Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten dichten Weiden und hohen Pappeln beschattet werden. Die Ufer dieser sich schlän-gelnden Canäle sind überall schattigt, und das frische Wasser erhält sie beständig grün. Malerische Ansichten, Landschaften, mit Dörfern und Schlössern geziert, schmeicheln von allen Seiten dem Auge. Auf einem Platze von nicht großem Um- fange bringen die Mannigfaltigkeit und Unregelmäßigkeit des Grundes, die Krüm- mungen der Bäche, die unabgemessene Stellung der Bäume, Abhänge, Inseln, dahin führende Dämme eine so angenehme Abwechselung hervor, daß man aus dem kleinen Bezirke, worin man sich befindet, nicht herauszutreten wünscht, und man sie- het sich durch eine Hecke von Weißdorn und durch die Ufer verschiedener Canäle mehr zurückgehalten, als eingeschlossen. Diese ungemeine Gegend war lange vernachläßigt worden. Die Schönhei- Ich widerstand diesem Eindrucke nicht. Kaum war ich ans Land, als ich sich
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten dichten Weiden und hohen Pappeln beſchattet werden. Die Ufer dieſer ſich ſchlaͤn-gelnden Canaͤle ſind uͤberall ſchattigt, und das friſche Waſſer erhaͤlt ſie beſtaͤndig gruͤn. Maleriſche Anſichten, Landſchaften, mit Doͤrfern und Schloͤſſern geziert, ſchmeicheln von allen Seiten dem Auge. Auf einem Platze von nicht großem Um- fange bringen die Mannigfaltigkeit und Unregelmaͤßigkeit des Grundes, die Kruͤm- mungen der Baͤche, die unabgemeſſene Stellung der Baͤume, Abhaͤnge, Inſeln, dahin fuͤhrende Daͤmme eine ſo angenehme Abwechſelung hervor, daß man aus dem kleinen Bezirke, worin man ſich befindet, nicht herauszutreten wuͤnſcht, und man ſie- het ſich durch eine Hecke von Weißdorn und durch die Ufer verſchiedener Canaͤle mehr zuruͤckgehalten, als eingeſchloſſen. Dieſe ungemeine Gegend war lange vernachlaͤßigt worden. Die Schoͤnhei- Ich widerſtand dieſem Eindrucke nicht. Kaum war ich ans Land, als ich ſich
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Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
dichten Weiden und hohen Pappeln beſchattet werden. Die Ufer dieſer ſich ſchlaͤn-
gelnden Canaͤle ſind uͤberall ſchattigt, und das friſche Waſſer erhaͤlt ſie beſtaͤndig
gruͤn. Maleriſche Anſichten, Landſchaften, mit Doͤrfern und Schloͤſſern geziert,
ſchmeicheln von allen Seiten dem Auge. Auf einem Platze von nicht großem Um-
fange bringen die Mannigfaltigkeit und Unregelmaͤßigkeit des Grundes, die Kruͤm-
mungen der Baͤche, die unabgemeſſene Stellung der Baͤume, Abhaͤnge, Inſeln,
dahin fuͤhrende Daͤmme eine ſo angenehme Abwechſelung hervor, daß man aus dem
kleinen Bezirke, worin man ſich befindet, nicht herauszutreten wuͤnſcht, und man ſie-
het ſich durch eine Hecke von Weißdorn und durch die Ufer verſchiedener Canaͤle mehr
zuruͤckgehalten, als eingeſchloſſen.
Dieſe ungemeine Gegend war lange vernachlaͤßigt worden. Die Schoͤnhei-
ten, deren ſie faͤhig war, waren nur in der Moͤglichkeit, ſie wirklich zu machen, vor-
handen, als ich vor ungefaͤhr zwanzig Jahren an einem Fruͤhlingstage dieſe reizende
Lage entdeckte. Ich ließ mich uͤber den Fluß ſetzen, um in die Stadt zuruͤckzukeh-
ren; ich war auf der Faͤhre ohne Bewegung, beſchaͤftigt mit meinen Freunden und
mit den Kuͤnſten; zwey Gedanken, die mir ſo ſuͤß ſind, daß ich ihnen, wie Sie
wiſſen, das Recht zugeſtanden habe, uͤber alle andere zu herrſchen. Ich ließ meine
Blicke umherſchweifen. Das Gebuͤſche, das ich eben jetzt zu ſchildern verſucht habe,
zog ſie auf ſich. Es bot mir auf eine halbe Viertelmeile weit eine zu angenehme
Anſicht dar, als daß ich nicht haͤtte verlangen ſollen, ſie vollkommener zu genießen.
Eine Wieſe, Waſſer, ſchattigte Buͤſche! Hier, ſagte ich zu mir ſelbſt, hier ſollte man,
fern von dem ermuͤdenden und unfruchtbaren Getuͤmmel der großen Geſellſchaften,
fern von der ſo kindiſchen und ſo traurigen Unruhe der Menſchen, die vergebens das
Gluͤck ſuchen, von dem ſie ſich entfernen, hier ſollte man in Ruhe ſowohl die An-
nehmlichkeiten der Wiſſenſchaften genießen, als auch die Schoͤnheiten der Natur.
Ich widerſtand dieſem Eindrucke nicht. Kaum war ich ans Land, als ich
meine Schritte nach einem Orte richtete, der durch die Wirkung einer geheimen Sym-
pathie mich zu ſich lockte. Ich gieng auf einem kleinen Wege uͤber eine blumenreiche
Wieſe an den Ufern des Fluſſes hin, die nicht jaͤhe, ſondern bis an die Oberflaͤche
des Waſſers ſanft abhaͤngig ſind. Ich kam auf einen mit Linden beſetzten Weg.
Inſeln, von alten Weiden beſchattet, ſtellten ſich meinem Anblicke dar; eine kleine
laͤndliche Wohnung brachte vor meinen Augen die Ideen, die ich mir gebildet hatte,
zur Wirklichkeit. Dieſe Wohnung, die ſich an der Seite der Wieſe erhob, hatte
ſo viel Simplicitaͤt, daß ſie einem Pfarrhauſe glich. Nahe am Hauſe bildet ein
Quincunx von großen Pappeln und Linden eine Decke, welche die Sonne mit ihren
heißeſten Stralen nicht durchdringen kann. Dieſer ſchattigte Aufenthalt erſtreckt
ſich
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