Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite

von Gärten.
Man erblickt, indem der Pfad sich hinanwindet, unvermuthet ein Waldhaus, der
Einsamkeit gewidmet. Es steht an einem völlig abgesonderten und einsamen Orte;
nirgends eine Aussicht in die Landgegend oder in freye Oeffnungen des Waldes; der
Blick ruhet überall auf nahen Gebüschen, die ihn von allen Seiten einschränken. Die
Bauart dieses Hauses trifft mit seiner Lage und Bestimmung überein; sie ist höchst
einfältig und fast roh, indem das ganze Werk blos aus Baumrinden und Tannzapfen
zusammengesetzt ist. Die Inschrift an einer Tafel über dem Eingange:
O! Einsamkeit! dürft ich mich dir ergeben!
Hier herrschest du im stillen Hayn.

ist ein Ausbruch der Sehnsucht des gerührten Städters, der hier das süße Glück der
Einsamkeit länger zu genießen wünscht, und sich ungern erinnert, daß ihn Geschäffte
in die Unruhen der Welt zurückrufen.

Indessen läßt ihn noch ein längerer Fortlauf des Waldes das sanfte Gefühl der
Einsamkeit unterhalten. Die Spatziergänge winden sich immer unter dem Schatten
der Ellern fort, und man fängt allmälig an, das Bedürfniß der Ruhe zu empfinden.
Das Auge wird von dem Scheine einer weißen Brücke gereizt, und bey der Annähe-
rung erblickt es an ihr diese Inschrift:
Gang des Müden.
Die Worte erquicken, indem sie die Erwartung erregen. An einem andern Orte be-
findet sich eine andre Brücke, die zum Ausgang dient, und mit dieser Inschrift be-
zeichnet ist:
Gang des Erquickten.
Die Brücke führt in ein ganz einsames, tief verschlossenes Revier, das in dem äußer-
sten Winkel dieses Parks liegt. Es ist von Wasser umgeben, und von dem Gedrän-
ge der Gebüsche so sehr versperret, daß das Auge nirgends durch die Laubvorhänge eine
Durchsicht findet. Schatten, Kühlung und Ruhe scheinen hier ihre Heimat zu ha-
ben. Das stille Wasser ist ganz von den dunkeln Ellern überschattet, und hilft das
Gefühl einer ruhigen Abgezogenheit und eine sanfte Versinkung der Seele in sich selbst
befördern. Alles ist Stille und ladet zur Stille ein. Indem man über die Brücke
hin in den Gang des Müden, der nur kurz ist, zu diesem Revier eingekehrt ist, wird
man bald den Tempel der Ruhe gewahr, der keine glücklichere Lage haben kann. Er
ist, an diesem ohnehin mit Schatten angefüllten Orte, überall von einer kühlen Däm-
merung herabhangender Zweige erfrischt. Seine Bauart ist nicht prächtig, aber an-

muthig;
E e 3

von Gaͤrten.
Man erblickt, indem der Pfad ſich hinanwindet, unvermuthet ein Waldhaus, der
Einſamkeit gewidmet. Es ſteht an einem voͤllig abgeſonderten und einſamen Orte;
nirgends eine Ausſicht in die Landgegend oder in freye Oeffnungen des Waldes; der
Blick ruhet uͤberall auf nahen Gebuͤſchen, die ihn von allen Seiten einſchraͤnken. Die
Bauart dieſes Hauſes trifft mit ſeiner Lage und Beſtimmung uͤberein; ſie iſt hoͤchſt
einfaͤltig und faſt roh, indem das ganze Werk blos aus Baumrinden und Tannzapfen
zuſammengeſetzt iſt. Die Inſchrift an einer Tafel uͤber dem Eingange:
O! Einſamkeit! duͤrft ich mich dir ergeben!
Hier herrſcheſt du im ſtillen Hayn.

iſt ein Ausbruch der Sehnſucht des geruͤhrten Staͤdters, der hier das ſuͤße Gluͤck der
Einſamkeit laͤnger zu genießen wuͤnſcht, und ſich ungern erinnert, daß ihn Geſchaͤffte
in die Unruhen der Welt zuruͤckrufen.

Indeſſen laͤßt ihn noch ein laͤngerer Fortlauf des Waldes das ſanfte Gefuͤhl der
Einſamkeit unterhalten. Die Spatziergaͤnge winden ſich immer unter dem Schatten
der Ellern fort, und man faͤngt allmaͤlig an, das Beduͤrfniß der Ruhe zu empfinden.
Das Auge wird von dem Scheine einer weißen Bruͤcke gereizt, und bey der Annaͤhe-
rung erblickt es an ihr dieſe Inſchrift:
Gang des Muͤden.
Die Worte erquicken, indem ſie die Erwartung erregen. An einem andern Orte be-
findet ſich eine andre Bruͤcke, die zum Ausgang dient, und mit dieſer Inſchrift be-
zeichnet iſt:
Gang des Erquickten.
Die Bruͤcke fuͤhrt in ein ganz einſames, tief verſchloſſenes Revier, das in dem aͤußer-
ſten Winkel dieſes Parks liegt. Es iſt von Waſſer umgeben, und von dem Gedraͤn-
ge der Gebuͤſche ſo ſehr verſperret, daß das Auge nirgends durch die Laubvorhaͤnge eine
Durchſicht findet. Schatten, Kuͤhlung und Ruhe ſcheinen hier ihre Heimat zu ha-
ben. Das ſtille Waſſer iſt ganz von den dunkeln Ellern uͤberſchattet, und hilft das
Gefuͤhl einer ruhigen Abgezogenheit und eine ſanfte Verſinkung der Seele in ſich ſelbſt
befoͤrdern. Alles iſt Stille und ladet zur Stille ein. Indem man uͤber die Bruͤcke
hin in den Gang des Muͤden, der nur kurz iſt, zu dieſem Revier eingekehrt iſt, wird
man bald den Tempel der Ruhe gewahr, der keine gluͤcklichere Lage haben kann. Er
iſt, an dieſem ohnehin mit Schatten angefuͤllten Orte, uͤberall von einer kuͤhlen Daͤm-
merung herabhangender Zweige erfriſcht. Seine Bauart iſt nicht praͤchtig, aber an-

muthig;
E e 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0225" n="221"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Ga&#x0364;rten.</hi></fw><lb/>
Man erblickt, indem der Pfad &#x017F;ich hinanwindet, unvermuthet ein Waldhaus, der<lb/>
Ein&#x017F;amkeit gewidmet. Es &#x017F;teht an einem vo&#x0364;llig abge&#x017F;onderten und ein&#x017F;amen Orte;<lb/>
nirgends eine Aus&#x017F;icht in die Landgegend oder in freye Oeffnungen des Waldes; der<lb/>
Blick ruhet u&#x0364;berall auf nahen Gebu&#x0364;&#x017F;chen, die ihn von allen Seiten ein&#x017F;chra&#x0364;nken. Die<lb/>
Bauart die&#x017F;es Hau&#x017F;es trifft mit &#x017F;einer Lage und Be&#x017F;timmung u&#x0364;berein; &#x017F;ie i&#x017F;t ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
einfa&#x0364;ltig und fa&#x017F;t roh, indem das ganze Werk blos aus Baumrinden und Tannzapfen<lb/>
zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t. Die In&#x017F;chrift an einer Tafel u&#x0364;ber dem Eingange:<lb/><quote><hi rendition="#et">O! Ein&#x017F;amkeit! du&#x0364;rft ich mich dir ergeben!<lb/>
Hier herr&#x017F;che&#x017F;t du im &#x017F;tillen Hayn.</hi></quote><lb/>
i&#x017F;t ein Ausbruch der Sehn&#x017F;ucht des geru&#x0364;hrten Sta&#x0364;dters, der hier das &#x017F;u&#x0364;ße Glu&#x0364;ck der<lb/>
Ein&#x017F;amkeit la&#x0364;nger zu genießen wu&#x0364;n&#x017F;cht, und &#x017F;ich ungern erinnert, daß ihn Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte<lb/>
in die Unruhen der Welt zuru&#x0364;ckrufen.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt ihn noch ein la&#x0364;ngerer Fortlauf des Waldes das &#x017F;anfte Gefu&#x0364;hl der<lb/>
Ein&#x017F;amkeit unterhalten. Die Spatzierga&#x0364;nge winden &#x017F;ich immer unter dem Schatten<lb/>
der Ellern fort, und man fa&#x0364;ngt allma&#x0364;lig an, das Bedu&#x0364;rfniß der Ruhe zu empfinden.<lb/>
Das Auge wird von dem Scheine einer weißen Bru&#x0364;cke gereizt, und bey der Anna&#x0364;he-<lb/>
rung erblickt es an ihr die&#x017F;e In&#x017F;chrift:<lb/><quote><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Gang des Mu&#x0364;den</hi>.</hi></quote><lb/>
Die Worte erquicken, indem &#x017F;ie die Erwartung erregen. An einem andern Orte be-<lb/>
findet &#x017F;ich eine andre Bru&#x0364;cke, die zum Ausgang dient, und mit die&#x017F;er In&#x017F;chrift be-<lb/>
zeichnet i&#x017F;t:<lb/><quote><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Gang des Erquickten</hi>.</hi></quote><lb/>
Die Bru&#x0364;cke fu&#x0364;hrt in ein ganz ein&#x017F;ames, tief ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Revier, das in dem a&#x0364;ußer-<lb/>
&#x017F;ten Winkel die&#x017F;es Parks liegt. Es i&#x017F;t von Wa&#x017F;&#x017F;er umgeben, und von dem Gedra&#x0364;n-<lb/>
ge der Gebu&#x0364;&#x017F;che &#x017F;o &#x017F;ehr ver&#x017F;perret, daß das Auge nirgends durch die Laubvorha&#x0364;nge eine<lb/>
Durch&#x017F;icht findet. Schatten, Ku&#x0364;hlung und Ruhe &#x017F;cheinen hier ihre Heimat zu ha-<lb/>
ben. Das &#x017F;tille Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t ganz von den dunkeln Ellern u&#x0364;ber&#x017F;chattet, und hilft das<lb/>
Gefu&#x0364;hl einer ruhigen Abgezogenheit und eine &#x017F;anfte Ver&#x017F;inkung der Seele in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
befo&#x0364;rdern. Alles i&#x017F;t Stille und ladet zur Stille ein. Indem man u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cke<lb/>
hin in den Gang des Mu&#x0364;den, der nur kurz i&#x017F;t, zu die&#x017F;em Revier eingekehrt i&#x017F;t, wird<lb/>
man bald den Tempel der Ruhe gewahr, der keine glu&#x0364;cklichere Lage haben kann. Er<lb/>
i&#x017F;t, an die&#x017F;em ohnehin mit Schatten angefu&#x0364;llten Orte, u&#x0364;berall von einer ku&#x0364;hlen Da&#x0364;m-<lb/>
merung herabhangender Zweige erfri&#x017F;cht. Seine Bauart i&#x017F;t nicht pra&#x0364;chtig, aber an-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E e 3</fw><fw place="bottom" type="catch">muthig;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0225] von Gaͤrten. Man erblickt, indem der Pfad ſich hinanwindet, unvermuthet ein Waldhaus, der Einſamkeit gewidmet. Es ſteht an einem voͤllig abgeſonderten und einſamen Orte; nirgends eine Ausſicht in die Landgegend oder in freye Oeffnungen des Waldes; der Blick ruhet uͤberall auf nahen Gebuͤſchen, die ihn von allen Seiten einſchraͤnken. Die Bauart dieſes Hauſes trifft mit ſeiner Lage und Beſtimmung uͤberein; ſie iſt hoͤchſt einfaͤltig und faſt roh, indem das ganze Werk blos aus Baumrinden und Tannzapfen zuſammengeſetzt iſt. Die Inſchrift an einer Tafel uͤber dem Eingange: O! Einſamkeit! duͤrft ich mich dir ergeben! Hier herrſcheſt du im ſtillen Hayn. iſt ein Ausbruch der Sehnſucht des geruͤhrten Staͤdters, der hier das ſuͤße Gluͤck der Einſamkeit laͤnger zu genießen wuͤnſcht, und ſich ungern erinnert, daß ihn Geſchaͤffte in die Unruhen der Welt zuruͤckrufen. Indeſſen laͤßt ihn noch ein laͤngerer Fortlauf des Waldes das ſanfte Gefuͤhl der Einſamkeit unterhalten. Die Spatziergaͤnge winden ſich immer unter dem Schatten der Ellern fort, und man faͤngt allmaͤlig an, das Beduͤrfniß der Ruhe zu empfinden. Das Auge wird von dem Scheine einer weißen Bruͤcke gereizt, und bey der Annaͤhe- rung erblickt es an ihr dieſe Inſchrift: Gang des Muͤden. Die Worte erquicken, indem ſie die Erwartung erregen. An einem andern Orte be- findet ſich eine andre Bruͤcke, die zum Ausgang dient, und mit dieſer Inſchrift be- zeichnet iſt: Gang des Erquickten. Die Bruͤcke fuͤhrt in ein ganz einſames, tief verſchloſſenes Revier, das in dem aͤußer- ſten Winkel dieſes Parks liegt. Es iſt von Waſſer umgeben, und von dem Gedraͤn- ge der Gebuͤſche ſo ſehr verſperret, daß das Auge nirgends durch die Laubvorhaͤnge eine Durchſicht findet. Schatten, Kuͤhlung und Ruhe ſcheinen hier ihre Heimat zu ha- ben. Das ſtille Waſſer iſt ganz von den dunkeln Ellern uͤberſchattet, und hilft das Gefuͤhl einer ruhigen Abgezogenheit und eine ſanfte Verſinkung der Seele in ſich ſelbſt befoͤrdern. Alles iſt Stille und ladet zur Stille ein. Indem man uͤber die Bruͤcke hin in den Gang des Muͤden, der nur kurz iſt, zu dieſem Revier eingekehrt iſt, wird man bald den Tempel der Ruhe gewahr, der keine gluͤcklichere Lage haben kann. Er iſt, an dieſem ohnehin mit Schatten angefuͤllten Orte, uͤberall von einer kuͤhlen Daͤm- merung herabhangender Zweige erfriſcht. Seine Bauart iſt nicht praͤchtig, aber an- muthig; E e 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/225
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/225>, abgerufen am 21.11.2024.