Schminke, und wer der Schönheit wegen schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei- niger Damen unserer verderbten Zeit, die sich weit lieber erkälten, als dem Putze das Mindeste von seinen modischen Rechten ent- ziehen. Will man etwas in seinem ganzen Umfange, in seiner ganzen Stärke geniessen, so entferne man alles Fremdartige, und mache es wie grosse Esser, die, ausser dem Geschmack, den übrigen Sinnen in ihrem Esssaale den Zu- tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht, Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf- ten ihr Vergnügen -- Still essen sie, und Alles hat bei ihnen seine Zeit -- Alles was kolossalisch in's Auge fällt, ist schwächlich. Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus ihnen, als sie von Gottes- und Naturwegen seyn können. Immerhin Gott, nur kein Mensch, hiess es von Höchstseligen Tyrannen -- De- tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist. Der Text muss sich nicht in den Prediger, sondern der Prediger in den Text schicken; und was hilft wissen und wollen, wenn es
Y 4
Schminke, und wer der Schönheit wegen schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei- niger Damen unserer verderbten Zeit, die sich weit lieber erkälten, als dem Putze das Mindeste von seinen modischen Rechten ent- ziehen. Will man etwas in seinem ganzen Umfange, in seiner ganzen Stärke genieſsen, so entferne man alles Fremdartige, und mache es wie groſse Esser, die, auſser dem Geschmack, den übrigen Sinnen in ihrem Eſssaale den Zu- tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht, Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf- ten ihr Vergnügen — Still essen sie, und Alles hat bei ihnen seine Zeit — Alles was kolossalisch in’s Auge fällt, ist schwächlich. Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus ihnen, als sie von Gottes- und Naturwegen seyn können. Immerhin Gott, nur kein Mensch, hieſs es von Höchstseligen Tyrannen — De- tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist. Der Text muſs sich nicht in den Prediger, sondern der Prediger in den Text schicken; und was hilft wissen und wollen, wenn es
Y 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0351"n="343"/>
Schminke, und wer der Schönheit wegen<lb/>
schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei-<lb/>
niger Damen unserer verderbten Zeit, die<lb/>
sich weit lieber erkälten, als dem Putze das<lb/>
Mindeste von seinen modischen Rechten ent-<lb/>
ziehen. Will man etwas in seinem ganzen<lb/>
Umfange, in seiner ganzen <choice><sic>Srärke</sic><corr>Stärke</corr></choice> genieſsen,<lb/>
so entferne man alles Fremdartige, und mache<lb/>
es wie groſse Esser, die, auſser dem Geschmack,<lb/>
den übrigen Sinnen in ihrem Eſssaale den Zu-<lb/>
tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht,<lb/>
Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf-<lb/>
ten ihr Vergnügen — Still essen sie, und<lb/>
Alles hat bei ihnen seine Zeit — Alles was<lb/>
kolossalisch in’s Auge fällt, ist schwächlich.<lb/>
Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus<lb/>
ihnen, als sie von Gottes- und Naturwegen<lb/>
seyn können. <hirendition="#i">Immerhin Gott, nur kein Mensch</hi>,<lb/>
hieſs es von Höchstseligen Tyrannen — De-<lb/>
tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn<lb/>
nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist.<lb/>
Der Text muſs sich nicht in den Prediger,<lb/>
sondern der Prediger in den Text schicken;<lb/>
und was hilft wissen und wollen, wenn es<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 4</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[343/0351]
Schminke, und wer der Schönheit wegen
schreibt, unterwirft sich dem Schicksal ei-
niger Damen unserer verderbten Zeit, die
sich weit lieber erkälten, als dem Putze das
Mindeste von seinen modischen Rechten ent-
ziehen. Will man etwas in seinem ganzen
Umfange, in seiner ganzen Stärke genieſsen,
so entferne man alles Fremdartige, und mache
es wie groſse Esser, die, auſser dem Geschmack,
den übrigen Sinnen in ihrem Eſssaale den Zu-
tritt nicht verstatten. Selbst weite Aussicht,
Tafelmusik, unterhaltende Gespräche entkräf-
ten ihr Vergnügen — Still essen sie, und
Alles hat bei ihnen seine Zeit — Alles was
kolossalisch in’s Auge fällt, ist schwächlich.
Wer Menschen vergöttert, macht weniger aus
ihnen, als sie von Gottes- und Naturwegen
seyn können. Immerhin Gott, nur kein Mensch,
hieſs es von Höchstseligen Tyrannen — De-
tail-Vorschläge geben sich von selbst, wenn
nur der Total-Eindruck unauslöschlich ist.
Der Text muſs sich nicht in den Prediger,
sondern der Prediger in den Text schicken;
und was hilft wissen und wollen, wenn es
Y 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/351>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.