bleibt. Wie wär' es möglich, dass das weib- liche Geschlecht, so lang' es im Käficht ein- geschlossen ist, und ein schnödes Vorurtheil seine Flügel lähmt, sich in die höheren Regio- nen aufschwingen sollte? Die Seele pflegt schwach zu seyn, wenn der Leib es ist, und Sklaverei erlaubt ihren Gefesselten keinen Flug eine Spanne hoch über die Erde. Doch zeigten Einige, dass sie Eines Geistes Kinder mit Männern wären; und irre ich mich, oder ist es gewiss, dass sie weniger nach jedem Fünkchen eines fremden Lichtes haschten, um es aufzufangen, als wir? Mit geübterem Ver- stande, mit geschärfterer Empfindung, mit rei- cherer Phantasie, mit festerem Charakter, wer- den sie reifere Früchte bringen, und in dem Felde des Schönen, auf das sie ohnehin schon unleugbare Ansprüche haben, Thaten thun -- werth der Unsterblichkeit. Man klagt nicht ohne Grund: alle Oberideale wären mit dem Heiden- thume verloren gegangen; und da die ins Gro- sse gehende Kunst ohne Ideale nicht bestehen könne, so schiene es, als ob unsere Dichter und Künstler sich nicht über die gemeine und
bleibt. Wie wär’ es möglich, daſs das weib- liche Geschlecht, so lang’ es im Käficht ein- geschlossen ist, und ein schnödes Vorurtheil seine Flügel lähmt, sich in die höheren Regio- nen aufschwingen sollte? Die Seele pflegt schwach zu seyn, wenn der Leib es ist, und Sklaverei erlaubt ihren Gefesselten keinen Flug eine Spanne hoch über die Erde. Doch zeigten Einige, daſs sie Eines Geistes Kinder mit Männern wären; und irre ich mich, oder ist es gewiſs, daſs sie weniger nach jedem Fünkchen eines fremden Lichtes haschten, um es aufzufangen, als wir? Mit geübterem Ver- stande, mit geschärfterer Empfindung, mit rei- cherer Phantasie, mit festerem Charakter, wer- den sie reifere Früchte bringen, und in dem Felde des Schönen, auf das sie ohnehin schon unleugbare Ansprüche haben, Thaten thun — werth der Unsterblichkeit. Man klagt nicht ohne Grund: alle Oberideale wären mit dem Heiden- thume verloren gegangen; und da die ins Gro- ſse gehende Kunst ohne Ideale nicht bestehen könne, so schiene es, als ob unsere Dichter und Künstler sich nicht über die gemeine und
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bleibt. Wie wär’ es möglich, daſs das weib-
liche Geschlecht, so lang’ es im Käficht ein-
geschlossen ist, und ein schnödes Vorurtheil
seine Flügel lähmt, sich in die höheren Regio-
nen aufschwingen sollte? Die Seele pflegt
schwach zu seyn, wenn der Leib es ist, und
Sklaverei erlaubt ihren Gefesselten keinen
Flug eine Spanne hoch über die Erde. Doch
zeigten Einige, daſs sie Eines Geistes Kinder
mit Männern wären; und irre ich mich, oder
ist es gewiſs, daſs sie weniger nach jedem
Fünkchen eines fremden Lichtes haschten, um
es aufzufangen, als wir? Mit geübterem Ver-
stande, mit geschärfterer Empfindung, mit rei-
cherer Phantasie, mit festerem Charakter, wer-
den sie reifere Früchte bringen, und in dem
Felde des Schönen, auf das sie ohnehin schon
unleugbare Ansprüche haben, Thaten thun —
werth der Unsterblichkeit. Man klagt nicht ohne
Grund: alle Oberideale wären mit dem Heiden-
thume verloren gegangen; und da die ins Gro-
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könne, so schiene es, als ob unsere Dichter
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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