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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen.
der beginnen. Auf der Spitze des anmuthigsten und heitersten Hügels steige der Tem-
pel des Morgens, leicht, luftig und reizend erbauet, dem Glanz der heraufglimmen-
den Morgenröthe entgegen, umkränzt von nahen Gewässern und Gebüschen, welche
die prächtigen Schauspiele des umherwallenden Lichts vervielfältigen. Zwischen glän-
zenden Blumen und Pflanzen, die mit schwelgerischem Wachsthum emporschießen,
zwischen Gebüschen von Obstbäumen, deren reifende Früchte mit mannigfaltigen Ge-
stalten und Farben von Zweig zu Zweig sich im reizenden Gemisch verbreiten, hebe
sich reich und edel der Tempel des Sommers empor. Auf einem Abhange, den der
brennende Strahl nicht trifft, ziehe sich der Tempel des Mittags in den Schatten
hoher und dickbelaubter Bäume hin, zwischen welchen kleine Wassergüsse rauschen;
er kündige das Vergnügen der Kühlung an, und errege Sehnsucht nach Ruhe. Auf
einem mit Weinreben, mit Quitschern und andern beerentragenden Bäumen und
Sträuchern bekränzten Hügel, zwischen Gebüschen, die das Vergnügen des Vogel-
fangs gewähren, erscheine der Tempel des Herbstes, von der milden Heiterkeit des
Lichts umflossen. An dem westlichen Abhange einer Anhöhe, an deren Fuß sich ein
klares Wasser hinschlängelt, ruhe zwischen luftigen Gruppen wohlriechender Gesträu-
che der Tempel des Abends nachläßig und einsam.

4.

Diese Bemerkungen haben keine andere Absicht, als dem Gartenkünstler blos
die Bahn zu Erfindungen zu zeigen, die er zu einem neuen Ruhm selbst betreten kann;
denn hier ist die Quelle fast unerschöpflich. Es läßt sich eine Mannigfaltigkeit von
Anlagen und Verzierungen gewinnen, die nur von einer gesunden Beurtheilungskraft
beherrscht werden dürfen, um noch immer jedem eigenthümlichen Charakter der ver-
schiedenen Zeiten des Jahres und des Tages getreu zu bleiben. Und dieser Charakter
kann nicht blos durch die umliegende Scene angedeutet werden, sondern auch durch
das Eigenthümliche der Architektur, und durch Verzierungen von einer bestimmten
Bezeichnung.

Sinnbilder, die andeuten und die Ungewißheit aufheben, sind hier anständiger
als Inschriften, und bieten sich mannigfaltiger an; und die Verzierungen erhalten
unstreitig einen grössern Werth, wenn sie zugleich allegorische Bilder sind. Sie
schicken sich an verschiedenen Theilen der Gebäude, am meisten an der Vorderseite und
in dem Fries. Sie müssen das Verdienst der Einfalt und der Deutlichkeit haben,

aus
K 3

Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
der beginnen. Auf der Spitze des anmuthigſten und heiterſten Huͤgels ſteige der Tem-
pel des Morgens, leicht, luftig und reizend erbauet, dem Glanz der heraufglimmen-
den Morgenroͤthe entgegen, umkraͤnzt von nahen Gewaͤſſern und Gebuͤſchen, welche
die praͤchtigen Schauſpiele des umherwallenden Lichts vervielfaͤltigen. Zwiſchen glaͤn-
zenden Blumen und Pflanzen, die mit ſchwelgeriſchem Wachsthum emporſchießen,
zwiſchen Gebuͤſchen von Obſtbaͤumen, deren reifende Fruͤchte mit mannigfaltigen Ge-
ſtalten und Farben von Zweig zu Zweig ſich im reizenden Gemiſch verbreiten, hebe
ſich reich und edel der Tempel des Sommers empor. Auf einem Abhange, den der
brennende Strahl nicht trifft, ziehe ſich der Tempel des Mittags in den Schatten
hoher und dickbelaubter Baͤume hin, zwiſchen welchen kleine Waſſerguͤſſe rauſchen;
er kuͤndige das Vergnuͤgen der Kuͤhlung an, und errege Sehnſucht nach Ruhe. Auf
einem mit Weinreben, mit Quitſchern und andern beerentragenden Baͤumen und
Straͤuchern bekraͤnzten Huͤgel, zwiſchen Gebuͤſchen, die das Vergnuͤgen des Vogel-
fangs gewaͤhren, erſcheine der Tempel des Herbſtes, von der milden Heiterkeit des
Lichts umfloſſen. An dem weſtlichen Abhange einer Anhoͤhe, an deren Fuß ſich ein
klares Waſſer hinſchlaͤngelt, ruhe zwiſchen luftigen Gruppen wohlriechender Geſtraͤu-
che der Tempel des Abends nachlaͤßig und einſam.

4.

Dieſe Bemerkungen haben keine andere Abſicht, als dem Gartenkuͤnſtler blos
die Bahn zu Erfindungen zu zeigen, die er zu einem neuen Ruhm ſelbſt betreten kann;
denn hier iſt die Quelle faſt unerſchoͤpflich. Es laͤßt ſich eine Mannigfaltigkeit von
Anlagen und Verzierungen gewinnen, die nur von einer geſunden Beurtheilungskraft
beherrſcht werden duͤrfen, um noch immer jedem eigenthuͤmlichen Charakter der ver-
ſchiedenen Zeiten des Jahres und des Tages getreu zu bleiben. Und dieſer Charakter
kann nicht blos durch die umliegende Scene angedeutet werden, ſondern auch durch
das Eigenthuͤmliche der Architektur, und durch Verzierungen von einer beſtimmten
Bezeichnung.

Sinnbilder, die andeuten und die Ungewißheit aufheben, ſind hier anſtaͤndiger
als Inſchriften, und bieten ſich mannigfaltiger an; und die Verzierungen erhalten
unſtreitig einen groͤſſern Werth, wenn ſie zugleich allegoriſche Bilder ſind. Sie
ſchicken ſich an verſchiedenen Theilen der Gebaͤude, am meiſten an der Vorderſeite und
in dem Fries. Sie muͤſſen das Verdienſt der Einfalt und der Deutlichkeit haben,

aus
K 3
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[77/0081] Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen. der beginnen. Auf der Spitze des anmuthigſten und heiterſten Huͤgels ſteige der Tem- pel des Morgens, leicht, luftig und reizend erbauet, dem Glanz der heraufglimmen- den Morgenroͤthe entgegen, umkraͤnzt von nahen Gewaͤſſern und Gebuͤſchen, welche die praͤchtigen Schauſpiele des umherwallenden Lichts vervielfaͤltigen. Zwiſchen glaͤn- zenden Blumen und Pflanzen, die mit ſchwelgeriſchem Wachsthum emporſchießen, zwiſchen Gebuͤſchen von Obſtbaͤumen, deren reifende Fruͤchte mit mannigfaltigen Ge- ſtalten und Farben von Zweig zu Zweig ſich im reizenden Gemiſch verbreiten, hebe ſich reich und edel der Tempel des Sommers empor. Auf einem Abhange, den der brennende Strahl nicht trifft, ziehe ſich der Tempel des Mittags in den Schatten hoher und dickbelaubter Baͤume hin, zwiſchen welchen kleine Waſſerguͤſſe rauſchen; er kuͤndige das Vergnuͤgen der Kuͤhlung an, und errege Sehnſucht nach Ruhe. Auf einem mit Weinreben, mit Quitſchern und andern beerentragenden Baͤumen und Straͤuchern bekraͤnzten Huͤgel, zwiſchen Gebuͤſchen, die das Vergnuͤgen des Vogel- fangs gewaͤhren, erſcheine der Tempel des Herbſtes, von der milden Heiterkeit des Lichts umfloſſen. An dem weſtlichen Abhange einer Anhoͤhe, an deren Fuß ſich ein klares Waſſer hinſchlaͤngelt, ruhe zwiſchen luftigen Gruppen wohlriechender Geſtraͤu- che der Tempel des Abends nachlaͤßig und einſam. 4. Dieſe Bemerkungen haben keine andere Abſicht, als dem Gartenkuͤnſtler blos die Bahn zu Erfindungen zu zeigen, die er zu einem neuen Ruhm ſelbſt betreten kann; denn hier iſt die Quelle faſt unerſchoͤpflich. Es laͤßt ſich eine Mannigfaltigkeit von Anlagen und Verzierungen gewinnen, die nur von einer geſunden Beurtheilungskraft beherrſcht werden duͤrfen, um noch immer jedem eigenthuͤmlichen Charakter der ver- ſchiedenen Zeiten des Jahres und des Tages getreu zu bleiben. Und dieſer Charakter kann nicht blos durch die umliegende Scene angedeutet werden, ſondern auch durch das Eigenthuͤmliche der Architektur, und durch Verzierungen von einer beſtimmten Bezeichnung. Sinnbilder, die andeuten und die Ungewißheit aufheben, ſind hier anſtaͤndiger als Inſchriften, und bieten ſich mannigfaltiger an; und die Verzierungen erhalten unſtreitig einen groͤſſern Werth, wenn ſie zugleich allegoriſche Bilder ſind. Sie ſchicken ſich an verſchiedenen Theilen der Gebaͤude, am meiſten an der Vorderſeite und in dem Fries. Sie muͤſſen das Verdienſt der Einfalt und der Deutlichkeit haben, aus K 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/81>, abgerufen am 21.11.2024.