Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Abschnitt. Von kleinern
spanische Hollunder mit dem Weinstock hinan; nahe Fruchtbäume verbreiten eine lieb-
liche Dämmerung, und vor dem Eingange eine hohe über alle hervorragende Linde,
deren Schatten schon die Urväter erfrischte; im Vorhofe verschiedene Geschlechter des
Federviehes, die alle in ruhiger Eintracht eine Familie ausmachen, bald im Schatten
sich ruhig verbergen, bald im Wasser plätschern, bald im fröhlichen Gewimmel an die
volle Hand des hervortretenden Hausherrn herbeyfliegen, und mit ihren mannigfalti-
gen Stimmen und Bewegungen seiner Güte danken. Beglückter Aufenthalt des
Friedens und der Einfalt! Rührendes Bild der Unschuld, das uns von Edens Se-
ligkeit allein übrig blieb! Wer kann so empfindungsleer, von sich selbst so vergessen
seyn, den nicht dein sanfter Reiz heranlockte, dem er nicht einen Seufzer voll wehmü-
thiger Sehnsucht entführte?

Eben so, wie in der Landschaft, müssen Gebäude in den verschiedenen Revieren
der Gärten ihre Wirkungen beweisen, nicht bloße Gegenstände, sondern Gegenstände
von einer bestimmten Bedeutung seyn. Sie müssen geschickt seyn, die Charaktere
der Gegenden, denen sie zugeordnet werden, nicht blos deutlicher zu bezeichnen, son-
dern ihnen auch eine neue Kraft mitzutheilen, die sich schnell über das Ganze verbreitet.
Sie müssen die Anmuthigkeit, die Heiterkeit, den Ernst, die Melancholie der Auf-
tritte, unter welchen sie liegen, erhöhen, und jeden Charakter dem Gefühl eindringen-
der machen. Eine offene Rotunde z. B. vermehrt auf einem Hügel das Luftige einer
kleinen Gruppe, die sich um seinen Abhang mit hellen Zwischenräumen zieht; eine
Capelle hebt das Feyerliche, eine Einsiedeley das Melancholische, ein Tempel das
Edle, und eine Hütte das Ländliche der Scenen.

Demnach ist es nothwendig, daß die Gebäude zuvörderst mit dem Charakter
des Orts, wo sie sich zeigen, übereinstimmen. Was kann widersinniger seyn, als
ein bürgerliches Haus in einem Park, eine Einsiedeley mitten auf einem weiten offenen
Rasenplatz oder an dem Eingange einer Hauptallee, einen edlen Pavillon in einer
Wildniß, eine Hütte auf einem mit herrlichen Bäumen gezierten Hügel, einen Thurm
oder Ruinen an einem lebhaften Bach in einem heitern Blumenrevier, ein Studier-
kabinet an der Landstraße, ein Badhaus auf einer Anhöhe aufzustellen? Vergehungen
dieser Art verletzen so offenbar die wesentlichen Regeln der Schicklichkeit, daß sie nicht
anders als mit dem größten Mißfallen bemerkt werden.

Der Charakter jeder Scene bestimmt, welches Gebäude ihr angemessen ist.
Und aus dieser Bestimmung folgt der nothwendige Unterschied der Gebäude. So

wird

Zweyter Abſchnitt. Von kleinern
ſpaniſche Hollunder mit dem Weinſtock hinan; nahe Fruchtbaͤume verbreiten eine lieb-
liche Daͤmmerung, und vor dem Eingange eine hohe uͤber alle hervorragende Linde,
deren Schatten ſchon die Urvaͤter erfriſchte; im Vorhofe verſchiedene Geſchlechter des
Federviehes, die alle in ruhiger Eintracht eine Familie ausmachen, bald im Schatten
ſich ruhig verbergen, bald im Waſſer plaͤtſchern, bald im froͤhlichen Gewimmel an die
volle Hand des hervortretenden Hausherrn herbeyfliegen, und mit ihren mannigfalti-
gen Stimmen und Bewegungen ſeiner Guͤte danken. Begluͤckter Aufenthalt des
Friedens und der Einfalt! Ruͤhrendes Bild der Unſchuld, das uns von Edens Se-
ligkeit allein uͤbrig blieb! Wer kann ſo empfindungsleer, von ſich ſelbſt ſo vergeſſen
ſeyn, den nicht dein ſanfter Reiz heranlockte, dem er nicht einen Seufzer voll wehmuͤ-
thiger Sehnſucht entfuͤhrte?

Eben ſo, wie in der Landſchaft, muͤſſen Gebaͤude in den verſchiedenen Revieren
der Gaͤrten ihre Wirkungen beweiſen, nicht bloße Gegenſtaͤnde, ſondern Gegenſtaͤnde
von einer beſtimmten Bedeutung ſeyn. Sie muͤſſen geſchickt ſeyn, die Charaktere
der Gegenden, denen ſie zugeordnet werden, nicht blos deutlicher zu bezeichnen, ſon-
dern ihnen auch eine neue Kraft mitzutheilen, die ſich ſchnell uͤber das Ganze verbreitet.
Sie muͤſſen die Anmuthigkeit, die Heiterkeit, den Ernſt, die Melancholie der Auf-
tritte, unter welchen ſie liegen, erhoͤhen, und jeden Charakter dem Gefuͤhl eindringen-
der machen. Eine offene Rotunde z. B. vermehrt auf einem Huͤgel das Luftige einer
kleinen Gruppe, die ſich um ſeinen Abhang mit hellen Zwiſchenraͤumen zieht; eine
Capelle hebt das Feyerliche, eine Einſiedeley das Melancholiſche, ein Tempel das
Edle, und eine Huͤtte das Laͤndliche der Scenen.

Demnach iſt es nothwendig, daß die Gebaͤude zuvoͤrderſt mit dem Charakter
des Orts, wo ſie ſich zeigen, uͤbereinſtimmen. Was kann widerſinniger ſeyn, als
ein buͤrgerliches Haus in einem Park, eine Einſiedeley mitten auf einem weiten offenen
Raſenplatz oder an dem Eingange einer Hauptallee, einen edlen Pavillon in einer
Wildniß, eine Huͤtte auf einem mit herrlichen Baͤumen gezierten Huͤgel, einen Thurm
oder Ruinen an einem lebhaften Bach in einem heitern Blumenrevier, ein Studier-
kabinet an der Landſtraße, ein Badhaus auf einer Anhoͤhe aufzuſtellen? Vergehungen
dieſer Art verletzen ſo offenbar die weſentlichen Regeln der Schicklichkeit, daß ſie nicht
anders als mit dem groͤßten Mißfallen bemerkt werden.

Der Charakter jeder Scene beſtimmt, welches Gebaͤude ihr angemeſſen iſt.
Und aus dieſer Beſtimmung folgt der nothwendige Unterſchied der Gebaͤude. So

wird
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0054" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweyter Ab&#x017F;chnitt. Von kleinern</hi></fw><lb/>
&#x017F;pani&#x017F;che Hollunder mit dem Wein&#x017F;tock hinan; nahe Fruchtba&#x0364;ume verbreiten eine lieb-<lb/>
liche Da&#x0364;mmerung, und vor dem Eingange eine hohe u&#x0364;ber alle hervorragende Linde,<lb/>
deren Schatten &#x017F;chon die Urva&#x0364;ter erfri&#x017F;chte; im Vorhofe ver&#x017F;chiedene Ge&#x017F;chlechter des<lb/>
Federviehes, die alle in ruhiger Eintracht eine Familie ausmachen, bald im Schatten<lb/>
&#x017F;ich ruhig verbergen, bald im Wa&#x017F;&#x017F;er pla&#x0364;t&#x017F;chern, bald im fro&#x0364;hlichen Gewimmel an die<lb/>
volle Hand des hervortretenden Hausherrn herbeyfliegen, und mit ihren mannigfalti-<lb/>
gen Stimmen und Bewegungen &#x017F;einer Gu&#x0364;te danken. Beglu&#x0364;ckter Aufenthalt des<lb/>
Friedens und der Einfalt! Ru&#x0364;hrendes Bild der Un&#x017F;chuld, das uns von Edens Se-<lb/>
ligkeit allein u&#x0364;brig blieb! Wer kann &#x017F;o empfindungsleer, von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;eyn, den nicht dein &#x017F;anfter Reiz heranlockte, dem er nicht einen Seufzer voll wehmu&#x0364;-<lb/>
thiger Sehn&#x017F;ucht entfu&#x0364;hrte?</p><lb/>
          <p>Eben &#x017F;o, wie in der Land&#x017F;chaft, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Geba&#x0364;ude in den ver&#x017F;chiedenen Revieren<lb/>
der Ga&#x0364;rten ihre Wirkungen bewei&#x017F;en, nicht bloße Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, &#x017F;ondern Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
von einer be&#x017F;timmten Bedeutung &#x017F;eyn. Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;chickt &#x017F;eyn, die Charaktere<lb/>
der Gegenden, denen &#x017F;ie zugeordnet werden, nicht blos deutlicher zu bezeichnen, &#x017F;on-<lb/>
dern ihnen auch eine neue Kraft mitzutheilen, die &#x017F;ich &#x017F;chnell u&#x0364;ber das Ganze verbreitet.<lb/>
Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Anmuthigkeit, die Heiterkeit, den Ern&#x017F;t, die Melancholie der Auf-<lb/>
tritte, unter welchen &#x017F;ie liegen, erho&#x0364;hen, und jeden Charakter dem Gefu&#x0364;hl eindringen-<lb/>
der machen. Eine offene Rotunde z. B. vermehrt auf einem Hu&#x0364;gel das Luftige einer<lb/>
kleinen Gruppe, die &#x017F;ich um &#x017F;einen Abhang mit hellen Zwi&#x017F;chenra&#x0364;umen zieht; eine<lb/>
Capelle hebt das Feyerliche, eine Ein&#x017F;iedeley das Melancholi&#x017F;che, ein Tempel das<lb/>
Edle, und eine Hu&#x0364;tte das La&#x0364;ndliche der Scenen.</p><lb/>
          <p>Demnach i&#x017F;t es nothwendig, daß die Geba&#x0364;ude zuvo&#x0364;rder&#x017F;t mit dem Charakter<lb/>
des Orts, wo &#x017F;ie &#x017F;ich zeigen, u&#x0364;berein&#x017F;timmen. Was kann wider&#x017F;inniger &#x017F;eyn, als<lb/>
ein bu&#x0364;rgerliches Haus in einem Park, eine Ein&#x017F;iedeley mitten auf einem weiten offenen<lb/>
Ra&#x017F;enplatz oder an dem Eingange einer Hauptallee, einen edlen Pavillon in einer<lb/>
Wildniß, eine Hu&#x0364;tte auf einem mit herrlichen Ba&#x0364;umen gezierten Hu&#x0364;gel, einen Thurm<lb/>
oder Ruinen an einem lebhaften Bach in einem heitern Blumenrevier, ein Studier-<lb/>
kabinet an der Land&#x017F;traße, ein Badhaus auf einer Anho&#x0364;he aufzu&#x017F;tellen? Vergehungen<lb/>
die&#x017F;er Art verletzen &#x017F;o offenbar die we&#x017F;entlichen Regeln der Schicklichkeit, daß &#x017F;ie nicht<lb/>
anders als mit dem gro&#x0364;ßten Mißfallen bemerkt werden.</p><lb/>
          <p>Der Charakter jeder Scene be&#x017F;timmt, welches Geba&#x0364;ude ihr angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t.<lb/>
Und aus die&#x017F;er Be&#x017F;timmung folgt der nothwendige Unter&#x017F;chied der Geba&#x0364;ude. So<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wird</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0054] Zweyter Abſchnitt. Von kleinern ſpaniſche Hollunder mit dem Weinſtock hinan; nahe Fruchtbaͤume verbreiten eine lieb- liche Daͤmmerung, und vor dem Eingange eine hohe uͤber alle hervorragende Linde, deren Schatten ſchon die Urvaͤter erfriſchte; im Vorhofe verſchiedene Geſchlechter des Federviehes, die alle in ruhiger Eintracht eine Familie ausmachen, bald im Schatten ſich ruhig verbergen, bald im Waſſer plaͤtſchern, bald im froͤhlichen Gewimmel an die volle Hand des hervortretenden Hausherrn herbeyfliegen, und mit ihren mannigfalti- gen Stimmen und Bewegungen ſeiner Guͤte danken. Begluͤckter Aufenthalt des Friedens und der Einfalt! Ruͤhrendes Bild der Unſchuld, das uns von Edens Se- ligkeit allein uͤbrig blieb! Wer kann ſo empfindungsleer, von ſich ſelbſt ſo vergeſſen ſeyn, den nicht dein ſanfter Reiz heranlockte, dem er nicht einen Seufzer voll wehmuͤ- thiger Sehnſucht entfuͤhrte? Eben ſo, wie in der Landſchaft, muͤſſen Gebaͤude in den verſchiedenen Revieren der Gaͤrten ihre Wirkungen beweiſen, nicht bloße Gegenſtaͤnde, ſondern Gegenſtaͤnde von einer beſtimmten Bedeutung ſeyn. Sie muͤſſen geſchickt ſeyn, die Charaktere der Gegenden, denen ſie zugeordnet werden, nicht blos deutlicher zu bezeichnen, ſon- dern ihnen auch eine neue Kraft mitzutheilen, die ſich ſchnell uͤber das Ganze verbreitet. Sie muͤſſen die Anmuthigkeit, die Heiterkeit, den Ernſt, die Melancholie der Auf- tritte, unter welchen ſie liegen, erhoͤhen, und jeden Charakter dem Gefuͤhl eindringen- der machen. Eine offene Rotunde z. B. vermehrt auf einem Huͤgel das Luftige einer kleinen Gruppe, die ſich um ſeinen Abhang mit hellen Zwiſchenraͤumen zieht; eine Capelle hebt das Feyerliche, eine Einſiedeley das Melancholiſche, ein Tempel das Edle, und eine Huͤtte das Laͤndliche der Scenen. Demnach iſt es nothwendig, daß die Gebaͤude zuvoͤrderſt mit dem Charakter des Orts, wo ſie ſich zeigen, uͤbereinſtimmen. Was kann widerſinniger ſeyn, als ein buͤrgerliches Haus in einem Park, eine Einſiedeley mitten auf einem weiten offenen Raſenplatz oder an dem Eingange einer Hauptallee, einen edlen Pavillon in einer Wildniß, eine Huͤtte auf einem mit herrlichen Baͤumen gezierten Huͤgel, einen Thurm oder Ruinen an einem lebhaften Bach in einem heitern Blumenrevier, ein Studier- kabinet an der Landſtraße, ein Badhaus auf einer Anhoͤhe aufzuſtellen? Vergehungen dieſer Art verletzen ſo offenbar die weſentlichen Regeln der Schicklichkeit, daß ſie nicht anders als mit dem groͤßten Mißfallen bemerkt werden. Der Charakter jeder Scene beſtimmt, welches Gebaͤude ihr angemeſſen iſt. Und aus dieſer Beſtimmung folgt der nothwendige Unterſchied der Gebaͤude. So wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/54
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/54>, abgerufen am 21.11.2024.