Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfter Abschnitt.
ins Wasser, einige darauf umhergrasende Rinder scheinen sich aus der Fluth zu
erheben, und begaffen in stummer Verwunderung ihren Widerschein; an jenem
Ufer verschwindet das Wasser in die Oeffnung eines dunkeln Eichenwaldes hinein,
und wohin das Auge nicht mehr reicht, fliegt noch die Einbildungskraft nach.
Nichts ist so reich an gefälligen Verbindungen und Verschönerungen, als ein See;
nur allein mit einer Waldung, in wie vielen abwechselnden Gestalten und Pro-
specten kann er nicht erscheinen! Und welch ein Genuß, in allen seinen Schön-
heiten, in dem ganzen Reize seiner Widerscheine, von einem Berge betrachtet!
Der Gartenkünstler darf hier nur anschauen, und bilden, wie die Natur bildet, im-
mer frey und immer mannichfaltig.

Wo durch die Kunst Seen angelegt werden, da ist alles sorgfältig zu verber-
gen, was diese Schöpfung verrathen könnte; und vornehmlich ist in Ansehung der
Bildung der Ufer viel Aufmerksamkeit nöthig, um wenigstens den Anschein der
Natur nicht zu verfehlen. Der Umfang des Wassers muß mit der Gegend in
einem schicklichen Verhältnisse stehen. So wie ein kleiner Bach in einer ausge-
dehnten Ebene sich verliert, und ohne allen Eindruck ist: so kann eine gar zu aus-
gebreitete Wasserfläche die Wirkungen der übrigen Gegenstände in der Landschaft
vermindern. Durch Erhöhungen des jenseitigen Ufers, durch Anpflanzungen ho-
her Bäume von einer starken Beschattung, durch Gebäude mit einem lebhaften
Anstrich, lassen sich die Gränzen enger zusammenziehen, und die Entfernungen
verkürzen; so wie im Gegentheil durch Senkungen des Ufers, durch Wegschaf-
fung aller emporragenden Gegenstände, das Auge mit einer scheinbaren Vergrös-
serung getäuscht wird. Fällt ein See auf einmal ganz in die Augen, so müssen
seine Ufer reich und mannichfaltig verziert seyn; denn bey einer öftern und län-
gern Beschauung bemerkt man doch auf einer solchen Wasserfläche eine gewisse
Einförmigkeit, die selten, wie auf dem Meere oder auf schiffbaren Flüssen, durch
Fahrzeuge unterbrochen wird: das Auge muß also in der Nachbarschaft des
Sees Gegenstände entdecken, die es anziehen und beschäftigen. Einbuch-
ten und Ausläufe dürfen nicht zu häufig seyn, weil sie sonst nichts von ei-
ner bestimmten Form übrig lassen, und den Eindruck des Ganzen zu sehr zer-
streuen würden. Eine Reihe von gleichförmigen Buchten würde eben so schwach
wirken, als eine Folge von kleinen Beeten im Küchengarten oder von symme-
trisch zertheilten Kornfeldern; eine solche Scene ist zerrissen, aber nicht mannich-
faltig. Daß übrigens ein angelegter See von keiner vollkommen regulären Fi-

gur,

Fuͤnfter Abſchnitt.
ins Waſſer, einige darauf umhergraſende Rinder ſcheinen ſich aus der Fluth zu
erheben, und begaffen in ſtummer Verwunderung ihren Widerſchein; an jenem
Ufer verſchwindet das Waſſer in die Oeffnung eines dunkeln Eichenwaldes hinein,
und wohin das Auge nicht mehr reicht, fliegt noch die Einbildungskraft nach.
Nichts iſt ſo reich an gefaͤlligen Verbindungen und Verſchoͤnerungen, als ein See;
nur allein mit einer Waldung, in wie vielen abwechſelnden Geſtalten und Pro-
ſpecten kann er nicht erſcheinen! Und welch ein Genuß, in allen ſeinen Schoͤn-
heiten, in dem ganzen Reize ſeiner Widerſcheine, von einem Berge betrachtet!
Der Gartenkuͤnſtler darf hier nur anſchauen, und bilden, wie die Natur bildet, im-
mer frey und immer mannichfaltig.

Wo durch die Kunſt Seen angelegt werden, da iſt alles ſorgfaͤltig zu verber-
gen, was dieſe Schoͤpfung verrathen koͤnnte; und vornehmlich iſt in Anſehung der
Bildung der Ufer viel Aufmerkſamkeit noͤthig, um wenigſtens den Anſchein der
Natur nicht zu verfehlen. Der Umfang des Waſſers muß mit der Gegend in
einem ſchicklichen Verhaͤltniſſe ſtehen. So wie ein kleiner Bach in einer ausge-
dehnten Ebene ſich verliert, und ohne allen Eindruck iſt: ſo kann eine gar zu aus-
gebreitete Waſſerflaͤche die Wirkungen der uͤbrigen Gegenſtaͤnde in der Landſchaft
vermindern. Durch Erhoͤhungen des jenſeitigen Ufers, durch Anpflanzungen ho-
her Baͤume von einer ſtarken Beſchattung, durch Gebaͤude mit einem lebhaften
Anſtrich, laſſen ſich die Graͤnzen enger zuſammenziehen, und die Entfernungen
verkuͤrzen; ſo wie im Gegentheil durch Senkungen des Ufers, durch Wegſchaf-
fung aller emporragenden Gegenſtaͤnde, das Auge mit einer ſcheinbaren Vergroͤſ-
ſerung getaͤuſcht wird. Faͤllt ein See auf einmal ganz in die Augen, ſo muͤſſen
ſeine Ufer reich und mannichfaltig verziert ſeyn; denn bey einer oͤftern und laͤn-
gern Beſchauung bemerkt man doch auf einer ſolchen Waſſerflaͤche eine gewiſſe
Einfoͤrmigkeit, die ſelten, wie auf dem Meere oder auf ſchiffbaren Fluͤſſen, durch
Fahrzeuge unterbrochen wird: das Auge muß alſo in der Nachbarſchaft des
Sees Gegenſtaͤnde entdecken, die es anziehen und beſchaͤftigen. Einbuch-
ten und Auslaͤufe duͤrfen nicht zu haͤufig ſeyn, weil ſie ſonſt nichts von ei-
ner beſtimmten Form uͤbrig laſſen, und den Eindruck des Ganzen zu ſehr zer-
ſtreuen wuͤrden. Eine Reihe von gleichfoͤrmigen Buchten wuͤrde eben ſo ſchwach
wirken, als eine Folge von kleinen Beeten im Kuͤchengarten oder von ſymme-
triſch zertheilten Kornfeldern; eine ſolche Scene iſt zerriſſen, aber nicht mannich-
faltig. Daß uͤbrigens ein angelegter See von keiner vollkommen regulaͤren Fi-

gur,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0092" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nfter Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
ins Wa&#x017F;&#x017F;er, einige darauf umhergra&#x017F;ende Rinder &#x017F;cheinen &#x017F;ich aus der Fluth zu<lb/>
erheben, und begaffen in &#x017F;tummer Verwunderung ihren Wider&#x017F;chein; an jenem<lb/>
Ufer ver&#x017F;chwindet das Wa&#x017F;&#x017F;er in die Oeffnung eines dunkeln Eichenwaldes hinein,<lb/>
und wohin das Auge nicht mehr reicht, fliegt noch die Einbildungskraft nach.<lb/>
Nichts i&#x017F;t &#x017F;o reich an gefa&#x0364;lligen Verbindungen und Ver&#x017F;cho&#x0364;nerungen, als ein See;<lb/>
nur allein mit einer Waldung, in wie vielen abwech&#x017F;elnden Ge&#x017F;talten und Pro-<lb/>
&#x017F;pecten kann er nicht er&#x017F;cheinen! Und welch ein Genuß, in allen &#x017F;einen Scho&#x0364;n-<lb/>
heiten, in dem ganzen Reize &#x017F;einer Wider&#x017F;cheine, von einem Berge betrachtet!<lb/>
Der Gartenku&#x0364;n&#x017F;tler darf hier nur an&#x017F;chauen, und bilden, wie die Natur bildet, im-<lb/>
mer frey und immer mannichfaltig.</p><lb/>
          <p>Wo durch die Kun&#x017F;t Seen angelegt werden, da i&#x017F;t alles &#x017F;orgfa&#x0364;ltig zu verber-<lb/>
gen, was die&#x017F;e Scho&#x0364;pfung verrathen ko&#x0364;nnte; und vornehmlich i&#x017F;t in An&#x017F;ehung der<lb/>
Bildung der Ufer viel Aufmerk&#x017F;amkeit no&#x0364;thig, um wenig&#x017F;tens den An&#x017F;chein der<lb/>
Natur nicht zu verfehlen. Der Umfang des Wa&#x017F;&#x017F;ers muß mit der Gegend in<lb/>
einem &#x017F;chicklichen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen. So wie ein kleiner Bach in einer ausge-<lb/>
dehnten Ebene &#x017F;ich verliert, und ohne allen Eindruck i&#x017F;t: &#x017F;o kann eine gar zu aus-<lb/>
gebreitete Wa&#x017F;&#x017F;erfla&#x0364;che die Wirkungen der u&#x0364;brigen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde in der Land&#x017F;chaft<lb/>
vermindern. Durch Erho&#x0364;hungen des jen&#x017F;eitigen Ufers, durch Anpflanzungen ho-<lb/>
her Ba&#x0364;ume von einer &#x017F;tarken Be&#x017F;chattung, durch Geba&#x0364;ude mit einem lebhaften<lb/>
An&#x017F;trich, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die Gra&#x0364;nzen enger zu&#x017F;ammenziehen, und die Entfernungen<lb/>
verku&#x0364;rzen; &#x017F;o wie im Gegentheil durch Senkungen des Ufers, durch Weg&#x017F;chaf-<lb/>
fung aller emporragenden Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, das Auge mit einer &#x017F;cheinbaren Vergro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erung geta&#x0364;u&#x017F;cht wird. Fa&#x0364;llt ein See auf einmal ganz in die Augen, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eine Ufer reich und mannichfaltig verziert &#x017F;eyn; denn bey einer o&#x0364;ftern und la&#x0364;n-<lb/>
gern Be&#x017F;chauung bemerkt man doch auf einer &#x017F;olchen Wa&#x017F;&#x017F;erfla&#x0364;che eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Einfo&#x0364;rmigkeit, die &#x017F;elten, wie auf dem Meere oder auf &#x017F;chiffbaren Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, durch<lb/>
Fahrzeuge unterbrochen wird: das Auge muß al&#x017F;o in der Nachbar&#x017F;chaft des<lb/>
Sees Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde entdecken, die es anziehen und be&#x017F;cha&#x0364;ftigen. Einbuch-<lb/>
ten und Ausla&#x0364;ufe du&#x0364;rfen nicht zu ha&#x0364;ufig &#x017F;eyn, weil &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t nichts von ei-<lb/>
ner be&#x017F;timmten Form u&#x0364;brig la&#x017F;&#x017F;en, und den Eindruck des Ganzen zu &#x017F;ehr zer-<lb/>
&#x017F;treuen wu&#x0364;rden. Eine Reihe von gleichfo&#x0364;rmigen Buchten wu&#x0364;rde eben &#x017F;o &#x017F;chwach<lb/>
wirken, als eine Folge von kleinen Beeten im Ku&#x0364;chengarten oder von &#x017F;ymme-<lb/>
tri&#x017F;ch zertheilten Kornfeldern; eine &#x017F;olche Scene i&#x017F;t zerri&#x017F;&#x017F;en, aber nicht mannich-<lb/>
faltig. Daß u&#x0364;brigens ein angelegter See von keiner vollkommen regula&#x0364;ren Fi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gur,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0092] Fuͤnfter Abſchnitt. ins Waſſer, einige darauf umhergraſende Rinder ſcheinen ſich aus der Fluth zu erheben, und begaffen in ſtummer Verwunderung ihren Widerſchein; an jenem Ufer verſchwindet das Waſſer in die Oeffnung eines dunkeln Eichenwaldes hinein, und wohin das Auge nicht mehr reicht, fliegt noch die Einbildungskraft nach. Nichts iſt ſo reich an gefaͤlligen Verbindungen und Verſchoͤnerungen, als ein See; nur allein mit einer Waldung, in wie vielen abwechſelnden Geſtalten und Pro- ſpecten kann er nicht erſcheinen! Und welch ein Genuß, in allen ſeinen Schoͤn- heiten, in dem ganzen Reize ſeiner Widerſcheine, von einem Berge betrachtet! Der Gartenkuͤnſtler darf hier nur anſchauen, und bilden, wie die Natur bildet, im- mer frey und immer mannichfaltig. Wo durch die Kunſt Seen angelegt werden, da iſt alles ſorgfaͤltig zu verber- gen, was dieſe Schoͤpfung verrathen koͤnnte; und vornehmlich iſt in Anſehung der Bildung der Ufer viel Aufmerkſamkeit noͤthig, um wenigſtens den Anſchein der Natur nicht zu verfehlen. Der Umfang des Waſſers muß mit der Gegend in einem ſchicklichen Verhaͤltniſſe ſtehen. So wie ein kleiner Bach in einer ausge- dehnten Ebene ſich verliert, und ohne allen Eindruck iſt: ſo kann eine gar zu aus- gebreitete Waſſerflaͤche die Wirkungen der uͤbrigen Gegenſtaͤnde in der Landſchaft vermindern. Durch Erhoͤhungen des jenſeitigen Ufers, durch Anpflanzungen ho- her Baͤume von einer ſtarken Beſchattung, durch Gebaͤude mit einem lebhaften Anſtrich, laſſen ſich die Graͤnzen enger zuſammenziehen, und die Entfernungen verkuͤrzen; ſo wie im Gegentheil durch Senkungen des Ufers, durch Wegſchaf- fung aller emporragenden Gegenſtaͤnde, das Auge mit einer ſcheinbaren Vergroͤſ- ſerung getaͤuſcht wird. Faͤllt ein See auf einmal ganz in die Augen, ſo muͤſſen ſeine Ufer reich und mannichfaltig verziert ſeyn; denn bey einer oͤftern und laͤn- gern Beſchauung bemerkt man doch auf einer ſolchen Waſſerflaͤche eine gewiſſe Einfoͤrmigkeit, die ſelten, wie auf dem Meere oder auf ſchiffbaren Fluͤſſen, durch Fahrzeuge unterbrochen wird: das Auge muß alſo in der Nachbarſchaft des Sees Gegenſtaͤnde entdecken, die es anziehen und beſchaͤftigen. Einbuch- ten und Auslaͤufe duͤrfen nicht zu haͤufig ſeyn, weil ſie ſonſt nichts von ei- ner beſtimmten Form uͤbrig laſſen, und den Eindruck des Ganzen zu ſehr zer- ſtreuen wuͤrden. Eine Reihe von gleichfoͤrmigen Buchten wuͤrde eben ſo ſchwach wirken, als eine Folge von kleinen Beeten im Kuͤchengarten oder von ſymme- triſch zertheilten Kornfeldern; eine ſolche Scene iſt zerriſſen, aber nicht mannich- faltig. Daß uͤbrigens ein angelegter See von keiner vollkommen regulaͤren Fi- gur,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/92
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/92>, abgerufen am 04.12.2024.