Eine Einsiedeley läßt uns nicht allein die Wirkungen des melancholischen Re- viers, *) worinn sie liegt, besser empfinden, sondern unterhält uns zugleich mit der Erinnerung jener Zeiten, wo die fromme Einfalt die Welt verließ, um den Himmel in der Wüste zu finden. Es ist wahr, diese Erinnerung wird durch die Vorstellung von Irrthum und Schwärmerey getrübt; aber wo ist das Zeitalter, das nicht irrte oder schwärmte? Unter allen Wendungen, die das Klosterwesen genommen, ist viel- leicht keine, die so wenig schädlicher Misbrauch war, als das Fliehen in einsame und öde Gegenden. Hier ward das Leben der Mönche doch nützlich, indem sie das Land baueten, und so viele Einöden fruchtbar und gesund machten. Die Wüste ertönte nicht blos von ihren Gebeten, sondern auch von der Axt in ihren Händen; der be- nachbarte Landmann holte bey ihnen nicht blos einen Segen, sondern auch Anweisung für seinen Beruf. Ein Leben, das sich alle Freuden der Welt, alle Bequemlichkei- ten der Gesellschaft versagte, das zwischen Arbeit, Bußübungen und Betrachtungen getheilt war, sahe nur der Himmel, der es belohnen sollte. In einer glücklichen Ein- förmigkeit, ohne Bedürfniß und ohne Leidenschaft, walleten die kurzen Tage der Prü- fung dahin; der Abend beleuchtete eben die ruhige Stirne des Einsiedlers, wie sie die Morgenröthe geweckt hatte: denn sein Gott wohnte bey ihm in der Zelle. Er hatte alle Ansprüche an dieser Welt für die Hoffnungen in jener vertauscht; ihm nur schweb- te immer sein Geist mit dem Frieden der Zuversicht entgegen. Wenn sein Abend herandämmerte, so horchte er voll stiller Erwartung auf die Stimmen der Engel, die ihn zu sich riefen; das Crucifix in der Hand, gieng er mit feyerlicher Heiterkeit von hier, und hinterließ einem betenden Bruder seine Zelle und das Andenken seiner Frömmigkeit. -- Diese Erinnerung erwacht bey dem Anblick der Einsiedeleyen wie- der; und sie hat eine Kraft zu Rührungen, die ein Herz, das nicht allein für die Welt empfindet, gerne bey sich unterhält. Ich weiß nicht, warum wir nicht solche Bilder wieder erneuern sollen, die Veranlassung zu sanften und der menschlichen Würde so angemessenen Empfindungen sind. Es ist schon eine Aeußerung von Tu- gend, wenn uns die Denkmäler der Tugend erwärmen; und man nähert sich schon um einige Schritte der Frömmigkeit, wenn man den Ort ehrwürdig findet, wo ein frommer Mann in der Anbetung liegt.
3. Die
*) S. 1sten B. S. 211-213.
Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
2.
Eine Einſiedeley laͤßt uns nicht allein die Wirkungen des melancholiſchen Re- viers, *) worinn ſie liegt, beſſer empfinden, ſondern unterhaͤlt uns zugleich mit der Erinnerung jener Zeiten, wo die fromme Einfalt die Welt verließ, um den Himmel in der Wuͤſte zu finden. Es iſt wahr, dieſe Erinnerung wird durch die Vorſtellung von Irrthum und Schwaͤrmerey getruͤbt; aber wo iſt das Zeitalter, das nicht irrte oder ſchwaͤrmte? Unter allen Wendungen, die das Kloſterweſen genommen, iſt viel- leicht keine, die ſo wenig ſchaͤdlicher Misbrauch war, als das Fliehen in einſame und oͤde Gegenden. Hier ward das Leben der Moͤnche doch nuͤtzlich, indem ſie das Land baueten, und ſo viele Einoͤden fruchtbar und geſund machten. Die Wuͤſte ertoͤnte nicht blos von ihren Gebeten, ſondern auch von der Axt in ihren Haͤnden; der be- nachbarte Landmann holte bey ihnen nicht blos einen Segen, ſondern auch Anweiſung fuͤr ſeinen Beruf. Ein Leben, das ſich alle Freuden der Welt, alle Bequemlichkei- ten der Geſellſchaft verſagte, das zwiſchen Arbeit, Bußuͤbungen und Betrachtungen getheilt war, ſahe nur der Himmel, der es belohnen ſollte. In einer gluͤcklichen Ein- foͤrmigkeit, ohne Beduͤrfniß und ohne Leidenſchaft, walleten die kurzen Tage der Pruͤ- fung dahin; der Abend beleuchtete eben die ruhige Stirne des Einſiedlers, wie ſie die Morgenroͤthe geweckt hatte: denn ſein Gott wohnte bey ihm in der Zelle. Er hatte alle Anſpruͤche an dieſer Welt fuͤr die Hoffnungen in jener vertauſcht; ihm nur ſchweb- te immer ſein Geiſt mit dem Frieden der Zuverſicht entgegen. Wenn ſein Abend herandaͤmmerte, ſo horchte er voll ſtiller Erwartung auf die Stimmen der Engel, die ihn zu ſich riefen; das Crucifix in der Hand, gieng er mit feyerlicher Heiterkeit von hier, und hinterließ einem betenden Bruder ſeine Zelle und das Andenken ſeiner Froͤmmigkeit. — Dieſe Erinnerung erwacht bey dem Anblick der Einſiedeleyen wie- der; und ſie hat eine Kraft zu Ruͤhrungen, die ein Herz, das nicht allein fuͤr die Welt empfindet, gerne bey ſich unterhaͤlt. Ich weiß nicht, warum wir nicht ſolche Bilder wieder erneuern ſollen, die Veranlaſſung zu ſanften und der menſchlichen Wuͤrde ſo angemeſſenen Empfindungen ſind. Es iſt ſchon eine Aeußerung von Tu- gend, wenn uns die Denkmaͤler der Tugend erwaͤrmen; und man naͤhert ſich ſchon um einige Schritte der Froͤmmigkeit, wenn man den Ort ehrwuͤrdig findet, wo ein frommer Mann in der Anbetung liegt.
3. Die
*) S. 1ſten B. S. 211-213.
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Dritter Abſchnitt. Von Tempeln, Grotten,
2.
Eine Einſiedeley laͤßt uns nicht allein die Wirkungen des melancholiſchen Re-
viers, *) worinn ſie liegt, beſſer empfinden, ſondern unterhaͤlt uns zugleich mit der
Erinnerung jener Zeiten, wo die fromme Einfalt die Welt verließ, um den Himmel
in der Wuͤſte zu finden. Es iſt wahr, dieſe Erinnerung wird durch die Vorſtellung
von Irrthum und Schwaͤrmerey getruͤbt; aber wo iſt das Zeitalter, das nicht irrte
oder ſchwaͤrmte? Unter allen Wendungen, die das Kloſterweſen genommen, iſt viel-
leicht keine, die ſo wenig ſchaͤdlicher Misbrauch war, als das Fliehen in einſame und
oͤde Gegenden. Hier ward das Leben der Moͤnche doch nuͤtzlich, indem ſie das Land
baueten, und ſo viele Einoͤden fruchtbar und geſund machten. Die Wuͤſte ertoͤnte
nicht blos von ihren Gebeten, ſondern auch von der Axt in ihren Haͤnden; der be-
nachbarte Landmann holte bey ihnen nicht blos einen Segen, ſondern auch Anweiſung
fuͤr ſeinen Beruf. Ein Leben, das ſich alle Freuden der Welt, alle Bequemlichkei-
ten der Geſellſchaft verſagte, das zwiſchen Arbeit, Bußuͤbungen und Betrachtungen
getheilt war, ſahe nur der Himmel, der es belohnen ſollte. In einer gluͤcklichen Ein-
foͤrmigkeit, ohne Beduͤrfniß und ohne Leidenſchaft, walleten die kurzen Tage der Pruͤ-
fung dahin; der Abend beleuchtete eben die ruhige Stirne des Einſiedlers, wie ſie die
Morgenroͤthe geweckt hatte: denn ſein Gott wohnte bey ihm in der Zelle. Er hatte
alle Anſpruͤche an dieſer Welt fuͤr die Hoffnungen in jener vertauſcht; ihm nur ſchweb-
te immer ſein Geiſt mit dem Frieden der Zuverſicht entgegen. Wenn ſein Abend
herandaͤmmerte, ſo horchte er voll ſtiller Erwartung auf die Stimmen der Engel, die
ihn zu ſich riefen; das Crucifix in der Hand, gieng er mit feyerlicher Heiterkeit von
hier, und hinterließ einem betenden Bruder ſeine Zelle und das Andenken ſeiner
Froͤmmigkeit. — Dieſe Erinnerung erwacht bey dem Anblick der Einſiedeleyen wie-
der; und ſie hat eine Kraft zu Ruͤhrungen, die ein Herz, das nicht allein fuͤr die
Welt empfindet, gerne bey ſich unterhaͤlt. Ich weiß nicht, warum wir nicht ſolche
Bilder wieder erneuern ſollen, die Veranlaſſung zu ſanften und der menſchlichen
Wuͤrde ſo angemeſſenen Empfindungen ſind. Es iſt ſchon eine Aeußerung von Tu-
gend, wenn uns die Denkmaͤler der Tugend erwaͤrmen; und man naͤhert ſich ſchon
um einige Schritte der Froͤmmigkeit, wenn man den Ort ehrwuͤrdig findet, wo ein
frommer Mann in der Anbetung liegt.
3. Die
*) S. 1ſten B. S. 211-213.
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/102>, abgerufen am 16.02.2025.
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