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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten
zenlose Fläche des Meers, so weit als das Auge reicht; diese wird in einer Weite von
zehn (engl.) Meilen durch einen kleinen Felsen unterbrochen, worauf sich ein Leucht-
thurm befindet, der gleichsam von Natur da sieht. Er heißt Eddig-stone, und ist,
seiner Entfernung ungeachtet, sehr sichtbar. Zur Linken sieht man von diesem Ge-
bäude die Insel St. Nikolas, die Citadelle, das Arsenal und die Stadt Plymouth.
Der Hafen ist mit Kriegs- und andern Schiffen von allerley Größe angefüllt, die
theils segeln, theils vor Anker liegen, und unzählige kleine Fahrzeuge rudern oder se-
geln beständig hin und her. Auf der Landseite übersieht man einen großen Strich der
fruchtbarsten Gegend, worinn Hügel und eine Menge kleiner Flüsse die angenehmste
Abwechselung machen. Unter den Fenstern und beym Park sieht man Tannhirsche,
Rindvieh, Gänse, welsche Hüner und anderes Vieh auf grünem Rasen, der mit ei-
nem runden Spatziergang eingefaßt ist, in ruhiger Stille weiden, welches einen arti-
gen Contrast mit dem Getümmel des Hafens macht.

Rosline bey Edinburg. *)

Eine englische Landschaft zeigt die ausgebesserte und cultivirte Natur. Ob sie
gleich oft ungemein romantisch ist, so fällt sie doch überhaupt zu sehr ins Kleine, und
der Prospect ist zu eingeschränkt. Das Auge faßt das Ganze sehr bequem mit einem
einzigen Blick. Aber in Schottland ist ein gewisser Charakter der Größe und Ma-
jestät in jedem Theile sichtbar. Die Natur scheint hier im Großen zu arbeiten; alle
ihre Werke sind kühn, stark, und die Verbesserungen der Kunst haben ihnen keine
Fesseln angelegt.

Man setze hinzu, daß der Anblick des Himmels eben so ausnehmend, und eben
so abwechselnd, als die Gestalt des Landes, ist. Die Winde, die hier mit besonderer
Gewaltsamkeit regieren, machen, daß die Luft die Stille und Heiterkeit nicht haben
kann, die allein ein gewisses ruhiges und munteres Ansehen giebt. Die von den un-
gestümen Stürmen herumgetriebene Wolken nehmen tausend eingebildete Gestalten
an, verändern sich eben so plötzlich, und stellen andere eben so seltsame Bilder dar.
Man darf sich daher über die wilde Einbildungskraft Ossians nicht wundern, der
Wesen von seiner eigenen Schöpfung aus ihnen macht; sie in Seelen abgeschiedener
Helden oder in böse Geister, die mit Tod und Verwüstung schwanger gehen,
verwandelt.

Die
*) Tophams Briefe von Edinburg geschrieben im Jahr 1774-75. etc. aus dem Engl.
8. 1777. 40ster Brief.

Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
zenloſe Flaͤche des Meers, ſo weit als das Auge reicht; dieſe wird in einer Weite von
zehn (engl.) Meilen durch einen kleinen Felſen unterbrochen, worauf ſich ein Leucht-
thurm befindet, der gleichſam von Natur da ſieht. Er heißt Eddig-ſtone, und iſt,
ſeiner Entfernung ungeachtet, ſehr ſichtbar. Zur Linken ſieht man von dieſem Ge-
baͤude die Inſel St. Nikolas, die Citadelle, das Arſenal und die Stadt Plymouth.
Der Hafen iſt mit Kriegs- und andern Schiffen von allerley Groͤße angefuͤllt, die
theils ſegeln, theils vor Anker liegen, und unzaͤhlige kleine Fahrzeuge rudern oder ſe-
geln beſtaͤndig hin und her. Auf der Landſeite uͤberſieht man einen großen Strich der
fruchtbarſten Gegend, worinn Huͤgel und eine Menge kleiner Fluͤſſe die angenehmſte
Abwechſelung machen. Unter den Fenſtern und beym Park ſieht man Tannhirſche,
Rindvieh, Gaͤnſe, welſche Huͤner und anderes Vieh auf gruͤnem Raſen, der mit ei-
nem runden Spatziergang eingefaßt iſt, in ruhiger Stille weiden, welches einen arti-
gen Contraſt mit dem Getuͤmmel des Hafens macht.

Rosline bey Edinburg. *)

Eine engliſche Landſchaft zeigt die ausgebeſſerte und cultivirte Natur. Ob ſie
gleich oft ungemein romantiſch iſt, ſo faͤllt ſie doch uͤberhaupt zu ſehr ins Kleine, und
der Proſpect iſt zu eingeſchraͤnkt. Das Auge faßt das Ganze ſehr bequem mit einem
einzigen Blick. Aber in Schottland iſt ein gewiſſer Charakter der Groͤße und Ma-
jeſtaͤt in jedem Theile ſichtbar. Die Natur ſcheint hier im Großen zu arbeiten; alle
ihre Werke ſind kuͤhn, ſtark, und die Verbeſſerungen der Kunſt haben ihnen keine
Feſſeln angelegt.

Man ſetze hinzu, daß der Anblick des Himmels eben ſo ausnehmend, und eben
ſo abwechſelnd, als die Geſtalt des Landes, iſt. Die Winde, die hier mit beſonderer
Gewaltſamkeit regieren, machen, daß die Luft die Stille und Heiterkeit nicht haben
kann, die allein ein gewiſſes ruhiges und munteres Anſehen giebt. Die von den un-
geſtuͤmen Stuͤrmen herumgetriebene Wolken nehmen tauſend eingebildete Geſtalten
an, veraͤndern ſich eben ſo ploͤtzlich, und ſtellen andere eben ſo ſeltſame Bilder dar.
Man darf ſich daher uͤber die wilde Einbildungskraft Oſſians nicht wundern, der
Weſen von ſeiner eigenen Schoͤpfung aus ihnen macht; ſie in Seelen abgeſchiedener
Helden oder in boͤſe Geiſter, die mit Tod und Verwuͤſtung ſchwanger gehen,
verwandelt.

Die
*) Tophams Briefe von Edinburg geſchrieben im Jahr 1774-75. ꝛc. aus dem Engl.
8. 1777. 40ſter Brief.
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[118/0122] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten zenloſe Flaͤche des Meers, ſo weit als das Auge reicht; dieſe wird in einer Weite von zehn (engl.) Meilen durch einen kleinen Felſen unterbrochen, worauf ſich ein Leucht- thurm befindet, der gleichſam von Natur da ſieht. Er heißt Eddig-ſtone, und iſt, ſeiner Entfernung ungeachtet, ſehr ſichtbar. Zur Linken ſieht man von dieſem Ge- baͤude die Inſel St. Nikolas, die Citadelle, das Arſenal und die Stadt Plymouth. Der Hafen iſt mit Kriegs- und andern Schiffen von allerley Groͤße angefuͤllt, die theils ſegeln, theils vor Anker liegen, und unzaͤhlige kleine Fahrzeuge rudern oder ſe- geln beſtaͤndig hin und her. Auf der Landſeite uͤberſieht man einen großen Strich der fruchtbarſten Gegend, worinn Huͤgel und eine Menge kleiner Fluͤſſe die angenehmſte Abwechſelung machen. Unter den Fenſtern und beym Park ſieht man Tannhirſche, Rindvieh, Gaͤnſe, welſche Huͤner und anderes Vieh auf gruͤnem Raſen, der mit ei- nem runden Spatziergang eingefaßt iſt, in ruhiger Stille weiden, welches einen arti- gen Contraſt mit dem Getuͤmmel des Hafens macht. Rosline bey Edinburg. *) Eine engliſche Landſchaft zeigt die ausgebeſſerte und cultivirte Natur. Ob ſie gleich oft ungemein romantiſch iſt, ſo faͤllt ſie doch uͤberhaupt zu ſehr ins Kleine, und der Proſpect iſt zu eingeſchraͤnkt. Das Auge faßt das Ganze ſehr bequem mit einem einzigen Blick. Aber in Schottland iſt ein gewiſſer Charakter der Groͤße und Ma- jeſtaͤt in jedem Theile ſichtbar. Die Natur ſcheint hier im Großen zu arbeiten; alle ihre Werke ſind kuͤhn, ſtark, und die Verbeſſerungen der Kunſt haben ihnen keine Feſſeln angelegt. Man ſetze hinzu, daß der Anblick des Himmels eben ſo ausnehmend, und eben ſo abwechſelnd, als die Geſtalt des Landes, iſt. Die Winde, die hier mit beſonderer Gewaltſamkeit regieren, machen, daß die Luft die Stille und Heiterkeit nicht haben kann, die allein ein gewiſſes ruhiges und munteres Anſehen giebt. Die von den un- geſtuͤmen Stuͤrmen herumgetriebene Wolken nehmen tauſend eingebildete Geſtalten an, veraͤndern ſich eben ſo ploͤtzlich, und ſtellen andere eben ſo ſeltſame Bilder dar. Man darf ſich daher uͤber die wilde Einbildungskraft Oſſians nicht wundern, der Weſen von ſeiner eigenen Schoͤpfung aus ihnen macht; ſie in Seelen abgeſchiedener Helden oder in boͤſe Geiſter, die mit Tod und Verwuͤſtung ſchwanger gehen, verwandelt. Die *) Tophams Briefe von Edinburg geſchrieben im Jahr 1774-75. ꝛc. aus dem Engl. 8. 1777. 40ſter Brief.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/122>, abgerufen am 30.11.2024.