
wird leicht unser Mordgewehr. Die gebildete
Freiheit, die sich so sehr von der unregelmä-
ſsigen und von dem höchsten Grade dersel-
ben, der Zügellosigkeit, unterscheidet, könnte
christliche Freiheit heiſsen. Und ihre Schu-
le? — ist die Schule der Weiber. — Wenn
Männer mit Verzichtleistung auf ihre Stärke,
die so leicht in Leidenschaft ausartet, eigent-
liche Christen werden, und Selbstrache, Blut-
vergieſsen, alle Machtsprüche und Machtbe-
weise aufopfern sollen; so wähnen sie, daſs
sie bei diesen christlichen Tugenden ihr Ge-
schlecht einbüſsen — Es ist schwer Gutes zu
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/250>, abgerufen am 24.11.2024.
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