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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten
Fall so nahe zu seyn, als möglich, traten wir in einen Fischerkahn und fuhren über
den Strom hinüber. Als das Boot lange genug hinabgerudert war, um hernach in
die Diagonale zu kommen, zog das Wasser wenige Ruthen von der Tiefe des Falls
den Kahn außerordentlich schnell und heftig hinüber. Da stiegen wir aus und gien-
gen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man über Terrassen herab,
da ist ein kleines hölzernes Häuschen an der Felsenwand gebaut, in dieses tritt man
hinein, und ist alsdann dem Sturz des Stroms so nahe, als man ohne Gefahr kom-
men kann. Und hier versteht einer des andern Worte nicht mehr. So rauschts, so
lärmts, so schlägts und donnerts hier! Man meynt, mit einem ewigen, unaufhörli-
chen, tausendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu seyn. Man glaubt, in
eine große und breite Straße von Milch hinabzusehen, die sich aus unerschöpflichen
Abgründen immer mehr und mehr ergießt. Da kann man die Millionen einzelner
Parabeln von Wasser, die auf und unter einander entstehen, und im Augenblick weg-
gedrängt von andern Millionen aufspringender Wassersäulen in einander fließen, selber
Schaum sind, und Schaum bleiben, bis sie die Felsenbahn hinabgeraset sind, unter-
scheiden. Aber unmöglich ist es auch hier, den feinen Wasserstaub genauer zu bemer-
ken. Man sieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er steigt, gleich dünnen
Wolken, in die Höhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, trägt ihn da-
von, und empfängt gleich wieder neuaufgestäubtes Wasser; aber der feinste Puder ist
grober Sand gegen diese äußerst subtilisirte Wasserkügelchen. Dies alles zusammen-
genommen begeisterte mich und meinen Gefährten. Wir wagten etwas, das nicht
zur Nachahmung erzählt wird, und das wir nachher fast bereueten, als wir bey küh-
lerm Blute daran dachten. Wir hatten Lust an der Felsenwand noch höher hinauf-
zuklettern, und von oben herab in den stürzenden Strom zu schauen. Das Häus-
chen ist durch hölzerne Stangen, die an den Klippen zur Seite hinauflaufen, an der
Wand des Berges befestigt. Der Bediente mußte unsre Hüte halten, weil sie sonst
der oben heftig wehende Wind davon geführt hätte. Ob er uns nicht auch nehmen
würde, daran dachten wir nicht, auch nicht, wie wir wieder herabkommen würden;
wir kletterten an den schmalen hölzernen Stangen, hart neben dem Sturz, noch etwa
hundert Schuhe höher hinauf, und sahen nun von oben immer deutlicher in den beson-
ders mächtigen ersten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht sahen, nur
vermuthen konnten, viele Felsenzacken, an welchen das Wasser schrecklich anprellt, und
sich über das Gewinde und Klippen hinüber arbeiten muß. Man stelle sich einen
wellenwerfenden Ocean von siedender und schäumender Milch vor. Als ich hinabsahe
in die große Scene der Natur, da nahm sie mir alle Sprache. Ich konnte nicht
mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und hohen Jubel rufen; alle Sinne vergiengen,

und

Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
Fall ſo nahe zu ſeyn, als moͤglich, traten wir in einen Fiſcherkahn und fuhren uͤber
den Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgerudert war, um hernach in
die Diagonale zu kommen, zog das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls
den Kahn außerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da ſtiegen wir aus und gien-
gen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber Terraſſen herab,
da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man
hinein, und iſt alsdann dem Sturz des Stroms ſo nahe, als man ohne Gefahr kom-
men kann. Und hier verſteht einer des andern Worte nicht mehr. So rauſchts, ſo
laͤrmts, ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meynt, mit einem ewigen, unaufhoͤrli-
chen, tauſendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in
eine große und breite Straße von Milch hinabzuſehen, die ſich aus unerſchoͤpflichen
Abgruͤnden immer mehr und mehr ergießt. Da kann man die Millionen einzelner
Parabeln von Waſſer, die auf und unter einander entſtehen, und im Augenblick weg-
gedraͤngt von andern Millionen aufſpringender Waſſerſaͤulen in einander fließen, ſelber
Schaum ſind, und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn hinabgeraſet ſind, unter-
ſcheiden. Aber unmoͤglich iſt es auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemer-
ken. Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt, gleich duͤnnen
Wolken, in die Hoͤhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn da-
von, und empfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer; aber der feinſte Puder iſt
grober Sand gegen dieſe aͤußerſt ſubtiliſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammen-
genommen begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten etwas, das nicht
zur Nachahmung erzaͤhlt wird, und das wir nachher faſt bereueten, als wir bey kuͤh-
lerm Blute daran dachten. Wir hatten Luſt an der Felſenwand noch hoͤher hinauf-
zuklettern, und von oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das Haͤus-
chen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen zur Seite hinauflaufen, an der
Wand des Berges befeſtigt. Der Bediente mußte unſre Huͤte halten, weil ſie ſonſt
der oben heftig wehende Wind davon gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen
wuͤrde, daran dachten wir nicht, auch nicht, wie wir wieder herabkommen wuͤrden;
wir kletterten an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem Sturz, noch etwa
hundert Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen nun von oben immer deutlicher in den beſon-
ders maͤchtigen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht ſahen, nur
vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und
ſich uͤber das Gewinde und Klippen hinuͤber arbeiten muß. Man ſtelle ſich einen
wellenwerfenden Ocean von ſiedender und ſchaͤumender Milch vor. Als ich hinabſahe
in die große Scene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache. Ich konnte nicht
mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und hohen Jubel rufen; alle Sinne vergiengen,

und
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[96/0100] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten Fall ſo nahe zu ſeyn, als moͤglich, traten wir in einen Fiſcherkahn und fuhren uͤber den Strom hinuͤber. Als das Boot lange genug hinabgerudert war, um hernach in die Diagonale zu kommen, zog das Waſſer wenige Ruthen von der Tiefe des Falls den Kahn außerordentlich ſchnell und heftig hinuͤber. Da ſtiegen wir aus und gien- gen an dem Berge rechter Hand hinauf; alsdann kommt man uͤber Terraſſen herab, da iſt ein kleines hoͤlzernes Haͤuschen an der Felſenwand gebaut, in dieſes tritt man hinein, und iſt alsdann dem Sturz des Stroms ſo nahe, als man ohne Gefahr kom- men kann. Und hier verſteht einer des andern Worte nicht mehr. So rauſchts, ſo laͤrmts, ſo ſchlaͤgts und donnerts hier! Man meynt, mit einem ewigen, unaufhoͤrli- chen, tauſendmal wiederhallenden Donnerwetter umgeben zu ſeyn. Man glaubt, in eine große und breite Straße von Milch hinabzuſehen, die ſich aus unerſchoͤpflichen Abgruͤnden immer mehr und mehr ergießt. Da kann man die Millionen einzelner Parabeln von Waſſer, die auf und unter einander entſtehen, und im Augenblick weg- gedraͤngt von andern Millionen aufſpringender Waſſerſaͤulen in einander fließen, ſelber Schaum ſind, und Schaum bleiben, bis ſie die Felſenbahn hinabgeraſet ſind, unter- ſcheiden. Aber unmoͤglich iſt es auch hier, den feinen Waſſerſtaub genauer zu bemer- ken. Man ſieht ihn, man wird unmerklich naß davon, er ſteigt, gleich duͤnnen Wolken, in die Hoͤhe, und Wolken auf Wolken; der Wind faßt ihn, traͤgt ihn da- von, und empfaͤngt gleich wieder neuaufgeſtaͤubtes Waſſer; aber der feinſte Puder iſt grober Sand gegen dieſe aͤußerſt ſubtiliſirte Waſſerkuͤgelchen. Dies alles zuſammen- genommen begeiſterte mich und meinen Gefaͤhrten. Wir wagten etwas, das nicht zur Nachahmung erzaͤhlt wird, und das wir nachher faſt bereueten, als wir bey kuͤh- lerm Blute daran dachten. Wir hatten Luſt an der Felſenwand noch hoͤher hinauf- zuklettern, und von oben herab in den ſtuͤrzenden Strom zu ſchauen. Das Haͤus- chen iſt durch hoͤlzerne Stangen, die an den Klippen zur Seite hinauflaufen, an der Wand des Berges befeſtigt. Der Bediente mußte unſre Huͤte halten, weil ſie ſonſt der oben heftig wehende Wind davon gefuͤhrt haͤtte. Ob er uns nicht auch nehmen wuͤrde, daran dachten wir nicht, auch nicht, wie wir wieder herabkommen wuͤrden; wir kletterten an den ſchmalen hoͤlzernen Stangen, hart neben dem Sturz, noch etwa hundert Schuhe hoͤher hinauf, und ſahen nun von oben immer deutlicher in den beſon- ders maͤchtigen erſten Wirbel, und erblickten da, was wir unten nicht ſahen, nur vermuthen konnten, viele Felſenzacken, an welchen das Waſſer ſchrecklich anprellt, und ſich uͤber das Gewinde und Klippen hinuͤber arbeiten muß. Man ſtelle ſich einen wellenwerfenden Ocean von ſiedender und ſchaͤumender Milch vor. Als ich hinabſahe in die große Scene der Natur, da nahm ſie mir alle Sprache. Ich konnte nicht mehr jauchzen, nicht mehr Jubel und hohen Jubel rufen; alle Sinne vergiengen, und

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/100>, abgerufen am 18.12.2024.