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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Charakter der Gegenden.
beitet. Denn es ist unläugbar, daß jede Gegend nach ihrer besondern Eigenthüm-
lichkeit auch eine besondre Art der Bepflanzung erfordert, und daß sich keine Regeln
geben lassen, die auf jeden Ort eine genaue und unveränderliche Anwendung haben
könnten. Uebrigens muß man die Kunst der Gruppirung der Natur selbst abzulernen
suchen. Geh in die Wälder und schau, wie diese große Künstlerinn pflanzt; schau,
wie sie trennt, wie sie vereinigt, wie sie hier zusammenzieht, dort auseinander wirft,
wie sie sparsam im Ueberfluß und mannigfaltig ohne Verschwendung ist, wie sie alles
Harte, alles Scharfe meidet, wie sie ihre Gruppen und Hayne wölbt, und das Ganze
in einen sanften Umriß hinfließen läßt.

Die Anpflanzung des Buschwerks verlangt eine besondre Aufmerksamkeit auf
die Plätze und auf die künftigen Wirkungen; nach zwanzig bis dreyßig Jahren haben
Sträucher fast immer ihre Schönheit überlebt, und ihre Stelle überwildert, da hin-
gegen in dieser Zeit ein Baum an seiner Vollkommenheit gewonnen hat.

Auch die schlingenden und rankenden Sträucher können in Lustgebüschen vortheil-
haft gebrauchet werden. Außer der Bekleidung, die sie alten Mauern und Gebäu-
den geben, dienen sie hier, die Wildniß zu verstärken, Oeffnungen zu verschließen,
kleine Lauben und natürliche Bogengänge in den Haynen zu bilden, von Baum zu
Baum sich hinüberzuschlingen und zwischen ihnen blühende Kränze herabhängen zu
lassen, und endlich schief gewachsene oder durchlöcherte Stämme zu umwinden und
ihre Fehler zu verbergen.

Alle diese Bemerkungen betreffen Anpflanzungen, die von der Hand des Gärt-
ners bewirkt werden. Allein in wie vielen Gegenden hat nicht schon die Natur vor-
gepflanzt! Wie bequem, wie vortheilhaft ist es nicht, ihre Pflanzungen nach dem
Genie der Anlage zu benutzen, sie zu reinigen, weiter auszubilden, zu bereichern!
Es ist eine sehr unbedachtsame Art des Verfahrens, so gewöhnlich sie auch ist, daß
man bey Gartenanlagen mit der Zerstörung der von der Natur gesetzten Bäume und
Gebüsche anfängt. Wie viele schöne Hayne und Gruppen, die ein gesunder Ge-
schmack mit Vergnügen in den Plan seiner Anordnung aufgenommen hätte, haben
nicht oft dieser Unbesonnenheit weichen müssen! Welche Kunst, welche Macht giebt
sogleich dem beraubten Platz seine ehrwürdigen Stämme, seine herrlichen Waldmassen
wieder, gegen welche die artigste Pflanzung von der Hand der Kunst nur Puppenspiel
ist? Welche Thorheit, auszurotten, was man sucht, zu verderben, was man schaffen
will, und darauf zu warten, was man gleich besitzen kann!

5. Die
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nach dem Charakter der Gegenden.
beitet. Denn es iſt unlaͤugbar, daß jede Gegend nach ihrer beſondern Eigenthuͤm-
lichkeit auch eine beſondre Art der Bepflanzung erfordert, und daß ſich keine Regeln
geben laſſen, die auf jeden Ort eine genaue und unveraͤnderliche Anwendung haben
koͤnnten. Uebrigens muß man die Kunſt der Gruppirung der Natur ſelbſt abzulernen
ſuchen. Geh in die Waͤlder und ſchau, wie dieſe große Kuͤnſtlerinn pflanzt; ſchau,
wie ſie trennt, wie ſie vereinigt, wie ſie hier zuſammenzieht, dort auseinander wirft,
wie ſie ſparſam im Ueberfluß und mannigfaltig ohne Verſchwendung iſt, wie ſie alles
Harte, alles Scharfe meidet, wie ſie ihre Gruppen und Hayne woͤlbt, und das Ganze
in einen ſanften Umriß hinfließen laͤßt.

Die Anpflanzung des Buſchwerks verlangt eine beſondre Aufmerkſamkeit auf
die Plaͤtze und auf die kuͤnftigen Wirkungen; nach zwanzig bis dreyßig Jahren haben
Straͤucher faſt immer ihre Schoͤnheit uͤberlebt, und ihre Stelle uͤberwildert, da hin-
gegen in dieſer Zeit ein Baum an ſeiner Vollkommenheit gewonnen hat.

Auch die ſchlingenden und rankenden Straͤucher koͤnnen in Luſtgebuͤſchen vortheil-
haft gebrauchet werden. Außer der Bekleidung, die ſie alten Mauern und Gebaͤu-
den geben, dienen ſie hier, die Wildniß zu verſtaͤrken, Oeffnungen zu verſchließen,
kleine Lauben und natuͤrliche Bogengaͤnge in den Haynen zu bilden, von Baum zu
Baum ſich hinuͤberzuſchlingen und zwiſchen ihnen bluͤhende Kraͤnze herabhaͤngen zu
laſſen, und endlich ſchief gewachſene oder durchloͤcherte Staͤmme zu umwinden und
ihre Fehler zu verbergen.

Alle dieſe Bemerkungen betreffen Anpflanzungen, die von der Hand des Gaͤrt-
ners bewirkt werden. Allein in wie vielen Gegenden hat nicht ſchon die Natur vor-
gepflanzt! Wie bequem, wie vortheilhaft iſt es nicht, ihre Pflanzungen nach dem
Genie der Anlage zu benutzen, ſie zu reinigen, weiter auszubilden, zu bereichern!
Es iſt eine ſehr unbedachtſame Art des Verfahrens, ſo gewoͤhnlich ſie auch iſt, daß
man bey Gartenanlagen mit der Zerſtoͤrung der von der Natur geſetzten Baͤume und
Gebuͤſche anfaͤngt. Wie viele ſchoͤne Hayne und Gruppen, die ein geſunder Ge-
ſchmack mit Vergnuͤgen in den Plan ſeiner Anordnung aufgenommen haͤtte, haben
nicht oft dieſer Unbeſonnenheit weichen muͤſſen! Welche Kunſt, welche Macht giebt
ſogleich dem beraubten Platz ſeine ehrwuͤrdigen Staͤmme, ſeine herrlichen Waldmaſſen
wieder, gegen welche die artigſte Pflanzung von der Hand der Kunſt nur Puppenſpiel
iſt? Welche Thorheit, auszurotten, was man ſucht, zu verderben, was man ſchaffen
will, und darauf zu warten, was man gleich beſitzen kann!

5. Die
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[59/0063] nach dem Charakter der Gegenden. beitet. Denn es iſt unlaͤugbar, daß jede Gegend nach ihrer beſondern Eigenthuͤm- lichkeit auch eine beſondre Art der Bepflanzung erfordert, und daß ſich keine Regeln geben laſſen, die auf jeden Ort eine genaue und unveraͤnderliche Anwendung haben koͤnnten. Uebrigens muß man die Kunſt der Gruppirung der Natur ſelbſt abzulernen ſuchen. Geh in die Waͤlder und ſchau, wie dieſe große Kuͤnſtlerinn pflanzt; ſchau, wie ſie trennt, wie ſie vereinigt, wie ſie hier zuſammenzieht, dort auseinander wirft, wie ſie ſparſam im Ueberfluß und mannigfaltig ohne Verſchwendung iſt, wie ſie alles Harte, alles Scharfe meidet, wie ſie ihre Gruppen und Hayne woͤlbt, und das Ganze in einen ſanften Umriß hinfließen laͤßt. Die Anpflanzung des Buſchwerks verlangt eine beſondre Aufmerkſamkeit auf die Plaͤtze und auf die kuͤnftigen Wirkungen; nach zwanzig bis dreyßig Jahren haben Straͤucher faſt immer ihre Schoͤnheit uͤberlebt, und ihre Stelle uͤberwildert, da hin- gegen in dieſer Zeit ein Baum an ſeiner Vollkommenheit gewonnen hat. Auch die ſchlingenden und rankenden Straͤucher koͤnnen in Luſtgebuͤſchen vortheil- haft gebrauchet werden. Außer der Bekleidung, die ſie alten Mauern und Gebaͤu- den geben, dienen ſie hier, die Wildniß zu verſtaͤrken, Oeffnungen zu verſchließen, kleine Lauben und natuͤrliche Bogengaͤnge in den Haynen zu bilden, von Baum zu Baum ſich hinuͤberzuſchlingen und zwiſchen ihnen bluͤhende Kraͤnze herabhaͤngen zu laſſen, und endlich ſchief gewachſene oder durchloͤcherte Staͤmme zu umwinden und ihre Fehler zu verbergen. Alle dieſe Bemerkungen betreffen Anpflanzungen, die von der Hand des Gaͤrt- ners bewirkt werden. Allein in wie vielen Gegenden hat nicht ſchon die Natur vor- gepflanzt! Wie bequem, wie vortheilhaft iſt es nicht, ihre Pflanzungen nach dem Genie der Anlage zu benutzen, ſie zu reinigen, weiter auszubilden, zu bereichern! Es iſt eine ſehr unbedachtſame Art des Verfahrens, ſo gewoͤhnlich ſie auch iſt, daß man bey Gartenanlagen mit der Zerſtoͤrung der von der Natur geſetzten Baͤume und Gebuͤſche anfaͤngt. Wie viele ſchoͤne Hayne und Gruppen, die ein geſunder Ge- ſchmack mit Vergnuͤgen in den Plan ſeiner Anordnung aufgenommen haͤtte, haben nicht oft dieſer Unbeſonnenheit weichen muͤſſen! Welche Kunſt, welche Macht giebt ſogleich dem beraubten Platz ſeine ehrwuͤrdigen Staͤmme, ſeine herrlichen Waldmaſſen wieder, gegen welche die artigſte Pflanzung von der Hand der Kunſt nur Puppenſpiel iſt? Welche Thorheit, auszurotten, was man ſucht, zu verderben, was man ſchaffen will, und darauf zu warten, was man gleich beſitzen kann! 5. Die H 2

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/63>, abgerufen am 21.11.2024.