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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Zweyter Abschnitt. Untersuchung des alten
bauet werden sollte, er nicht mehr den Regeln der Symmetrie unterworfen seyn könn-
te. Ganz anders ist es doch mit freyen offenen Plätzen in der Nachbarschaft der Ge-
bäude; ganz anders mit Plätzen, die zu Gärten bestimmt werden. Jene müssen
als freye Plätze, und wegen ihrer Verbindung mit dem Werke der Architektur, wovon
sie gleichsam als fortlaufende oder doch zusammenhängende Theile anzusehen sind, sym-
metrisch abgetheilt und eingerichtet werden; sie mögen außerdem so viel Verzierung
und Pomp annehmen, als der Charakter und die Bestimmung des Gebäudes nur
immer verstattet. Allein Plätze, die zu Gärten bebauet werden, müssen bey dieser
Bestimmung sogleich die Regeln der Architektur verlassen, und sich der freyern Anord-
nung der Natur nähern.

Um noch deutlicher einzusehen, wie weit der Gartenkünstler von dem Architekten
entfernt sey, wie wenig beyde nach einerley Gesetzen arbeiten können, darf man nur
bemerken, daß jener mit der Verschönerung einer Horizontalfläche, dieser mit der Ver-
schönerung einer Verticalfläche sich beschäftigt. Aus dieser offenbaren Verschiedenheit
der Flächen, die jeder von diesen Künstlern bearbeitet, entspringt auch eine Verschie-
denheit ihrer Absichten und Entwürfe. Der Architekt will auf einmal das Auge be-
friedigen, es auf einmal die ganze harmonische Einrichtung seines Werks umfassen
lassen; der Gartenkünstler will nach und nach mit einer allmähligen Fortschreitung
unterhalten. Jener muß seinen Plan so einfach anlegen, daß er ohne Verwirrung,
ohne Mühe sich übersehen läßt; er muß den Theilen gleiche regelmäßige Formen und
Verhältnisse geben, wodurch ihre Zusammenstimmung zu dem Ganzen bald wahrge-
nommen wird. Der Gartenkünstler hingegen, der einer andern Absicht auch einen
andern Entwurf unterordnet, muß seinen Plan zu verbergen suchen, eine gewisse an-
muthige Verwickelung in seine Anlagen bringen, Ungleichheiten und regellose Zu-
fälligkeiten liegen lassen, kurz, so verfahren, daß der Zuschauer nicht auf einmal be-
friedigt, sondern nach und nach beschäftigt und lange unterhalten werde. Durch Re-
gelmäßigkeit und Symmetrie erhält der Architekt die Wirkung, die er suchen soll;
aber auf eben diesem Wege verfehlt der Gartenkünstler diejenige, wornach er streben
soll. Bey der Verschiedenheit der Wirkungen müssen beyde auch von einem verschie-
denen Punkt ausgehen. Der Gartenkünstler arbeitet am glücklichsten, wenn er fast
überall das Gegentheil von dem thut, was der Baumeister beobachtet.

Auch hat er ein ganz anderes Vorbild, als der Architekt, das Vorbild der
Natur in ihren schönsten Gegenden, das ihm zur Anleitung dient. Die Natur ord-
net alle Gegenstände in der Landschaft mit Freyheit und Ungezwungenheit an. Keine
symmetrische Gleichheit, keine künstliche Abzirkelung, keine Einförmigkeit im Um-
fang, in Gestalt und Bildung der Tiefen, Anhöhen und Ebenen, der Pflanzen,

Blumen,

Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten
bauet werden ſollte, er nicht mehr den Regeln der Symmetrie unterworfen ſeyn koͤnn-
te. Ganz anders iſt es doch mit freyen offenen Plaͤtzen in der Nachbarſchaft der Ge-
baͤude; ganz anders mit Plaͤtzen, die zu Gaͤrten beſtimmt werden. Jene muͤſſen
als freye Plaͤtze, und wegen ihrer Verbindung mit dem Werke der Architektur, wovon
ſie gleichſam als fortlaufende oder doch zuſammenhaͤngende Theile anzuſehen ſind, ſym-
metriſch abgetheilt und eingerichtet werden; ſie moͤgen außerdem ſo viel Verzierung
und Pomp annehmen, als der Charakter und die Beſtimmung des Gebaͤudes nur
immer verſtattet. Allein Plaͤtze, die zu Gaͤrten bebauet werden, muͤſſen bey dieſer
Beſtimmung ſogleich die Regeln der Architektur verlaſſen, und ſich der freyern Anord-
nung der Natur naͤhern.

Um noch deutlicher einzuſehen, wie weit der Gartenkuͤnſtler von dem Architekten
entfernt ſey, wie wenig beyde nach einerley Geſetzen arbeiten koͤnnen, darf man nur
bemerken, daß jener mit der Verſchoͤnerung einer Horizontalflaͤche, dieſer mit der Ver-
ſchoͤnerung einer Verticalflaͤche ſich beſchaͤftigt. Aus dieſer offenbaren Verſchiedenheit
der Flaͤchen, die jeder von dieſen Kuͤnſtlern bearbeitet, entſpringt auch eine Verſchie-
denheit ihrer Abſichten und Entwuͤrfe. Der Architekt will auf einmal das Auge be-
friedigen, es auf einmal die ganze harmoniſche Einrichtung ſeines Werks umfaſſen
laſſen; der Gartenkuͤnſtler will nach und nach mit einer allmaͤhligen Fortſchreitung
unterhalten. Jener muß ſeinen Plan ſo einfach anlegen, daß er ohne Verwirrung,
ohne Muͤhe ſich uͤberſehen laͤßt; er muß den Theilen gleiche regelmaͤßige Formen und
Verhaͤltniſſe geben, wodurch ihre Zuſammenſtimmung zu dem Ganzen bald wahrge-
nommen wird. Der Gartenkuͤnſtler hingegen, der einer andern Abſicht auch einen
andern Entwurf unterordnet, muß ſeinen Plan zu verbergen ſuchen, eine gewiſſe an-
muthige Verwickelung in ſeine Anlagen bringen, Ungleichheiten und regelloſe Zu-
faͤlligkeiten liegen laſſen, kurz, ſo verfahren, daß der Zuſchauer nicht auf einmal be-
friedigt, ſondern nach und nach beſchaͤftigt und lange unterhalten werde. Durch Re-
gelmaͤßigkeit und Symmetrie erhaͤlt der Architekt die Wirkung, die er ſuchen ſoll;
aber auf eben dieſem Wege verfehlt der Gartenkuͤnſtler diejenige, wornach er ſtreben
ſoll. Bey der Verſchiedenheit der Wirkungen muͤſſen beyde auch von einem verſchie-
denen Punkt ausgehen. Der Gartenkuͤnſtler arbeitet am gluͤcklichſten, wenn er faſt
uͤberall das Gegentheil von dem thut, was der Baumeiſter beobachtet.

Auch hat er ein ganz anderes Vorbild, als der Architekt, das Vorbild der
Natur in ihren ſchoͤnſten Gegenden, das ihm zur Anleitung dient. Die Natur ord-
net alle Gegenſtaͤnde in der Landſchaft mit Freyheit und Ungezwungenheit an. Keine
ſymmetriſche Gleichheit, keine kuͤnſtliche Abzirkelung, keine Einfoͤrmigkeit im Um-
fang, in Geſtalt und Bildung der Tiefen, Anhoͤhen und Ebenen, der Pflanzen,

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[138/0152] Zweyter Abſchnitt. Unterſuchung des alten bauet werden ſollte, er nicht mehr den Regeln der Symmetrie unterworfen ſeyn koͤnn- te. Ganz anders iſt es doch mit freyen offenen Plaͤtzen in der Nachbarſchaft der Ge- baͤude; ganz anders mit Plaͤtzen, die zu Gaͤrten beſtimmt werden. Jene muͤſſen als freye Plaͤtze, und wegen ihrer Verbindung mit dem Werke der Architektur, wovon ſie gleichſam als fortlaufende oder doch zuſammenhaͤngende Theile anzuſehen ſind, ſym- metriſch abgetheilt und eingerichtet werden; ſie moͤgen außerdem ſo viel Verzierung und Pomp annehmen, als der Charakter und die Beſtimmung des Gebaͤudes nur immer verſtattet. Allein Plaͤtze, die zu Gaͤrten bebauet werden, muͤſſen bey dieſer Beſtimmung ſogleich die Regeln der Architektur verlaſſen, und ſich der freyern Anord- nung der Natur naͤhern. Um noch deutlicher einzuſehen, wie weit der Gartenkuͤnſtler von dem Architekten entfernt ſey, wie wenig beyde nach einerley Geſetzen arbeiten koͤnnen, darf man nur bemerken, daß jener mit der Verſchoͤnerung einer Horizontalflaͤche, dieſer mit der Ver- ſchoͤnerung einer Verticalflaͤche ſich beſchaͤftigt. Aus dieſer offenbaren Verſchiedenheit der Flaͤchen, die jeder von dieſen Kuͤnſtlern bearbeitet, entſpringt auch eine Verſchie- denheit ihrer Abſichten und Entwuͤrfe. Der Architekt will auf einmal das Auge be- friedigen, es auf einmal die ganze harmoniſche Einrichtung ſeines Werks umfaſſen laſſen; der Gartenkuͤnſtler will nach und nach mit einer allmaͤhligen Fortſchreitung unterhalten. Jener muß ſeinen Plan ſo einfach anlegen, daß er ohne Verwirrung, ohne Muͤhe ſich uͤberſehen laͤßt; er muß den Theilen gleiche regelmaͤßige Formen und Verhaͤltniſſe geben, wodurch ihre Zuſammenſtimmung zu dem Ganzen bald wahrge- nommen wird. Der Gartenkuͤnſtler hingegen, der einer andern Abſicht auch einen andern Entwurf unterordnet, muß ſeinen Plan zu verbergen ſuchen, eine gewiſſe an- muthige Verwickelung in ſeine Anlagen bringen, Ungleichheiten und regelloſe Zu- faͤlligkeiten liegen laſſen, kurz, ſo verfahren, daß der Zuſchauer nicht auf einmal be- friedigt, ſondern nach und nach beſchaͤftigt und lange unterhalten werde. Durch Re- gelmaͤßigkeit und Symmetrie erhaͤlt der Architekt die Wirkung, die er ſuchen ſoll; aber auf eben dieſem Wege verfehlt der Gartenkuͤnſtler diejenige, wornach er ſtreben ſoll. Bey der Verſchiedenheit der Wirkungen muͤſſen beyde auch von einem verſchie- denen Punkt ausgehen. Der Gartenkuͤnſtler arbeitet am gluͤcklichſten, wenn er faſt uͤberall das Gegentheil von dem thut, was der Baumeiſter beobachtet. Auch hat er ein ganz anderes Vorbild, als der Architekt, das Vorbild der Natur in ihren ſchoͤnſten Gegenden, das ihm zur Anleitung dient. Die Natur ord- net alle Gegenſtaͤnde in der Landſchaft mit Freyheit und Ungezwungenheit an. Keine ſymmetriſche Gleichheit, keine kuͤnſtliche Abzirkelung, keine Einfoͤrmigkeit im Um- fang, in Geſtalt und Bildung der Tiefen, Anhoͤhen und Ebenen, der Pflanzen, Blumen,

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/152>, abgerufen am 22.11.2024.