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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

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wirkliche Natur zu erheben im Stande wä-
ren. -- Vielleicht ist es dem schönen Ge-
schlechte vorbehalten, sich hier neue Bahnen
zu brechen, und mit neuer verjüngter Einbil-
dungskraft zu schaffen was verloren ging, ohne
dem Segen der grösseren und heilsameren
Wahrheit der christlichen Religion, welche
für alle jene Ideale durch ihren weisen und
beglückenden Einfluss entschädiget, zu nahe
treten zu dürfen.

Unser Geschlecht hat Gelegenheit, so viel
von der Prosa der wirklichen Welt kennen
zu lernen, und dünkt sich, die Wahrheit zu
gestehen, in derselben so gewaltig viel, dass
es nicht umhin kann, der wirklichen Welt,
so herrlich und schön sie auch ist, keinen
poetischen Stoff zuzutrauen. Unzufrieden mit
Menschen, spricht es: "Lasst uns Götter schaf-
fen, ein Bild, das uns gleich und doch Gott
sei!" -- Und da wird? Seht doch, seht! ein
Himmel voll Ganz- und Halbgötter, alle zu-
sammen nicht werth einen einzigen wackern
Kerl abzugeben. An den himmlischen Harem
mag ich gar nicht denken, der gewiss noch

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wirkliche Natur zu erheben im Stande wä-
ren. — Vielleicht ist es dem schönen Ge-
schlechte vorbehalten, sich hier neue Bahnen
zu brechen, und mit neuer verjüngter Einbil-
dungskraft zu schaffen was verloren ging, ohne
dem Segen der gröſseren und heilsameren
Wahrheit der christlichen Religion, welche
für alle jene Ideale durch ihren weisen und
beglückenden Einfluſs entschädiget, zu nahe
treten zu dürfen.

Unser Geschlecht hat Gelegenheit, so viel
von der Prosa der wirklichen Welt kennen
zu lernen, und dünkt sich, die Wahrheit zu
gestehen, in derselben so gewaltig viel, daſs
es nicht umhin kann, der wirklichen Welt,
so herrlich und schön sie auch ist, keinen
poëtischen Stoff zuzutrauen. Unzufrieden mit
Menschen, spricht es: »Laſst uns Götter schaf-
fen, ein Bild, das uns gleich und doch Gott
sei!» — Und da wird? Seht doch, seht! ein
Himmel voll Ganz- und Halbgötter, alle zu-
sammen nicht werth einen einzigen wackern
Kerl abzugeben. An den himmlischen Harem
mag ich gar nicht denken, der gewiſs noch

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[261/0269] wirkliche Natur zu erheben im Stande wä- ren. — Vielleicht ist es dem schönen Ge- schlechte vorbehalten, sich hier neue Bahnen zu brechen, und mit neuer verjüngter Einbil- dungskraft zu schaffen was verloren ging, ohne dem Segen der gröſseren und heilsameren Wahrheit der christlichen Religion, welche für alle jene Ideale durch ihren weisen und beglückenden Einfluſs entschädiget, zu nahe treten zu dürfen. Unser Geschlecht hat Gelegenheit, so viel von der Prosa der wirklichen Welt kennen zu lernen, und dünkt sich, die Wahrheit zu gestehen, in derselben so gewaltig viel, daſs es nicht umhin kann, der wirklichen Welt, so herrlich und schön sie auch ist, keinen poëtischen Stoff zuzutrauen. Unzufrieden mit Menschen, spricht es: »Laſst uns Götter schaf- fen, ein Bild, das uns gleich und doch Gott sei!» — Und da wird? Seht doch, seht! ein Himmel voll Ganz- und Halbgötter, alle zu- sammen nicht werth einen einzigen wackern Kerl abzugeben. An den himmlischen Harem mag ich gar nicht denken, der gewiſs noch R 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/269>, abgerufen am 24.11.2024.