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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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als schöne Kunst betrachtet.

Aber an mehr als an einem Platz kommen doch der Landschaftmaler und der
Gartenkünstler wieder zusammen. Beyden enthüllt die Natur in ihren Landschaften
eine unendliche Mannigfaltigkeit von Lagen, Gegenständen und Charakteren; beyde
sollen zuvörderst beobachten und auswählen.

Alle große Landschaftmaler hielten das Studium der schönen Natur für ihre erste
Pflicht. Lucas von Uden eilte ins Feld, der Morgenröthe entgegen, um die ge-
schwinden Abwechselungen beym Anbruch des Tages zu beobachten. Claude Gille'e
brachte oft ganze Tage und Nächte auf dem Lande zu, immer aufmerksam auf die
verschiedenen Erscheinungen der Natur, beym Aufgang und Untergang der Sonne,
bey Regen und Gewittern; er zeichnete nur im freyen Felde, und dann eilte er zurück,
um das Merkwürdigste in einem Gemälde auszuführen. Kaum hatte das Morgen-
licht die Gegenden sichtbar gemacht, so war Bernhard Graat schon auf dem Felde,
oder im Walde, oder an den Bächen, um seinem betrachtenden Geist die Natur mit
ihren Reizungen einzuprägen; und so bald er zurückgekehrt war, schilderte er sie auf
der Leinwand ab. Mit eben dem Geist der Beobachtung bestiegen Peter Breugel
und Felix Meyer, jener die Berge von Tyrol, dieser die Alpen, um die schönsten
Wasserfälle, die Höhe und Rauhigkeit der Gebirge, die in den Wolken verborgenen
Gipfel, die Umhüllungen des Nebels, der Natur abzulauren. Beym Jagen und
Fischen schaueten Metelli und Bianchi auf die mannigfaltigen Auftritte der Natur,
für welche sie ihr Zeichnungsbuch beständig bey sich trugen. Um mehr Gelegenheit
zu haben, die Natur in ihren Bildungen zu belauschen, miethete Poussin vier Woh-
nungen auf einmal, zwo in den höchsten Gegenden von Rom, die dritte zu Tivoli,
die vierte zu Frascati. Auf dem angenehmen Schlosse Bentheim in der Nachbar-
schaft von Haag, wo Berghem einen Theil seines Lebens zubrachte, unterrichtete er
sich in dem Reiz perspectivischer Aussichten und arkadischer Viehtriften. Kurz,
alle berühmte Landschaftmaler studirten sorgfältig die Natur, die sie nachahmen soll-
ten. Sie malten nur, wenn sie mit Empfindung gesehen und mit Ueberlegung beob-
achtet hatten; und man konnte erwarten, daß sie glücklich malten.

Nicht weniger soll der Gartenkünstler zuerst sein Auge und seinen Geist in dem
Schönen der Natur unterrichten. Es ist ganz etwas anders, die Scenen der Land-
schaft mit sinnlichem Wohlgefallen ansehen, ganz etwas anders, sie mit kritischem
Auge betrachten. Der Gartenkünstler, der glücklich arbeiten will, muß einen Reich-
thum von ländlichen Ideen besitzen; und diese erlangt er nur durch eine genaue und
anhaltende Beobachtung der Natur. Er muß nicht blos eine ausgebreitete Kennt-
niß der verschiedenen Lagen, Gegenstände und Charaktere in der Landschaft haben,
sondern auch mit allen den Wirkungen vertraut seyn, welche diese Lagen, Gegenstände

und
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als ſchoͤne Kunſt betrachtet.

Aber an mehr als an einem Platz kommen doch der Landſchaftmaler und der
Gartenkuͤnſtler wieder zuſammen. Beyden enthuͤllt die Natur in ihren Landſchaften
eine unendliche Mannigfaltigkeit von Lagen, Gegenſtaͤnden und Charakteren; beyde
ſollen zuvoͤrderſt beobachten und auswaͤhlen.

Alle große Landſchaftmaler hielten das Studium der ſchoͤnen Natur fuͤr ihre erſte
Pflicht. Lucas von Uden eilte ins Feld, der Morgenroͤthe entgegen, um die ge-
ſchwinden Abwechſelungen beym Anbruch des Tages zu beobachten. Claude Gille’e
brachte oft ganze Tage und Naͤchte auf dem Lande zu, immer aufmerkſam auf die
verſchiedenen Erſcheinungen der Natur, beym Aufgang und Untergang der Sonne,
bey Regen und Gewittern; er zeichnete nur im freyen Felde, und dann eilte er zuruͤck,
um das Merkwuͤrdigſte in einem Gemaͤlde auszufuͤhren. Kaum hatte das Morgen-
licht die Gegenden ſichtbar gemacht, ſo war Bernhard Graat ſchon auf dem Felde,
oder im Walde, oder an den Baͤchen, um ſeinem betrachtenden Geiſt die Natur mit
ihren Reizungen einzupraͤgen; und ſo bald er zuruͤckgekehrt war, ſchilderte er ſie auf
der Leinwand ab. Mit eben dem Geiſt der Beobachtung beſtiegen Peter Breugel
und Felix Meyer, jener die Berge von Tyrol, dieſer die Alpen, um die ſchoͤnſten
Waſſerfaͤlle, die Hoͤhe und Rauhigkeit der Gebirge, die in den Wolken verborgenen
Gipfel, die Umhuͤllungen des Nebels, der Natur abzulauren. Beym Jagen und
Fiſchen ſchaueten Metelli und Bianchi auf die mannigfaltigen Auftritte der Natur,
fuͤr welche ſie ihr Zeichnungsbuch beſtaͤndig bey ſich trugen. Um mehr Gelegenheit
zu haben, die Natur in ihren Bildungen zu belauſchen, miethete Pouſſin vier Woh-
nungen auf einmal, zwo in den hoͤchſten Gegenden von Rom, die dritte zu Tivoli,
die vierte zu Fraſcati. Auf dem angenehmen Schloſſe Bentheim in der Nachbar-
ſchaft von Haag, wo Berghem einen Theil ſeines Lebens zubrachte, unterrichtete er
ſich in dem Reiz perſpectiviſcher Ausſichten und arkadiſcher Viehtriften. Kurz,
alle beruͤhmte Landſchaftmaler ſtudirten ſorgfaͤltig die Natur, die ſie nachahmen ſoll-
ten. Sie malten nur, wenn ſie mit Empfindung geſehen und mit Ueberlegung beob-
achtet hatten; und man konnte erwarten, daß ſie gluͤcklich malten.

Nicht weniger ſoll der Gartenkuͤnſtler zuerſt ſein Auge und ſeinen Geiſt in dem
Schoͤnen der Natur unterrichten. Es iſt ganz etwas anders, die Scenen der Land-
ſchaft mit ſinnlichem Wohlgefallen anſehen, ganz etwas anders, ſie mit kritiſchem
Auge betrachten. Der Gartenkuͤnſtler, der gluͤcklich arbeiten will, muß einen Reich-
thum von laͤndlichen Ideen beſitzen; und dieſe erlangt er nur durch eine genaue und
anhaltende Beobachtung der Natur. Er muß nicht blos eine ausgebreitete Kennt-
niß der verſchiedenen Lagen, Gegenſtaͤnde und Charaktere in der Landſchaft haben,
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und
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[147/0161] als ſchoͤne Kunſt betrachtet. Aber an mehr als an einem Platz kommen doch der Landſchaftmaler und der Gartenkuͤnſtler wieder zuſammen. Beyden enthuͤllt die Natur in ihren Landſchaften eine unendliche Mannigfaltigkeit von Lagen, Gegenſtaͤnden und Charakteren; beyde ſollen zuvoͤrderſt beobachten und auswaͤhlen. Alle große Landſchaftmaler hielten das Studium der ſchoͤnen Natur fuͤr ihre erſte Pflicht. Lucas von Uden eilte ins Feld, der Morgenroͤthe entgegen, um die ge- ſchwinden Abwechſelungen beym Anbruch des Tages zu beobachten. Claude Gille’e brachte oft ganze Tage und Naͤchte auf dem Lande zu, immer aufmerkſam auf die verſchiedenen Erſcheinungen der Natur, beym Aufgang und Untergang der Sonne, bey Regen und Gewittern; er zeichnete nur im freyen Felde, und dann eilte er zuruͤck, um das Merkwuͤrdigſte in einem Gemaͤlde auszufuͤhren. Kaum hatte das Morgen- licht die Gegenden ſichtbar gemacht, ſo war Bernhard Graat ſchon auf dem Felde, oder im Walde, oder an den Baͤchen, um ſeinem betrachtenden Geiſt die Natur mit ihren Reizungen einzupraͤgen; und ſo bald er zuruͤckgekehrt war, ſchilderte er ſie auf der Leinwand ab. Mit eben dem Geiſt der Beobachtung beſtiegen Peter Breugel und Felix Meyer, jener die Berge von Tyrol, dieſer die Alpen, um die ſchoͤnſten Waſſerfaͤlle, die Hoͤhe und Rauhigkeit der Gebirge, die in den Wolken verborgenen Gipfel, die Umhuͤllungen des Nebels, der Natur abzulauren. Beym Jagen und Fiſchen ſchaueten Metelli und Bianchi auf die mannigfaltigen Auftritte der Natur, fuͤr welche ſie ihr Zeichnungsbuch beſtaͤndig bey ſich trugen. Um mehr Gelegenheit zu haben, die Natur in ihren Bildungen zu belauſchen, miethete Pouſſin vier Woh- nungen auf einmal, zwo in den hoͤchſten Gegenden von Rom, die dritte zu Tivoli, die vierte zu Fraſcati. Auf dem angenehmen Schloſſe Bentheim in der Nachbar- ſchaft von Haag, wo Berghem einen Theil ſeines Lebens zubrachte, unterrichtete er ſich in dem Reiz perſpectiviſcher Ausſichten und arkadiſcher Viehtriften. Kurz, alle beruͤhmte Landſchaftmaler ſtudirten ſorgfaͤltig die Natur, die ſie nachahmen ſoll- ten. Sie malten nur, wenn ſie mit Empfindung geſehen und mit Ueberlegung beob- achtet hatten; und man konnte erwarten, daß ſie gluͤcklich malten. Nicht weniger ſoll der Gartenkuͤnſtler zuerſt ſein Auge und ſeinen Geiſt in dem Schoͤnen der Natur unterrichten. Es iſt ganz etwas anders, die Scenen der Land- ſchaft mit ſinnlichem Wohlgefallen anſehen, ganz etwas anders, ſie mit kritiſchem Auge betrachten. Der Gartenkuͤnſtler, der gluͤcklich arbeiten will, muß einen Reich- thum von laͤndlichen Ideen beſitzen; und dieſe erlangt er nur durch eine genaue und anhaltende Beobachtung der Natur. Er muß nicht blos eine ausgebreitete Kennt- niß der verſchiedenen Lagen, Gegenſtaͤnde und Charaktere in der Landſchaft haben, ſondern auch mit allen den Wirkungen vertraut ſeyn, welche dieſe Lagen, Gegenſtaͤnde und T 2

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/161>, abgerufen am 24.11.2024.