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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Vierter Abschnitt. Gärten
Seite berühmt. Nach der Beschreibung des Hrn. de Lüc,*) der hier im Januar**)
ankam, ist sie ein überaus reizender Aufenthalt im Winter. Der Ort hat die ange-
nehmsten Spatziergänge. "Ich besuchte sie," schreibt er, "fast den ganzen Tag
hindurch. Die Luft ist mehr als gemäßigt, sie ist fast warm. Außer dem Hause
suchen wir den Schatten, und wenn wir zu Hause sind, so haben wir die Fenster vom
Morgen bis zum Abend offen. Nichts erinnert uns hier an den Winter. Die Pelze,
womit wir uns zur Reise hieher versehen hatten, hängen geruhig am Haken. Die
Felder sind allenthalben grün; die Vögel ergötzen durch ihren Gesang; der Jasmin,
der die eine Wand unsers Hauses bekleidet, ist schon ganz bereit, die Blüthen auf-
brechen zu lassen; die Veilchen, die Narcissen, der Rosmarin blühen schon und füllen
die Luft mit ihren angenehmen Düften; und auf unserm Tische sind schon Garten-
früchte, die wir um uns her im Ueberflusse wachsen sehen. Sobald man außerhalb
der Stadt ist, so glaubt man in dem fabelhaften hesperischen Garten zu seyn. Die
schönste heiterste Scene erhebt den Glanz von Millionen güldner Aepfel im schönsten
Grün eingefaßt, und macht diese Gegenden zu einem solchen Grade herrlich, daß man
zu träumen scheint. -- Dieser in den Augen nördlicher Nationen so glückliche Fleck
ist eine kleine, auch nach den See zu, mit Hügeln umgebene Ebne, in deren Nähe
kleine Inseln erhaben genug liegen, um zu scheinen, als wenn sie sich mit dem festen
Lande verbänden. Diese Einschließung ist selbst wieder nach der Nordseite durch ver-
schiedne andre Ketten höherer Hügel verwahrt, die als wahre Außenwerke gegen die
Kälte aussehn. Demnach kann die Sonne, die von ihrem Aufgange bis zum Un-
tergange in diesem herrlichen Thale herumreiset, ihre Kräfte darinn verstärken, ohne
daß entgegen wirkende Ursachen sie zu schwächen vermöchten. -- Auch sieht man hier
im offenen Felde, in der Mitte des Winters, Gewächse, die wir nur im Sommer
der freyen Luft anvertrauen. Die Pomeranzenbäume aber machen die wahre Herr-
lichkeit dieses Landes aus. Der Felsen des Schlosses von Hieres, der vormals die
Beschützung der Stadt war, dient jetzt diesen schönen Bäumen zum Schutze; sie
stehn in einem halben Zirkel unter seiner Bedeckung, ohngefähr in der Entfernung einer
halben Stunde, herum. Man findet sie in den Baumgärten gepflanzt, wie man
sonst Bäume in Wäldern sieht, in Haufen und mit wenig Ordnung. Sie wachsen
hier eben so hoch und sind eben so voll Früchte, wie die gewöhnlichen Fruchtbäume in
unsern Obstgärten. Das Auge kann sich an ihnen nicht satt sehen. Diese Gegend
ist der Wintergarten für einen Theil von Frankreich; man verschickt von hier, in alle
benachbarte Städte und selbst nach der Hauptstadt, Artischocken, junge Erbsen und

allerley
*) Brieft über die Berge und die Geschichte der Erde etc. 6ter Brief.
**) 1775.

Vierter Abſchnitt. Gaͤrten
Seite beruͤhmt. Nach der Beſchreibung des Hrn. de Luͤc,*) der hier im Januar**)
ankam, iſt ſie ein uͤberaus reizender Aufenthalt im Winter. Der Ort hat die ange-
nehmſten Spatziergaͤnge. „Ich beſuchte ſie,“ ſchreibt er, „faſt den ganzen Tag
hindurch. Die Luft iſt mehr als gemaͤßigt, ſie iſt faſt warm. Außer dem Hauſe
ſuchen wir den Schatten, und wenn wir zu Hauſe ſind, ſo haben wir die Fenſter vom
Morgen bis zum Abend offen. Nichts erinnert uns hier an den Winter. Die Pelze,
womit wir uns zur Reiſe hieher verſehen hatten, haͤngen geruhig am Haken. Die
Felder ſind allenthalben gruͤn; die Voͤgel ergoͤtzen durch ihren Geſang; der Jasmin,
der die eine Wand unſers Hauſes bekleidet, iſt ſchon ganz bereit, die Bluͤthen auf-
brechen zu laſſen; die Veilchen, die Narciſſen, der Rosmarin bluͤhen ſchon und fuͤllen
die Luft mit ihren angenehmen Duͤften; und auf unſerm Tiſche ſind ſchon Garten-
fruͤchte, die wir um uns her im Ueberfluſſe wachſen ſehen. Sobald man außerhalb
der Stadt iſt, ſo glaubt man in dem fabelhaften heſperiſchen Garten zu ſeyn. Die
ſchoͤnſte heiterſte Scene erhebt den Glanz von Millionen guͤldner Aepfel im ſchoͤnſten
Gruͤn eingefaßt, und macht dieſe Gegenden zu einem ſolchen Grade herrlich, daß man
zu traͤumen ſcheint. — Dieſer in den Augen noͤrdlicher Nationen ſo gluͤckliche Fleck
iſt eine kleine, auch nach den See zu, mit Huͤgeln umgebene Ebne, in deren Naͤhe
kleine Inſeln erhaben genug liegen, um zu ſcheinen, als wenn ſie ſich mit dem feſten
Lande verbaͤnden. Dieſe Einſchließung iſt ſelbſt wieder nach der Nordſeite durch ver-
ſchiedne andre Ketten hoͤherer Huͤgel verwahrt, die als wahre Außenwerke gegen die
Kaͤlte ausſehn. Demnach kann die Sonne, die von ihrem Aufgange bis zum Un-
tergange in dieſem herrlichen Thale herumreiſet, ihre Kraͤfte darinn verſtaͤrken, ohne
daß entgegen wirkende Urſachen ſie zu ſchwaͤchen vermoͤchten. — Auch ſieht man hier
im offenen Felde, in der Mitte des Winters, Gewaͤchſe, die wir nur im Sommer
der freyen Luft anvertrauen. Die Pomeranzenbaͤume aber machen die wahre Herr-
lichkeit dieſes Landes aus. Der Felſen des Schloſſes von Hieres, der vormals die
Beſchuͤtzung der Stadt war, dient jetzt dieſen ſchoͤnen Baͤumen zum Schutze; ſie
ſtehn in einem halben Zirkel unter ſeiner Bedeckung, ohngefaͤhr in der Entfernung einer
halben Stunde, herum. Man findet ſie in den Baumgaͤrten gepflanzt, wie man
ſonſt Baͤume in Waͤldern ſieht, in Haufen und mit wenig Ordnung. Sie wachſen
hier eben ſo hoch und ſind eben ſo voll Fruͤchte, wie die gewoͤhnlichen Fruchtbaͤume in
unſern Obſtgaͤrten. Das Auge kann ſich an ihnen nicht ſatt ſehen. Dieſe Gegend
iſt der Wintergarten fuͤr einen Theil von Frankreich; man verſchickt von hier, in alle
benachbarte Staͤdte und ſelbſt nach der Hauptſtadt, Artiſchocken, junge Erbſen und

allerley
*) Brieft uͤber die Berge und die Geſchichte der Erde ꝛc. 6ter Brief.
**) 1775.
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[162/0166] Vierter Abſchnitt. Gaͤrten Seite beruͤhmt. Nach der Beſchreibung des Hrn. de Luͤc, *) der hier im Januar **) ankam, iſt ſie ein uͤberaus reizender Aufenthalt im Winter. Der Ort hat die ange- nehmſten Spatziergaͤnge. „Ich beſuchte ſie,“ ſchreibt er, „faſt den ganzen Tag hindurch. Die Luft iſt mehr als gemaͤßigt, ſie iſt faſt warm. Außer dem Hauſe ſuchen wir den Schatten, und wenn wir zu Hauſe ſind, ſo haben wir die Fenſter vom Morgen bis zum Abend offen. Nichts erinnert uns hier an den Winter. Die Pelze, womit wir uns zur Reiſe hieher verſehen hatten, haͤngen geruhig am Haken. Die Felder ſind allenthalben gruͤn; die Voͤgel ergoͤtzen durch ihren Geſang; der Jasmin, der die eine Wand unſers Hauſes bekleidet, iſt ſchon ganz bereit, die Bluͤthen auf- brechen zu laſſen; die Veilchen, die Narciſſen, der Rosmarin bluͤhen ſchon und fuͤllen die Luft mit ihren angenehmen Duͤften; und auf unſerm Tiſche ſind ſchon Garten- fruͤchte, die wir um uns her im Ueberfluſſe wachſen ſehen. Sobald man außerhalb der Stadt iſt, ſo glaubt man in dem fabelhaften heſperiſchen Garten zu ſeyn. Die ſchoͤnſte heiterſte Scene erhebt den Glanz von Millionen guͤldner Aepfel im ſchoͤnſten Gruͤn eingefaßt, und macht dieſe Gegenden zu einem ſolchen Grade herrlich, daß man zu traͤumen ſcheint. — Dieſer in den Augen noͤrdlicher Nationen ſo gluͤckliche Fleck iſt eine kleine, auch nach den See zu, mit Huͤgeln umgebene Ebne, in deren Naͤhe kleine Inſeln erhaben genug liegen, um zu ſcheinen, als wenn ſie ſich mit dem feſten Lande verbaͤnden. Dieſe Einſchließung iſt ſelbſt wieder nach der Nordſeite durch ver- ſchiedne andre Ketten hoͤherer Huͤgel verwahrt, die als wahre Außenwerke gegen die Kaͤlte ausſehn. Demnach kann die Sonne, die von ihrem Aufgange bis zum Un- tergange in dieſem herrlichen Thale herumreiſet, ihre Kraͤfte darinn verſtaͤrken, ohne daß entgegen wirkende Urſachen ſie zu ſchwaͤchen vermoͤchten. — Auch ſieht man hier im offenen Felde, in der Mitte des Winters, Gewaͤchſe, die wir nur im Sommer der freyen Luft anvertrauen. Die Pomeranzenbaͤume aber machen die wahre Herr- lichkeit dieſes Landes aus. Der Felſen des Schloſſes von Hieres, der vormals die Beſchuͤtzung der Stadt war, dient jetzt dieſen ſchoͤnen Baͤumen zum Schutze; ſie ſtehn in einem halben Zirkel unter ſeiner Bedeckung, ohngefaͤhr in der Entfernung einer halben Stunde, herum. Man findet ſie in den Baumgaͤrten gepflanzt, wie man ſonſt Baͤume in Waͤldern ſieht, in Haufen und mit wenig Ordnung. Sie wachſen hier eben ſo hoch und ſind eben ſo voll Fruͤchte, wie die gewoͤhnlichen Fruchtbaͤume in unſern Obſtgaͤrten. Das Auge kann ſich an ihnen nicht ſatt ſehen. Dieſe Gegend iſt der Wintergarten fuͤr einen Theil von Frankreich; man verſchickt von hier, in alle benachbarte Staͤdte und ſelbſt nach der Hauptſtadt, Artiſchocken, junge Erbſen und allerley *) Brieft uͤber die Berge und die Geſchichte der Erde ꝛc. 6ter Brief. **) 1775.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/166>, abgerufen am 26.11.2024.