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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vom Baumwerk.
b.
Einige Waldscenen.

Schon in Hainen und Wäldern, die noch kein Geschmack verschönert hat, fin-
det der Freund der Natur Unterhaltung und mancherley Ergötzung. Bald wandelt
er unter der dunkeln Ueberwölbung dickbelaubter Bäume, und athmet eine erfrischen-
de Kühlung; bald betritt er einen offenen Rasenplatz, sieht mit freyem Blick die em-
porsteigenden Gipfel und den Himmel. Bald beschäftiget ihn der kraftvolle Wuchs
und die Höhe der Bäume, die glatte Rinde der Stämme, der Reichthum und die
Gestalt der Zweige, ihr Emporsteigen oder Herabhängen, ihre Verwickelung oder Luf-
tigkeit, die Helle oder Dunkelheit, die Größe oder Zierlichkeit des Laubwerks, und
die wunderbaren Spiele des Lichts und des Schattens. Bald ergötzt ihn die Man-
nichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der Gebüsche, der Pflanzen und Blumen, die den Bo-
den zieren. Er lagert sich zu ihnen auf den weichen Rasen, verliert sich in ihre Be-
trachtung, und athmet die süßen Düste, womit sie seine Aufmerksamkeit belohnen.
Bald gaukeln junge Schwärme von bunten Insecten um ihn her; bald flattert ein un-
bekannter Vogel vor ihm in den Weg hin, begafft den unerwarteten Ankömmling mit
ähnlicher Neugierde, lockt ihn durch freundliches Umherhüpfen und anscheinende Zahm-
heit herbey, fliegt plötzlich täuschend wieder auf, und beginnt von einem Gipfel, den
schnell sein Gefieder ereilt, den ungekünstelten Lobgesang der Freyheit. Andere stim-
men in das Concert ein, und ein liebliches Gemisch von frohen Tönen unterbricht auf
einmal die Stille, die in den Gebüschen herrschte, und erweckt weit umher den Wi-
derhall. Die Einöde verwandelt sich in ein Lustrevier voll glücklicher Geschöpfe, die
in Freyheit und Liebe frohlocken; und ein höheres Gefühl von Wonne über den allge-
meinen Schöpfer der Wesen ergreift das Herz des vernünftigen Beobachters. Er
wandelt weiter, und sieht vor sich eine feyerliche Dämmerung hangen; näher wird er
nach einer unerwarteten Wendung mit einer heitern Aussicht überrascht. Er sieht das
freudige Gewühl der Aerndte in der Ferne, und hört Lieder der Liebe von ungelehrten
Stimmen der Garbenbinderinnen herüberschallen. Bald unterhält ihn eine maleri-
sche Durchsicht, und führt den Blick von Gruppe zu Gruppe durch tausend spielende
Bewegungen des Lichts und Schattens, bis auf einen hügeligten Hintergrund. Hier
ruhet er, und schaut in eine Vertiefung auf einen finstern Dickigt hinab, worin ein un-
gesehener Wasserfall rauscht. Indessen bereitet das untergehende Licht des Tages die
herrlichste Verschönerung dieser Scenen. Indem der brennende Abglanz die Gipfel
röthet, so ergießt sich eine mildere Beleuchtung von Zweig zu Zweig durch die ganze
mittlere Belaubung an Bäumen und Gebüschen herab; die äußern Blätter freuen sich

stolz
G 3
Vom Baumwerk.
b.
Einige Waldſcenen.

Schon in Hainen und Waͤldern, die noch kein Geſchmack verſchoͤnert hat, fin-
det der Freund der Natur Unterhaltung und mancherley Ergoͤtzung. Bald wandelt
er unter der dunkeln Ueberwoͤlbung dickbelaubter Baͤume, und athmet eine erfriſchen-
de Kuͤhlung; bald betritt er einen offenen Raſenplatz, ſieht mit freyem Blick die em-
porſteigenden Gipfel und den Himmel. Bald beſchaͤftiget ihn der kraftvolle Wuchs
und die Hoͤhe der Baͤume, die glatte Rinde der Staͤmme, der Reichthum und die
Geſtalt der Zweige, ihr Emporſteigen oder Herabhaͤngen, ihre Verwickelung oder Luf-
tigkeit, die Helle oder Dunkelheit, die Groͤße oder Zierlichkeit des Laubwerks, und
die wunderbaren Spiele des Lichts und des Schattens. Bald ergoͤtzt ihn die Man-
nichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der Gebuͤſche, der Pflanzen und Blumen, die den Bo-
den zieren. Er lagert ſich zu ihnen auf den weichen Raſen, verliert ſich in ihre Be-
trachtung, und athmet die ſuͤßen Duͤſte, womit ſie ſeine Aufmerkſamkeit belohnen.
Bald gaukeln junge Schwaͤrme von bunten Inſecten um ihn her; bald flattert ein un-
bekannter Vogel vor ihm in den Weg hin, begafft den unerwarteten Ankoͤmmling mit
aͤhnlicher Neugierde, lockt ihn durch freundliches Umherhuͤpfen und anſcheinende Zahm-
heit herbey, fliegt ploͤtzlich taͤuſchend wieder auf, und beginnt von einem Gipfel, den
ſchnell ſein Gefieder ereilt, den ungekuͤnſtelten Lobgeſang der Freyheit. Andere ſtim-
men in das Concert ein, und ein liebliches Gemiſch von frohen Toͤnen unterbricht auf
einmal die Stille, die in den Gebuͤſchen herrſchte, und erweckt weit umher den Wi-
derhall. Die Einoͤde verwandelt ſich in ein Luſtrevier voll gluͤcklicher Geſchoͤpfe, die
in Freyheit und Liebe frohlocken; und ein hoͤheres Gefuͤhl von Wonne uͤber den allge-
meinen Schoͤpfer der Weſen ergreift das Herz des vernuͤnftigen Beobachters. Er
wandelt weiter, und ſieht vor ſich eine feyerliche Daͤmmerung hangen; naͤher wird er
nach einer unerwarteten Wendung mit einer heitern Ausſicht uͤberraſcht. Er ſieht das
freudige Gewuͤhl der Aerndte in der Ferne, und hoͤrt Lieder der Liebe von ungelehrten
Stimmen der Garbenbinderinnen heruͤberſchallen. Bald unterhaͤlt ihn eine maleri-
ſche Durchſicht, und fuͤhrt den Blick von Gruppe zu Gruppe durch tauſend ſpielende
Bewegungen des Lichts und Schattens, bis auf einen huͤgeligten Hintergrund. Hier
ruhet er, und ſchaut in eine Vertiefung auf einen finſtern Dickigt hinab, worin ein un-
geſehener Waſſerfall rauſcht. Indeſſen bereitet das untergehende Licht des Tages die
herrlichſte Verſchoͤnerung dieſer Scenen. Indem der brennende Abglanz die Gipfel
roͤthet, ſo ergießt ſich eine mildere Beleuchtung von Zweig zu Zweig durch die ganze
mittlere Belaubung an Baͤumen und Gebuͤſchen herab; die aͤußern Blaͤtter freuen ſich

ſtolz
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[53/0057] Vom Baumwerk. b. Einige Waldſcenen. Schon in Hainen und Waͤldern, die noch kein Geſchmack verſchoͤnert hat, fin- det der Freund der Natur Unterhaltung und mancherley Ergoͤtzung. Bald wandelt er unter der dunkeln Ueberwoͤlbung dickbelaubter Baͤume, und athmet eine erfriſchen- de Kuͤhlung; bald betritt er einen offenen Raſenplatz, ſieht mit freyem Blick die em- porſteigenden Gipfel und den Himmel. Bald beſchaͤftiget ihn der kraftvolle Wuchs und die Hoͤhe der Baͤume, die glatte Rinde der Staͤmme, der Reichthum und die Geſtalt der Zweige, ihr Emporſteigen oder Herabhaͤngen, ihre Verwickelung oder Luf- tigkeit, die Helle oder Dunkelheit, die Groͤße oder Zierlichkeit des Laubwerks, und die wunderbaren Spiele des Lichts und des Schattens. Bald ergoͤtzt ihn die Man- nichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der Gebuͤſche, der Pflanzen und Blumen, die den Bo- den zieren. Er lagert ſich zu ihnen auf den weichen Raſen, verliert ſich in ihre Be- trachtung, und athmet die ſuͤßen Duͤſte, womit ſie ſeine Aufmerkſamkeit belohnen. Bald gaukeln junge Schwaͤrme von bunten Inſecten um ihn her; bald flattert ein un- bekannter Vogel vor ihm in den Weg hin, begafft den unerwarteten Ankoͤmmling mit aͤhnlicher Neugierde, lockt ihn durch freundliches Umherhuͤpfen und anſcheinende Zahm- heit herbey, fliegt ploͤtzlich taͤuſchend wieder auf, und beginnt von einem Gipfel, den ſchnell ſein Gefieder ereilt, den ungekuͤnſtelten Lobgeſang der Freyheit. Andere ſtim- men in das Concert ein, und ein liebliches Gemiſch von frohen Toͤnen unterbricht auf einmal die Stille, die in den Gebuͤſchen herrſchte, und erweckt weit umher den Wi- derhall. Die Einoͤde verwandelt ſich in ein Luſtrevier voll gluͤcklicher Geſchoͤpfe, die in Freyheit und Liebe frohlocken; und ein hoͤheres Gefuͤhl von Wonne uͤber den allge- meinen Schoͤpfer der Weſen ergreift das Herz des vernuͤnftigen Beobachters. Er wandelt weiter, und ſieht vor ſich eine feyerliche Daͤmmerung hangen; naͤher wird er nach einer unerwarteten Wendung mit einer heitern Ausſicht uͤberraſcht. Er ſieht das freudige Gewuͤhl der Aerndte in der Ferne, und hoͤrt Lieder der Liebe von ungelehrten Stimmen der Garbenbinderinnen heruͤberſchallen. Bald unterhaͤlt ihn eine maleri- ſche Durchſicht, und fuͤhrt den Blick von Gruppe zu Gruppe durch tauſend ſpielende Bewegungen des Lichts und Schattens, bis auf einen huͤgeligten Hintergrund. Hier ruhet er, und ſchaut in eine Vertiefung auf einen finſtern Dickigt hinab, worin ein un- geſehener Waſſerfall rauſcht. Indeſſen bereitet das untergehende Licht des Tages die herrlichſte Verſchoͤnerung dieſer Scenen. Indem der brennende Abglanz die Gipfel roͤthet, ſo ergießt ſich eine mildere Beleuchtung von Zweig zu Zweig durch die ganze mittlere Belaubung an Baͤumen und Gebuͤſchen herab; die aͤußern Blaͤtter freuen ſich ſtolz G 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/57>, abgerufen am 28.11.2024.