Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite

nach dem Charakter der Gegenden.
und alle Gedanken schwanden. Ganz deutlich weiß ich mich noch der Minuten zu er-
innern, wo ich wirklich nichts mehr sah und hörte, alles Selbstgefühl verlor, und nur
schwebend hieng über dem prachtvollen Abgrund. Ich bildete mir ein, als ich wieder
aufsah, ich hätte die Natur in ihrer Geburtsstunde angetroffen. So mag etwa Erde
und Meer gebraust, getobt, gewütet haben, als die gebärende Natur den Rhein und
den Savannah aus ihrem allmächtigen Becken ausgoß, und ihnen diese Riegel, diese
Dämme, diese Felsenwände entgegen pflanzte!

c.
Verschiedene Grotten in Irland und Großbritannien.

Zu Skeheenringky*) an der Landstraße zwischen Cahir und diesem Ort ist
eine romantische Grotte. Der Eingang zu derselben ist ein Riß in einem Hügel von
Kalkstein, und so enge, daß man kaum hineinkommen kann. Man steigt auf einer
Leiter von etwa zwanzig Stufen hinunter, und befindet sich in einem Gewölbe von hun-
dert Fuß lang und funfzig bis sechzig Fuß hoch. Eine kleine Höhle geht von hier ab,
in einem krummen Gange, auf eine halbe irländische Meile mit so vieler Abwechse-
lung, daß man sie nicht ohne große Bewunderung betrachten kann. An einigen
Stellen ist die Höhle in dem Felsen so weit, daß, wenn sie mit Lichtern wohl erleuchtet
wird, sie das Ansehen des Gewölbes einer Kathedralkirche hat, das von dicken Säu-
len unterstützt wird. Wände, Decke, Boden und Pfeiler sind wechselsweile von aller-
ley phantastischen Gestalten und oft sehr schön mit Bergkrystall überzogen, an einigen
Stellen schimmert es so sehr, als ob es mit Diamanten besäet wäre; an andern ist die
Decke von der Art des Bergkrystalls, der mit einem Blumenkohl so viel ähnliches hat.
Der, welcher durch das Herabtröpfeln des Wassers sich zu Säulen bildet, hat einige
regelmäßige Gestalten angenommen; andere Stellen hingegen sehen wie ein gefaltetes
glänzendes Tuch aus. Die Winkel der Mauern scheinen voll Eiszapfen zu hängen.
Eine sehr lange Abtheilung der Höhle nach Norden hin ist an einigen Stellen so enge
und niedrig, daß man durchkriechen muß; und mit einmal ist man wieder in einem
großen gewölbten Raum. In dieser ganzen Höhle ist der Bergkrystall sehr glänzend
und meist dem Bristoler Stein gleich. Auf einige hundert Yarden in der größten
Abtheilung der Höhle ist ein tiefes Wasser im Grunde des Abhangs zur Rechten, wel-
ches das Volk den Fluß nennet. Ein Theil des Weges geht über eine Art von Tö-

pferleim,
*) Youngs Reisen durch Irland etc. 1ster Th. S. 597.
IV Band. N

nach dem Charakter der Gegenden.
und alle Gedanken ſchwanden. Ganz deutlich weiß ich mich noch der Minuten zu er-
innern, wo ich wirklich nichts mehr ſah und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur
ſchwebend hieng uͤber dem prachtvollen Abgrund. Ich bildete mir ein, als ich wieder
aufſah, ich haͤtte die Natur in ihrer Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde
und Meer gebrauſt, getobt, gewuͤtet haben, als die gebaͤrende Natur den Rhein und
den Savannah aus ihrem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel, dieſe
Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegen pflanzte!

c.
Verſchiedene Grotten in Irland und Großbritannien.

Zu Skeheenringky*) an der Landſtraße zwiſchen Cahir und dieſem Ort iſt
eine romantiſche Grotte. Der Eingang zu derſelben iſt ein Riß in einem Huͤgel von
Kalkſtein, und ſo enge, daß man kaum hineinkommen kann. Man ſteigt auf einer
Leiter von etwa zwanzig Stufen hinunter, und befindet ſich in einem Gewoͤlbe von hun-
dert Fuß lang und funfzig bis ſechzig Fuß hoch. Eine kleine Hoͤhle geht von hier ab,
in einem krummen Gange, auf eine halbe irlaͤndiſche Meile mit ſo vieler Abwechſe-
lung, daß man ſie nicht ohne große Bewunderung betrachten kann. An einigen
Stellen iſt die Hoͤhle in dem Felſen ſo weit, daß, wenn ſie mit Lichtern wohl erleuchtet
wird, ſie das Anſehen des Gewoͤlbes einer Kathedralkirche hat, das von dicken Saͤu-
len unterſtuͤtzt wird. Waͤnde, Decke, Boden und Pfeiler ſind wechſelsweile von aller-
ley phantaſtiſchen Geſtalten und oft ſehr ſchoͤn mit Bergkryſtall uͤberzogen, an einigen
Stellen ſchimmert es ſo ſehr, als ob es mit Diamanten beſaͤet waͤre; an andern iſt die
Decke von der Art des Bergkryſtalls, der mit einem Blumenkohl ſo viel aͤhnliches hat.
Der, welcher durch das Herabtroͤpfeln des Waſſers ſich zu Saͤulen bildet, hat einige
regelmaͤßige Geſtalten angenommen; andere Stellen hingegen ſehen wie ein gefaltetes
glaͤnzendes Tuch aus. Die Winkel der Mauern ſcheinen voll Eiszapfen zu haͤngen.
Eine ſehr lange Abtheilung der Hoͤhle nach Norden hin iſt an einigen Stellen ſo enge
und niedrig, daß man durchkriechen muß; und mit einmal iſt man wieder in einem
großen gewoͤlbten Raum. In dieſer ganzen Hoͤhle iſt der Bergkryſtall ſehr glaͤnzend
und meiſt dem Briſtoler Stein gleich. Auf einige hundert Yarden in der groͤßten
Abtheilung der Hoͤhle iſt ein tiefes Waſſer im Grunde des Abhangs zur Rechten, wel-
ches das Volk den Fluß nennet. Ein Theil des Weges geht uͤber eine Art von Toͤ-

pferleim,
*) Youngs Reiſen durch Irland ꝛc. 1ſter Th. S. 597.
IV Band. N
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <div n="5">
              <p><pb facs="#f0101" n="97"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nach dem Charakter der Gegenden.</hi></fw><lb/>
und alle Gedanken &#x017F;chwanden. Ganz deutlich weiß ich mich noch der Minuten zu er-<lb/>
innern, wo ich wirklich nichts mehr &#x017F;ah und ho&#x0364;rte, alles Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl verlor, und nur<lb/>
&#x017F;chwebend hieng u&#x0364;ber dem prachtvollen Abgrund. Ich bildete mir ein, als ich wieder<lb/>
auf&#x017F;ah, ich ha&#x0364;tte die Natur in ihrer Geburts&#x017F;tunde angetroffen. So mag etwa Erde<lb/>
und Meer gebrau&#x017F;t, getobt, gewu&#x0364;tet haben, als die geba&#x0364;rende Natur den <hi rendition="#fr">Rhein</hi> und<lb/>
den <hi rendition="#fr">Savannah</hi> aus ihrem allma&#x0364;chtigen Becken ausgoß, und ihnen die&#x017F;e Riegel, die&#x017F;e<lb/>
Da&#x0364;mme, die&#x017F;e Fel&#x017F;enwa&#x0364;nde entgegen pflanzte!</p>
            </div><lb/>
            <div n="5">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">c.</hi><lb/>
Ver&#x017F;chiedene Grotten in Irland und Großbritannien.</hi> </head><lb/>
              <p>Zu <hi rendition="#fr">Skeheenringky</hi><note place="foot" n="*)">Youngs Rei&#x017F;en durch Irland &#xA75B;c. 1&#x017F;ter Th. S. 597.</note> an der Land&#x017F;traße zwi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Cahir</hi> und die&#x017F;em Ort i&#x017F;t<lb/>
eine romanti&#x017F;che Grotte. Der Eingang zu der&#x017F;elben i&#x017F;t ein Riß in einem Hu&#x0364;gel von<lb/>
Kalk&#x017F;tein, und &#x017F;o enge, daß man kaum hineinkommen kann. Man &#x017F;teigt auf einer<lb/>
Leiter von etwa zwanzig Stufen hinunter, und befindet &#x017F;ich in einem Gewo&#x0364;lbe von hun-<lb/>
dert Fuß lang und funfzig bis &#x017F;echzig Fuß hoch. Eine kleine Ho&#x0364;hle geht von hier ab,<lb/>
in einem krummen Gange, auf eine halbe irla&#x0364;ndi&#x017F;che Meile mit &#x017F;o vieler Abwech&#x017F;e-<lb/>
lung, daß man &#x017F;ie nicht ohne große Bewunderung betrachten kann. An einigen<lb/>
Stellen i&#x017F;t die Ho&#x0364;hle in dem Fel&#x017F;en &#x017F;o weit, daß, wenn &#x017F;ie mit Lichtern wohl erleuchtet<lb/>
wird, &#x017F;ie das An&#x017F;ehen des Gewo&#x0364;lbes einer Kathedralkirche hat, das von dicken Sa&#x0364;u-<lb/>
len unter&#x017F;tu&#x0364;tzt wird. Wa&#x0364;nde, Decke, Boden und Pfeiler &#x017F;ind wech&#x017F;elsweile von aller-<lb/>
ley phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Ge&#x017F;talten und oft &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n mit Bergkry&#x017F;tall u&#x0364;berzogen, an einigen<lb/>
Stellen &#x017F;chimmert es &#x017F;o &#x017F;ehr, als ob es mit Diamanten be&#x017F;a&#x0364;et wa&#x0364;re; an andern i&#x017F;t die<lb/>
Decke von der Art des Bergkry&#x017F;talls, der mit einem Blumenkohl &#x017F;o viel a&#x0364;hnliches hat.<lb/>
Der, welcher durch das Herabtro&#x0364;pfeln des Wa&#x017F;&#x017F;ers &#x017F;ich zu Sa&#x0364;ulen bildet, hat einige<lb/>
regelma&#x0364;ßige Ge&#x017F;talten angenommen; andere Stellen hingegen &#x017F;ehen wie ein gefaltetes<lb/>
gla&#x0364;nzendes Tuch aus. Die Winkel der Mauern &#x017F;cheinen voll Eiszapfen zu ha&#x0364;ngen.<lb/>
Eine &#x017F;ehr lange Abtheilung der Ho&#x0364;hle nach Norden hin i&#x017F;t an einigen Stellen &#x017F;o enge<lb/>
und niedrig, daß man durchkriechen muß; und mit einmal i&#x017F;t man wieder in einem<lb/>
großen gewo&#x0364;lbten Raum. In die&#x017F;er ganzen Ho&#x0364;hle i&#x017F;t der Bergkry&#x017F;tall &#x017F;ehr gla&#x0364;nzend<lb/>
und mei&#x017F;t dem <hi rendition="#fr">Bri&#x017F;toler</hi> Stein gleich. Auf einige hundert Yarden in der gro&#x0364;ßten<lb/>
Abtheilung der Ho&#x0364;hle i&#x017F;t ein tiefes Wa&#x017F;&#x017F;er im Grunde des Abhangs zur Rechten, wel-<lb/>
ches das Volk den Fluß nennet. Ein Theil des Weges geht u&#x0364;ber eine Art von To&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">pferleim,</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> N</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0101] nach dem Charakter der Gegenden. und alle Gedanken ſchwanden. Ganz deutlich weiß ich mich noch der Minuten zu er- innern, wo ich wirklich nichts mehr ſah und hoͤrte, alles Selbſtgefuͤhl verlor, und nur ſchwebend hieng uͤber dem prachtvollen Abgrund. Ich bildete mir ein, als ich wieder aufſah, ich haͤtte die Natur in ihrer Geburtsſtunde angetroffen. So mag etwa Erde und Meer gebrauſt, getobt, gewuͤtet haben, als die gebaͤrende Natur den Rhein und den Savannah aus ihrem allmaͤchtigen Becken ausgoß, und ihnen dieſe Riegel, dieſe Daͤmme, dieſe Felſenwaͤnde entgegen pflanzte! c. Verſchiedene Grotten in Irland und Großbritannien. Zu Skeheenringky *) an der Landſtraße zwiſchen Cahir und dieſem Ort iſt eine romantiſche Grotte. Der Eingang zu derſelben iſt ein Riß in einem Huͤgel von Kalkſtein, und ſo enge, daß man kaum hineinkommen kann. Man ſteigt auf einer Leiter von etwa zwanzig Stufen hinunter, und befindet ſich in einem Gewoͤlbe von hun- dert Fuß lang und funfzig bis ſechzig Fuß hoch. Eine kleine Hoͤhle geht von hier ab, in einem krummen Gange, auf eine halbe irlaͤndiſche Meile mit ſo vieler Abwechſe- lung, daß man ſie nicht ohne große Bewunderung betrachten kann. An einigen Stellen iſt die Hoͤhle in dem Felſen ſo weit, daß, wenn ſie mit Lichtern wohl erleuchtet wird, ſie das Anſehen des Gewoͤlbes einer Kathedralkirche hat, das von dicken Saͤu- len unterſtuͤtzt wird. Waͤnde, Decke, Boden und Pfeiler ſind wechſelsweile von aller- ley phantaſtiſchen Geſtalten und oft ſehr ſchoͤn mit Bergkryſtall uͤberzogen, an einigen Stellen ſchimmert es ſo ſehr, als ob es mit Diamanten beſaͤet waͤre; an andern iſt die Decke von der Art des Bergkryſtalls, der mit einem Blumenkohl ſo viel aͤhnliches hat. Der, welcher durch das Herabtroͤpfeln des Waſſers ſich zu Saͤulen bildet, hat einige regelmaͤßige Geſtalten angenommen; andere Stellen hingegen ſehen wie ein gefaltetes glaͤnzendes Tuch aus. Die Winkel der Mauern ſcheinen voll Eiszapfen zu haͤngen. Eine ſehr lange Abtheilung der Hoͤhle nach Norden hin iſt an einigen Stellen ſo enge und niedrig, daß man durchkriechen muß; und mit einmal iſt man wieder in einem großen gewoͤlbten Raum. In dieſer ganzen Hoͤhle iſt der Bergkryſtall ſehr glaͤnzend und meiſt dem Briſtoler Stein gleich. Auf einige hundert Yarden in der groͤßten Abtheilung der Hoͤhle iſt ein tiefes Waſſer im Grunde des Abhangs zur Rechten, wel- ches das Volk den Fluß nennet. Ein Theil des Weges geht uͤber eine Art von Toͤ- pferleim, *) Youngs Reiſen durch Irland ꝛc. 1ſter Th. S. 597. IV Band. N

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/101
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/101>, abgerufen am 18.12.2024.