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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen.
Tempel sind nicht mehr gottesdienstliche Gebäude für uns; sie verlangen daher in dem
Innern keine Anordnung, als sie im Alterthum hatten. Sie können, wie wir an
den Tempeln zu Kew bemerkt haben, in den innern Theilen zur Bewohnung, oder
zum angenehmen Aufenthalt, nach dem Gebrauch unsers Zeitalters, eingerichtet wer-
den. Was vormals Zelle, geweiheter Ort, Sitz der Gottheit war, kann jetzt ein
Saal seyn. Nach dieser Veränderung der innern Einrichtung wird auch die Erleuch-
tung nöthig, die in den alten Tempeln vermieden ward, oder doch gering war, um
die Ehrfurcht und Feyerlichkeit des Ortes zu vermehren. Denn die länglichten Tem-
pel hatten insgemein keine Fenster und kein anderes Licht, als das durch die Thüren
hereinfiel; nur eine Lampe streute durch das heilige Dunkel einen dürftigen Schein.
Bey den runden Tempeln leuchtete indessen ein reicheres Licht von oben durch eine Oeff-
nung herein. Allein es giebt auch hier Ausnahmen; denn zuweilen kann es die be-
sondere Bestimmung eines neuern Tempels erfordern, daß er inwendig des Lichts
beraubt werde, oder sein Tag in eine sanfte Dämmerung dahinsinke. Ein Tempel
den Gottheiten des Todes gewidmet, würde eine sehr fehlerhafte Anordnung haben,
wenn seine Zelle mit vielen Fenstern versehen wäre.

Wenn den schönen Künsten noch jetzt verstattet ist, durch Vorstellungen aus der
alten Mythologie zu unterhalten, so darf auch die Baukunst davon nicht ausgeschlossen
werden. Nicht allein ergötzen uns die übrig gebliebenen Gemälde, Statüen und halb
erhobene Werke des Alterthums, durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit der
mythologischen Fabel; sondern auch die neuern Künstler haben bis jetzt sehr oft mit
Glück aus dieser Quelle geschöpft. Gebäude, deren Charakter sich auf Mythologie
bezieht, haben daher eben die Zuläßigkeit, als ein neueres Gemälde, oder eine neuere
Statüe von dieser Art. Es ist wahr, Tempel, die noch jetzt einer Gottheit oder ei-
nem Helden des Alterthums gewidmet werden, haben kein religiöses noch National-
interesse mehr für uns; selbst keine Aehnlichkeit zwischen jener und unserer Zeit, zwi-
schen jenem und unserm Lande. Allein außerdem, daß die Schönheit dieser Gebäude
ihnen überall eine Art von Bürgerrecht erwirbt, überall mit Vergnügen wahrgenom-
men wird, so versetzt uns ihr Anblick in ein Weltalter, wo die Einbildungskraft unter
den anmuthigsten Bildern umherschwärmt, wo der Geschmack sich nährt und die Liebe
zur Kunst sich begeistert. Wir sinnen nach, wir vergleichen, wir bleiben an einem
Bilde hängen, das uns zu gehören scheint; wir sondern aus der allgemeinen Masse
der mythologischen Vorstellung einen Begriff ab, der für jedes Zeitalter, für jeden
empfindsamen Beobachter interessant ist; wir werfen die Hülle der Fabel ab, und er-
blicken die nützliche unterrichtende Wahrheit, die darunter verkleidet lag.

Wenn
K 2

Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
Tempel ſind nicht mehr gottesdienſtliche Gebaͤude fuͤr uns; ſie verlangen daher in dem
Innern keine Anordnung, als ſie im Alterthum hatten. Sie koͤnnen, wie wir an
den Tempeln zu Kew bemerkt haben, in den innern Theilen zur Bewohnung, oder
zum angenehmen Aufenthalt, nach dem Gebrauch unſers Zeitalters, eingerichtet wer-
den. Was vormals Zelle, geweiheter Ort, Sitz der Gottheit war, kann jetzt ein
Saal ſeyn. Nach dieſer Veraͤnderung der innern Einrichtung wird auch die Erleuch-
tung noͤthig, die in den alten Tempeln vermieden ward, oder doch gering war, um
die Ehrfurcht und Feyerlichkeit des Ortes zu vermehren. Denn die laͤnglichten Tem-
pel hatten insgemein keine Fenſter und kein anderes Licht, als das durch die Thuͤren
hereinfiel; nur eine Lampe ſtreute durch das heilige Dunkel einen duͤrftigen Schein.
Bey den runden Tempeln leuchtete indeſſen ein reicheres Licht von oben durch eine Oeff-
nung herein. Allein es giebt auch hier Ausnahmen; denn zuweilen kann es die be-
ſondere Beſtimmung eines neuern Tempels erfordern, daß er inwendig des Lichts
beraubt werde, oder ſein Tag in eine ſanfte Daͤmmerung dahinſinke. Ein Tempel
den Gottheiten des Todes gewidmet, wuͤrde eine ſehr fehlerhafte Anordnung haben,
wenn ſeine Zelle mit vielen Fenſtern verſehen waͤre.

Wenn den ſchoͤnen Kuͤnſten noch jetzt verſtattet iſt, durch Vorſtellungen aus der
alten Mythologie zu unterhalten, ſo darf auch die Baukunſt davon nicht ausgeſchloſſen
werden. Nicht allein ergoͤtzen uns die uͤbrig gebliebenen Gemaͤlde, Statuͤen und halb
erhobene Werke des Alterthums, durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit der
mythologiſchen Fabel; ſondern auch die neuern Kuͤnſtler haben bis jetzt ſehr oft mit
Gluͤck aus dieſer Quelle geſchoͤpft. Gebaͤude, deren Charakter ſich auf Mythologie
bezieht, haben daher eben die Zulaͤßigkeit, als ein neueres Gemaͤlde, oder eine neuere
Statuͤe von dieſer Art. Es iſt wahr, Tempel, die noch jetzt einer Gottheit oder ei-
nem Helden des Alterthums gewidmet werden, haben kein religioͤſes noch National-
intereſſe mehr fuͤr uns; ſelbſt keine Aehnlichkeit zwiſchen jener und unſerer Zeit, zwi-
ſchen jenem und unſerm Lande. Allein außerdem, daß die Schoͤnheit dieſer Gebaͤude
ihnen uͤberall eine Art von Buͤrgerrecht erwirbt, uͤberall mit Vergnuͤgen wahrgenom-
men wird, ſo verſetzt uns ihr Anblick in ein Weltalter, wo die Einbildungskraft unter
den anmuthigſten Bildern umherſchwaͤrmt, wo der Geſchmack ſich naͤhrt und die Liebe
zur Kunſt ſich begeiſtert. Wir ſinnen nach, wir vergleichen, wir bleiben an einem
Bilde haͤngen, das uns zu gehoͤren ſcheint; wir ſondern aus der allgemeinen Maſſe
der mythologiſchen Vorſtellung einen Begriff ab, der fuͤr jedes Zeitalter, fuͤr jeden
empfindſamen Beobachter intereſſant iſt; wir werfen die Huͤlle der Fabel ab, und er-
blicken die nuͤtzliche unterrichtende Wahrheit, die darunter verkleidet lag.

Wenn
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[75/0079] Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen. Tempel ſind nicht mehr gottesdienſtliche Gebaͤude fuͤr uns; ſie verlangen daher in dem Innern keine Anordnung, als ſie im Alterthum hatten. Sie koͤnnen, wie wir an den Tempeln zu Kew bemerkt haben, in den innern Theilen zur Bewohnung, oder zum angenehmen Aufenthalt, nach dem Gebrauch unſers Zeitalters, eingerichtet wer- den. Was vormals Zelle, geweiheter Ort, Sitz der Gottheit war, kann jetzt ein Saal ſeyn. Nach dieſer Veraͤnderung der innern Einrichtung wird auch die Erleuch- tung noͤthig, die in den alten Tempeln vermieden ward, oder doch gering war, um die Ehrfurcht und Feyerlichkeit des Ortes zu vermehren. Denn die laͤnglichten Tem- pel hatten insgemein keine Fenſter und kein anderes Licht, als das durch die Thuͤren hereinfiel; nur eine Lampe ſtreute durch das heilige Dunkel einen duͤrftigen Schein. Bey den runden Tempeln leuchtete indeſſen ein reicheres Licht von oben durch eine Oeff- nung herein. Allein es giebt auch hier Ausnahmen; denn zuweilen kann es die be- ſondere Beſtimmung eines neuern Tempels erfordern, daß er inwendig des Lichts beraubt werde, oder ſein Tag in eine ſanfte Daͤmmerung dahinſinke. Ein Tempel den Gottheiten des Todes gewidmet, wuͤrde eine ſehr fehlerhafte Anordnung haben, wenn ſeine Zelle mit vielen Fenſtern verſehen waͤre. Wenn den ſchoͤnen Kuͤnſten noch jetzt verſtattet iſt, durch Vorſtellungen aus der alten Mythologie zu unterhalten, ſo darf auch die Baukunſt davon nicht ausgeſchloſſen werden. Nicht allein ergoͤtzen uns die uͤbrig gebliebenen Gemaͤlde, Statuͤen und halb erhobene Werke des Alterthums, durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit der mythologiſchen Fabel; ſondern auch die neuern Kuͤnſtler haben bis jetzt ſehr oft mit Gluͤck aus dieſer Quelle geſchoͤpft. Gebaͤude, deren Charakter ſich auf Mythologie bezieht, haben daher eben die Zulaͤßigkeit, als ein neueres Gemaͤlde, oder eine neuere Statuͤe von dieſer Art. Es iſt wahr, Tempel, die noch jetzt einer Gottheit oder ei- nem Helden des Alterthums gewidmet werden, haben kein religioͤſes noch National- intereſſe mehr fuͤr uns; ſelbſt keine Aehnlichkeit zwiſchen jener und unſerer Zeit, zwi- ſchen jenem und unſerm Lande. Allein außerdem, daß die Schoͤnheit dieſer Gebaͤude ihnen uͤberall eine Art von Buͤrgerrecht erwirbt, uͤberall mit Vergnuͤgen wahrgenom- men wird, ſo verſetzt uns ihr Anblick in ein Weltalter, wo die Einbildungskraft unter den anmuthigſten Bildern umherſchwaͤrmt, wo der Geſchmack ſich naͤhrt und die Liebe zur Kunſt ſich begeiſtert. Wir ſinnen nach, wir vergleichen, wir bleiben an einem Bilde haͤngen, das uns zu gehoͤren ſcheint; wir ſondern aus der allgemeinen Maſſe der mythologiſchen Vorſtellung einen Begriff ab, der fuͤr jedes Zeitalter, fuͤr jeden empfindſamen Beobachter intereſſant iſt; wir werfen die Huͤlle der Fabel ab, und er- blicken die nuͤtzliche unterrichtende Wahrheit, die darunter verkleidet lag. Wenn K 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/79>, abgerufen am 21.11.2024.