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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Unterschied der Jahreszeiten.
gemauerten hohen Wall führt, von dem man zuerst ausgegangen ist. Von diesem
Wege hat man einen Theil der hohen Seeküste gegen Genua im Gesicht, und das
offene Meer, über welches man bey hellem Wetter die Gebirge auf Corsica zu sehen
bekommt. Dieses ist der schönste Spatziergang, der sich erdenken läßt. Aber ein über
alle Beschreibung prächtiges Schauspiel hat man auf dem neuen Wege nach dem Hafen
bey etwas hoher See. Dies geben die an den hervorstehenden Klippen des Felsenber-
ges sich brechenden Wellen. Das schäumende Wasser springt nach dem Anprallen in
hundert Gestalten, wie prächtige Springbrunnen, in die Höhe. Ein Theil des Wassers
fällt auf die höhern und niedrigern Felsen von mannigfaltiger Form, und läuft davon
in hundert veränderten Cascaden wieder ab. Auf diese Springbrunnen und Cascaden
siehet man von dem hohen darüber liegenden Wege herunter, und siehet sich nicht satt.
Außer diesen Spatziergängen bey der Stadt kann der, welcher Abwechselung liebt, seine
Wege in die umliegenden Thäler und auf die Höhen nehmen. Hier ist die Mannig-
faltigkeit der Wege, der Aussichten und immer neuer Gegenstände unerschöpflich.
Man mag sich auf den Höhen befinden, wo es auch sey, so hat man eine Aussicht
von unbeschreiblicher Annehmlichkeit vor sich.

2.

Wie reizend ist nicht in diesen beglückten Gegenden der Aufenthalt, zumal für
sieche Personen, zu einer Zeit, wenn so viele Reiche des nördlichen Europa von Kälte
und Eis erstarrt liegen! Indessen haben doch da die übrigen Jahrszeiten nicht ganz
den Reiz, den man vielleicht nach der Anmuth des Winters erwartet. Wir, die
wir in Ländern wohnen, wo diese Jahreszeit sich in ihrer Strenge zeigt, wir müssen
suchen, uns gegen ihre Unbequemlichkeiten zu sichern, und zugleich von den ihr eige-
nen Annehmlichkeiten, womit sie zuweilen einige Tage oder Wochen erheitert, den
vortheilhaftesten Gebrauch zu machen. Wir haben einen Beruf, selbst gegen den
Eigensinn der Natur, uns Gärten des Winters zu schaffen.

Eben in den Ländern gegen Norden, wo die Strenge dieser Jahreszeit mehr
als anderswo zu herrschen pflegt, wird sie zugleich durch Annehmlichkeiten vergütet,
die Gegenden entbehren, wo ein zwar gelinder, aber trüber und ungesunder, Winter
unter Regen und Nebel dahin schleicht. Die Natur, die erstarrt ist, verliert noch
im Tode ihre Schönheit nicht; sie fängt an, sogar zu einem neuen Reiz sich wieder zu
verjüngern. Welche neue unerwartete Schöpfung erscheint oft am Morgen in dem
Schmuck des Reifes oder Schnees, und wie schimmert sie unter dem röthern Strahl
des aufgehenden Lichtes! Die Fläche des Erdbodens kleidet sich in ein weißes blen-

dendes
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nach dem Unterſchied der Jahreszeiten.
gemauerten hohen Wall fuͤhrt, von dem man zuerſt ausgegangen iſt. Von dieſem
Wege hat man einen Theil der hohen Seekuͤſte gegen Genua im Geſicht, und das
offene Meer, uͤber welches man bey hellem Wetter die Gebirge auf Corſica zu ſehen
bekommt. Dieſes iſt der ſchoͤnſte Spatziergang, der ſich erdenken laͤßt. Aber ein uͤber
alle Beſchreibung praͤchtiges Schauſpiel hat man auf dem neuen Wege nach dem Hafen
bey etwas hoher See. Dies geben die an den hervorſtehenden Klippen des Felſenber-
ges ſich brechenden Wellen. Das ſchaͤumende Waſſer ſpringt nach dem Anprallen in
hundert Geſtalten, wie praͤchtige Springbrunnen, in die Hoͤhe. Ein Theil des Waſſers
faͤllt auf die hoͤhern und niedrigern Felſen von mannigfaltiger Form, und laͤuft davon
in hundert veraͤnderten Caſcaden wieder ab. Auf dieſe Springbrunnen und Caſcaden
ſiehet man von dem hohen daruͤber liegenden Wege herunter, und ſiehet ſich nicht ſatt.
Außer dieſen Spatziergaͤngen bey der Stadt kann der, welcher Abwechſelung liebt, ſeine
Wege in die umliegenden Thaͤler und auf die Hoͤhen nehmen. Hier iſt die Mannig-
faltigkeit der Wege, der Ausſichten und immer neuer Gegenſtaͤnde unerſchoͤpflich.
Man mag ſich auf den Hoͤhen befinden, wo es auch ſey, ſo hat man eine Ausſicht
von unbeſchreiblicher Annehmlichkeit vor ſich.

2.

Wie reizend iſt nicht in dieſen begluͤckten Gegenden der Aufenthalt, zumal fuͤr
ſieche Perſonen, zu einer Zeit, wenn ſo viele Reiche des noͤrdlichen Europa von Kaͤlte
und Eis erſtarrt liegen! Indeſſen haben doch da die uͤbrigen Jahrszeiten nicht ganz
den Reiz, den man vielleicht nach der Anmuth des Winters erwartet. Wir, die
wir in Laͤndern wohnen, wo dieſe Jahreszeit ſich in ihrer Strenge zeigt, wir muͤſſen
ſuchen, uns gegen ihre Unbequemlichkeiten zu ſichern, und zugleich von den ihr eige-
nen Annehmlichkeiten, womit ſie zuweilen einige Tage oder Wochen erheitert, den
vortheilhafteſten Gebrauch zu machen. Wir haben einen Beruf, ſelbſt gegen den
Eigenſinn der Natur, uns Gaͤrten des Winters zu ſchaffen.

Eben in den Laͤndern gegen Norden, wo die Strenge dieſer Jahreszeit mehr
als anderswo zu herrſchen pflegt, wird ſie zugleich durch Annehmlichkeiten verguͤtet,
die Gegenden entbehren, wo ein zwar gelinder, aber truͤber und ungeſunder, Winter
unter Regen und Nebel dahin ſchleicht. Die Natur, die erſtarrt iſt, verliert noch
im Tode ihre Schoͤnheit nicht; ſie faͤngt an, ſogar zu einem neuen Reiz ſich wieder zu
verjuͤngern. Welche neue unerwartete Schoͤpfung erſcheint oft am Morgen in dem
Schmuck des Reifes oder Schnees, und wie ſchimmert ſie unter dem roͤthern Strahl
des aufgehenden Lichtes! Die Flaͤche des Erdbodens kleidet ſich in ein weißes blen-

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X 3
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[165/0169] nach dem Unterſchied der Jahreszeiten. gemauerten hohen Wall fuͤhrt, von dem man zuerſt ausgegangen iſt. Von dieſem Wege hat man einen Theil der hohen Seekuͤſte gegen Genua im Geſicht, und das offene Meer, uͤber welches man bey hellem Wetter die Gebirge auf Corſica zu ſehen bekommt. Dieſes iſt der ſchoͤnſte Spatziergang, der ſich erdenken laͤßt. Aber ein uͤber alle Beſchreibung praͤchtiges Schauſpiel hat man auf dem neuen Wege nach dem Hafen bey etwas hoher See. Dies geben die an den hervorſtehenden Klippen des Felſenber- ges ſich brechenden Wellen. Das ſchaͤumende Waſſer ſpringt nach dem Anprallen in hundert Geſtalten, wie praͤchtige Springbrunnen, in die Hoͤhe. Ein Theil des Waſſers faͤllt auf die hoͤhern und niedrigern Felſen von mannigfaltiger Form, und laͤuft davon in hundert veraͤnderten Caſcaden wieder ab. Auf dieſe Springbrunnen und Caſcaden ſiehet man von dem hohen daruͤber liegenden Wege herunter, und ſiehet ſich nicht ſatt. Außer dieſen Spatziergaͤngen bey der Stadt kann der, welcher Abwechſelung liebt, ſeine Wege in die umliegenden Thaͤler und auf die Hoͤhen nehmen. Hier iſt die Mannig- faltigkeit der Wege, der Ausſichten und immer neuer Gegenſtaͤnde unerſchoͤpflich. Man mag ſich auf den Hoͤhen befinden, wo es auch ſey, ſo hat man eine Ausſicht von unbeſchreiblicher Annehmlichkeit vor ſich. 2. Wie reizend iſt nicht in dieſen begluͤckten Gegenden der Aufenthalt, zumal fuͤr ſieche Perſonen, zu einer Zeit, wenn ſo viele Reiche des noͤrdlichen Europa von Kaͤlte und Eis erſtarrt liegen! Indeſſen haben doch da die uͤbrigen Jahrszeiten nicht ganz den Reiz, den man vielleicht nach der Anmuth des Winters erwartet. Wir, die wir in Laͤndern wohnen, wo dieſe Jahreszeit ſich in ihrer Strenge zeigt, wir muͤſſen ſuchen, uns gegen ihre Unbequemlichkeiten zu ſichern, und zugleich von den ihr eige- nen Annehmlichkeiten, womit ſie zuweilen einige Tage oder Wochen erheitert, den vortheilhafteſten Gebrauch zu machen. Wir haben einen Beruf, ſelbſt gegen den Eigenſinn der Natur, uns Gaͤrten des Winters zu ſchaffen. Eben in den Laͤndern gegen Norden, wo die Strenge dieſer Jahreszeit mehr als anderswo zu herrſchen pflegt, wird ſie zugleich durch Annehmlichkeiten verguͤtet, die Gegenden entbehren, wo ein zwar gelinder, aber truͤber und ungeſunder, Winter unter Regen und Nebel dahin ſchleicht. Die Natur, die erſtarrt iſt, verliert noch im Tode ihre Schoͤnheit nicht; ſie faͤngt an, ſogar zu einem neuen Reiz ſich wieder zu verjuͤngern. Welche neue unerwartete Schoͤpfung erſcheint oft am Morgen in dem Schmuck des Reifes oder Schnees, und wie ſchimmert ſie unter dem roͤthern Strahl des aufgehenden Lichtes! Die Flaͤche des Erdbodens kleidet ſich in ein weißes blen- dendes X 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/169>, abgerufen am 09.11.2024.