Von der Scene des Wasserfalls leitet ein weiter anmuthiger Weg, an einem Waldbach zur Linken, und zur Rechten an einer Wiese, durch einen Wald von Eichen und Ellern, und von da weiter nach verschiedenen Krümmungen durch Gebüsche zu der Einsiedeley hin. Verschlossener, einsamer und angemessener kann für ein Gebäu- de von diesem Charakter keine Lage von der Natur bestimmt seyn. Sie ist auf allen Seiten von Waldung und nahen Gebüschen umschlossen, die sich heranzudrängen schei- nen, um diesen Ort vor jedem Anblick zu verbergen; die wenigen schmalen dämmern- den Durchsichten endigen sich immer wieder auf andere Verdunkelungen; und die Gruppen, die bald vorspringen, bald sich zurückziehen, machen nur Oeffnungen, um die Finsterniß der hintern Vorhänge desto mehr zeigen zu können. An diesem Platze ruhet die von Wurzeln und Moos erbaute und in dem wahren Charakter ausgeführte Einsiedeley, in einer kleinen Niedrigung zwischen Eichen, die ihre Zweige herabhän- gen lassen, und selbst ihre bejahrten Stämme über sie hinbeugen. Zehn Fuß von ih- rem Eingang fließt jener Waldbach, der hier stille, ohne alles Geräusch, vorüber- schleicht; nichts als die Klage eines verirrten Vogels und das melancholische Gesäusel der Winde in den Gipfeln und in den Gebüschen; überall tiefe Ueberschattungen des vorhängenden Laubwerks. Die Seele empfindet hier ganz den Eindruck der Stille und der ruhigen Abgezogenheit von der Welt; selbst alle lachenden Scenen der Natur sind zurückgeschwunden, um ihr Nachdenken nicht zu unterbrechen. Sie muß hier mit sich allein seyn, sich ganz mit einem ernsten Nachsinnen beschäftigen; fühlen, daß sie ein geistiges, über die Körperwelt erhabenes Wesen ist, sich gewöhnen, zu den rei- nen Betrachtungen emporzusteigen, die einst auf einem andern Platz ihre längere Glückseligkeit bestimmen sollen. Die Dürftigkeit der Einsiedeley ist nur ein Spiegel von der glücklichen Entbehrlichkeit, die allein der Weise kennt, der nicht träumt, hier immer wohnen zu wollen; der Altar, die Bücher der Andacht, das Kreuz, das aus dem bemoosten Dach sich im Eichenlaube verbirgt, sind nur Veranlassungen zu Ge- danken, welche die Seele heben und zugleich stärken; und die Dämmerung der Ge- büsche, unter welchen der Bach, ein Bild von dem Frieden des Lebens, dahinschleicht, läßt doch jenseits Aussichten erwarten, die mit allem ihren Reiz nicht denen gleich kom- men, welche die künftige Welt der Tugend durchstrahlen.
IX. Der
von Landhaͤuſern.
Von der Scene des Waſſerfalls leitet ein weiter anmuthiger Weg, an einem Waldbach zur Linken, und zur Rechten an einer Wieſe, durch einen Wald von Eichen und Ellern, und von da weiter nach verſchiedenen Kruͤmmungen durch Gebuͤſche zu der Einſiedeley hin. Verſchloſſener, einſamer und angemeſſener kann fuͤr ein Gebaͤu- de von dieſem Charakter keine Lage von der Natur beſtimmt ſeyn. Sie iſt auf allen Seiten von Waldung und nahen Gebuͤſchen umſchloſſen, die ſich heranzudraͤngen ſchei- nen, um dieſen Ort vor jedem Anblick zu verbergen; die wenigen ſchmalen daͤmmern- den Durchſichten endigen ſich immer wieder auf andere Verdunkelungen; und die Gruppen, die bald vorſpringen, bald ſich zuruͤckziehen, machen nur Oeffnungen, um die Finſterniß der hintern Vorhaͤnge deſto mehr zeigen zu koͤnnen. An dieſem Platze ruhet die von Wurzeln und Moos erbaute und in dem wahren Charakter ausgefuͤhrte Einſiedeley, in einer kleinen Niedrigung zwiſchen Eichen, die ihre Zweige herabhaͤn- gen laſſen, und ſelbſt ihre bejahrten Staͤmme uͤber ſie hinbeugen. Zehn Fuß von ih- rem Eingang fließt jener Waldbach, der hier ſtille, ohne alles Geraͤuſch, voruͤber- ſchleicht; nichts als die Klage eines verirrten Vogels und das melancholiſche Geſaͤuſel der Winde in den Gipfeln und in den Gebuͤſchen; uͤberall tiefe Ueberſchattungen des vorhaͤngenden Laubwerks. Die Seele empfindet hier ganz den Eindruck der Stille und der ruhigen Abgezogenheit von der Welt; ſelbſt alle lachenden Scenen der Natur ſind zuruͤckgeſchwunden, um ihr Nachdenken nicht zu unterbrechen. Sie muß hier mit ſich allein ſeyn, ſich ganz mit einem ernſten Nachſinnen beſchaͤftigen; fuͤhlen, daß ſie ein geiſtiges, uͤber die Koͤrperwelt erhabenes Weſen iſt, ſich gewoͤhnen, zu den rei- nen Betrachtungen emporzuſteigen, die einſt auf einem andern Platz ihre laͤngere Gluͤckſeligkeit beſtimmen ſollen. Die Duͤrftigkeit der Einſiedeley iſt nur ein Spiegel von der gluͤcklichen Entbehrlichkeit, die allein der Weiſe kennt, der nicht traͤumt, hier immer wohnen zu wollen; der Altar, die Buͤcher der Andacht, das Kreuz, das aus dem bemooſten Dach ſich im Eichenlaube verbirgt, ſind nur Veranlaſſungen zu Ge- danken, welche die Seele heben und zugleich ſtaͤrken; und die Daͤmmerung der Ge- buͤſche, unter welchen der Bach, ein Bild von dem Frieden des Lebens, dahinſchleicht, laͤßt doch jenſeits Ausſichten erwarten, die mit allem ihren Reiz nicht denen gleich kom- men, welche die kuͤnftige Welt der Tugend durchſtrahlen.
IX. Der
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von Landhaͤuſern.
Von der Scene des Waſſerfalls leitet ein weiter anmuthiger Weg, an einem
Waldbach zur Linken, und zur Rechten an einer Wieſe, durch einen Wald von Eichen
und Ellern, und von da weiter nach verſchiedenen Kruͤmmungen durch Gebuͤſche zu
der Einſiedeley hin. Verſchloſſener, einſamer und angemeſſener kann fuͤr ein Gebaͤu-
de von dieſem Charakter keine Lage von der Natur beſtimmt ſeyn. Sie iſt auf allen
Seiten von Waldung und nahen Gebuͤſchen umſchloſſen, die ſich heranzudraͤngen ſchei-
nen, um dieſen Ort vor jedem Anblick zu verbergen; die wenigen ſchmalen daͤmmern-
den Durchſichten endigen ſich immer wieder auf andere Verdunkelungen; und die
Gruppen, die bald vorſpringen, bald ſich zuruͤckziehen, machen nur Oeffnungen, um
die Finſterniß der hintern Vorhaͤnge deſto mehr zeigen zu koͤnnen. An dieſem Platze
ruhet die von Wurzeln und Moos erbaute und in dem wahren Charakter ausgefuͤhrte
Einſiedeley, in einer kleinen Niedrigung zwiſchen Eichen, die ihre Zweige herabhaͤn-
gen laſſen, und ſelbſt ihre bejahrten Staͤmme uͤber ſie hinbeugen. Zehn Fuß von ih-
rem Eingang fließt jener Waldbach, der hier ſtille, ohne alles Geraͤuſch, voruͤber-
ſchleicht; nichts als die Klage eines verirrten Vogels und das melancholiſche Geſaͤuſel
der Winde in den Gipfeln und in den Gebuͤſchen; uͤberall tiefe Ueberſchattungen des
vorhaͤngenden Laubwerks. Die Seele empfindet hier ganz den Eindruck der Stille
und der ruhigen Abgezogenheit von der Welt; ſelbſt alle lachenden Scenen der Natur
ſind zuruͤckgeſchwunden, um ihr Nachdenken nicht zu unterbrechen. Sie muß hier
mit ſich allein ſeyn, ſich ganz mit einem ernſten Nachſinnen beſchaͤftigen; fuͤhlen, daß
ſie ein geiſtiges, uͤber die Koͤrperwelt erhabenes Weſen iſt, ſich gewoͤhnen, zu den rei-
nen Betrachtungen emporzuſteigen, die einſt auf einem andern Platz ihre laͤngere
Gluͤckſeligkeit beſtimmen ſollen. Die Duͤrftigkeit der Einſiedeley iſt nur ein Spiegel
von der gluͤcklichen Entbehrlichkeit, die allein der Weiſe kennt, der nicht traͤumt, hier
immer wohnen zu wollen; der Altar, die Buͤcher der Andacht, das Kreuz, das aus
dem bemooſten Dach ſich im Eichenlaube verbirgt, ſind nur Veranlaſſungen zu Ge-
danken, welche die Seele heben und zugleich ſtaͤrken; und die Daͤmmerung der Ge-
buͤſche, unter welchen der Bach, ein Bild von dem Frieden des Lebens, dahinſchleicht,
laͤßt doch jenſeits Ausſichten erwarten, die mit allem ihren Reiz nicht denen gleich kom-
men, welche die kuͤnftige Welt der Tugend durchſtrahlen.
IX. Der
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/258>, abgerufen am 16.02.2025.
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