Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.nach dem Charakter der Gegenden. Der Charakter des Sanftmelancholischen verliert seine milde Wirkung durch In welchem reizenden Contrast süßer Melancholie erscheint dagegen nicht die Hoffnung
nach dem Charakter der Gegenden. Der Charakter des Sanftmelancholiſchen verliert ſeine milde Wirkung durch In welchem reizenden Contraſt ſuͤßer Melancholie erſcheint dagegen nicht die Hoffnung
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0091" n="87"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">nach dem Charakter der Gegenden.</hi> </fw><lb/> <p>Der Charakter des Sanftmelancholiſchen verliert ſeine milde Wirkung durch<lb/> jede Uebertreibung, wodurch er in das Schaudervolle oder Schreckhafte uͤbergeht; und<lb/> Eindruͤcke von dieſer Art laſſen ſich mit der Beſtimmung eines Gartens nicht verei-<lb/> nigen. Vielleicht finden einige Gartenfreunde von ſanftem Gefuͤhl eine Anlage zu<lb/><hi rendition="#fr">Denbigh</hi> in <hi rendition="#fr">Surry</hi> in <hi rendition="#fr">England</hi> aus dieſer Betrachtung verwerflich; wenigſtens<lb/> ſind einige Theile zu ſchauderhaft. In der Mitte eines mit Gaͤngen durchgehauenen<lb/> Gehoͤlzes ſteht der Tempel des Todes, an deſſen innern Waͤnden manche Denkſpruͤche<lb/> aus <hi rendition="#fr">Young</hi> und andern Dichtern den Leſer zu ernſthaften Betrachtungen rufen. Jede<lb/> Minute ſchlaͤgt eine verborgene Glocke an, und ſcheint das Grabgelaͤute der abgeſtor-<lb/> benen Zeit zu ſeyn. Nicht weit von dieſem Tempel kommt man durch eine eiſerne<lb/> Thuͤre in das Thal des Todes. Anſtatt der Thuͤrſaͤulen ſind zwey ſteinerne Saͤrge<lb/> errichtet. Auf dem einen ſteht das Gerippe eines beruͤchtigten Straßenraͤubers, und<lb/> auf dem andern das von einer bekannten Buhlerinn. Jener redet das maͤnnliche,<lb/> dieſe das weibliche Geſchlecht mit moraliſchen Verſen an, die man unter den Gerippen<lb/> lieſet. Der Eingang in das einſame und finſtre Thal erregt Schauder. Man naͤ-<lb/> hert ſich mit dieſer Bewegung einem offenen Gebaͤude, worinn zwey Gemaͤlde von<lb/><hi rendition="#fr">Haymann</hi> mit Figuren in Lebensgroͤße erſcheinen. Das eine ſtellt den ruhig ſterben-<lb/> den Chriſten, und das andre die letzte Verzweiflung eines Freygeiſtes vor; jener hat<lb/> außer der Bibel die Werke von <hi rendition="#fr">Tillotſon</hi> und andern ehrwuͤrdigen Gottesgelehrten,<lb/> jener die Schriften des <hi rendition="#fr">Taland, Tindal, Collins</hi> neben ſich liegen. Eine Statuͤe<lb/> der Wahrheit, die eine Maske mit Fuͤßen tritt, iſt an dieſem Ort ein ſehr gluͤcklich<lb/> gewaͤhltes Bild, das den Zuſchauer aufzufordern ſcheint, den Gemaͤlden ſeine Auf-<lb/> merkſamkeit zu goͤnnen.</p><lb/> <p>In welchem reizenden Contraſt ſuͤßer Melancholie erſcheint dagegen nicht die<lb/> einſiedleriſche Wohnung des <hi rendition="#fr">Petrarca</hi> in dem einſamen Thale bey der Quelle von<lb/><hi rendition="#fr">Vaucluͤfe</hi>, die durch ſeine Lieder ſo beruͤhmt iſt! Nahe bey dieſer Quelle, aus welcher<lb/> die <hi rendition="#fr">Sorgue</hi> entſpringt, und nach einem hellen Lauf durch die ſchoͤnſten Gegenden des<lb/> Erdbodens bey <hi rendition="#fr">Avignon</hi> in den <hi rendition="#fr">Rohn</hi> faͤllt, draͤngen ſich hohe Berge auf beyden<lb/> Seiten ſo enge zuſammen, daß man endlich ganz von ihnen eingeſchloſſen und von der<lb/> uͤbrigen Welt abgeſondert wird. Man ſieht nichts, als rings um ſich her das Ge-<lb/> birge und den Himmel uͤber ſich, hoͤrt nichts, als das ſanfte Gemurmel der Quelle,<lb/> die aus einer Hoͤhle des Felſen durch verſchiedene Faͤlle herabrinnt. Hier hatte<lb/><hi rendition="#fr">Petrarca</hi> ſeine Wohnung an der abhaͤngenden Seite des Gebirges; hier entſchloß er<lb/> ſich, den Reſt ſeiner Tage in der Nachbarſchaft ſeiner geliebten <hi rendition="#fr">Laura</hi>, im Schooß<lb/> der Ruhe und der Wiſſenſchaften, zu verleben. Allein, o! Taͤuſchung der ſuͤßeſten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Hoffnung</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0091]
nach dem Charakter der Gegenden.
Der Charakter des Sanftmelancholiſchen verliert ſeine milde Wirkung durch
jede Uebertreibung, wodurch er in das Schaudervolle oder Schreckhafte uͤbergeht; und
Eindruͤcke von dieſer Art laſſen ſich mit der Beſtimmung eines Gartens nicht verei-
nigen. Vielleicht finden einige Gartenfreunde von ſanftem Gefuͤhl eine Anlage zu
Denbigh in Surry in England aus dieſer Betrachtung verwerflich; wenigſtens
ſind einige Theile zu ſchauderhaft. In der Mitte eines mit Gaͤngen durchgehauenen
Gehoͤlzes ſteht der Tempel des Todes, an deſſen innern Waͤnden manche Denkſpruͤche
aus Young und andern Dichtern den Leſer zu ernſthaften Betrachtungen rufen. Jede
Minute ſchlaͤgt eine verborgene Glocke an, und ſcheint das Grabgelaͤute der abgeſtor-
benen Zeit zu ſeyn. Nicht weit von dieſem Tempel kommt man durch eine eiſerne
Thuͤre in das Thal des Todes. Anſtatt der Thuͤrſaͤulen ſind zwey ſteinerne Saͤrge
errichtet. Auf dem einen ſteht das Gerippe eines beruͤchtigten Straßenraͤubers, und
auf dem andern das von einer bekannten Buhlerinn. Jener redet das maͤnnliche,
dieſe das weibliche Geſchlecht mit moraliſchen Verſen an, die man unter den Gerippen
lieſet. Der Eingang in das einſame und finſtre Thal erregt Schauder. Man naͤ-
hert ſich mit dieſer Bewegung einem offenen Gebaͤude, worinn zwey Gemaͤlde von
Haymann mit Figuren in Lebensgroͤße erſcheinen. Das eine ſtellt den ruhig ſterben-
den Chriſten, und das andre die letzte Verzweiflung eines Freygeiſtes vor; jener hat
außer der Bibel die Werke von Tillotſon und andern ehrwuͤrdigen Gottesgelehrten,
jener die Schriften des Taland, Tindal, Collins neben ſich liegen. Eine Statuͤe
der Wahrheit, die eine Maske mit Fuͤßen tritt, iſt an dieſem Ort ein ſehr gluͤcklich
gewaͤhltes Bild, das den Zuſchauer aufzufordern ſcheint, den Gemaͤlden ſeine Auf-
merkſamkeit zu goͤnnen.
In welchem reizenden Contraſt ſuͤßer Melancholie erſcheint dagegen nicht die
einſiedleriſche Wohnung des Petrarca in dem einſamen Thale bey der Quelle von
Vaucluͤfe, die durch ſeine Lieder ſo beruͤhmt iſt! Nahe bey dieſer Quelle, aus welcher
die Sorgue entſpringt, und nach einem hellen Lauf durch die ſchoͤnſten Gegenden des
Erdbodens bey Avignon in den Rohn faͤllt, draͤngen ſich hohe Berge auf beyden
Seiten ſo enge zuſammen, daß man endlich ganz von ihnen eingeſchloſſen und von der
uͤbrigen Welt abgeſondert wird. Man ſieht nichts, als rings um ſich her das Ge-
birge und den Himmel uͤber ſich, hoͤrt nichts, als das ſanfte Gemurmel der Quelle,
die aus einer Hoͤhle des Felſen durch verſchiedene Faͤlle herabrinnt. Hier hatte
Petrarca ſeine Wohnung an der abhaͤngenden Seite des Gebirges; hier entſchloß er
ſich, den Reſt ſeiner Tage in der Nachbarſchaft ſeiner geliebten Laura, im Schooß
der Ruhe und der Wiſſenſchaften, zu verleben. Allein, o! Taͤuſchung der ſuͤßeſten
Hoffnung
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