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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Siebenter Abschnitt. Gärten, deren Charakter
in stille einsame Scenen, voll ländlicher ungekünstelter Einfalt. Jene kleine blu-
migte Wiese, vom dämmernden Gesträuch umgränzt, vom murmelnden Bach durch-
schlängelt, ist ein recht warmes gefühlvolles Gemälde. Hinter meinem Rücken thürmt
sich ein drohender Fels, dessen Fußgestell mir einen erquickenden Sitz vergönnt, und
über ihn her verbreitet ein Wald von hundertjährigen Eichen den entscheidenden Schat-
ten auf die liebliche Landschaft. Welche Stille scheint dort oben zu herrschen! Kein
Geräusch, außer dem harmonischen Schall von liebefrohen unbekümmerten Geschö-
pfen. Ich muß hinauf. Die süße Erwartung ebnet mir die rauhe beschwerliche
Höhe. O! wie wohl ist mir, ins Thal hinunter und in die duftenden Gewölbe des
Waldes, zugleich mein gegenwärtiges und mein vergangenes Vergnügen mit wahrer
Entzückung fühlen zu können! O! du sanfte, heilige Stille anmuthiger vom Geräusch
und der Thorheit der Welt entlegener Wälder! du kannst wahre ungezwungene Be-
geisterung in die Seele gießen; zauberisch setzest du mich jetzt in den Kreis aller mei-
ner Freunde und Liebsten auf der Welt; ich glaube sie alle um mich her in eben dem
weichen Schooße des Vergnügens liegen zu sehen. Denn nichts zerreißt jetzt die
Kette der Gedanken, die meine Seele sehnsuchtsvoll nach ihnen ausspannt. Meine
Einbildungskraft macht mich durch ihre beseligenden Gaukeleyen zu dem glücklichsten
der Menschen."

"In diesem bezaubernden Winkel brachte ich mit meinen Freunden drey Mo-
nate zu, ohne Ekel oder Ueberdruß über die Einförmigkeit unserer stillen Freuden be-
merkt zu haben. Man fühlt hier, daß man Vergnügen hat, ohne daß der Ver-
stand sich abmattet, auszufinden, worinn das Vergnügen besteht. Diese süße Wir-
kung machen die ungekünstelten Vergnügungen auf uns. Die Seele fühlt in dieser
weichen Lage ein unbeschreibliches Wohlbehagen, und ist bey dem angebornen Hang
zur Veränderung, aus Furcht, ihr gemächliches Glück zu verlieren, doch der stillen
einsamen Gegend immer getreu."

"Es giebt offene große Gegenden mit allem, was die Natur gewöhnlich zu ih-
rer Pracht braucht, bis zum Ueberfluß ausgeschmückt, wo die Sonne mit ihrer gan-
zen Majestät bis in die verborgensten Winkel dringt, und ein festliches Ansehen, ei-
nen gewissen Firniß über das Allgemeine verbreitet. Diese Gegenstände sind schön,
bis zum Entzücken schön, in den ersten Augenblicken oder Tagen. Aber bald kömmt
dem immer nach neuem Genuß begierigen Herzen die Lüsternheit an, etwas Neues
zu suchen und zu wünschen. Und alsdann ist ein schmaler Fußpfad unter schattigten
Bäumen, am kleinen rieselnden Bach; ein rauher herabhängender Fels, um wel-
chen schwermüthige Stille eine Sehnsucht nach Ruhe in dem Herzen erreget, das
von dem zu vielem Genuß betäubt ist; kurz, die geringste einfältigste Gegend, so wie

sie

Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter
in ſtille einſame Scenen, voll laͤndlicher ungekuͤnſtelter Einfalt. Jene kleine blu-
migte Wieſe, vom daͤmmernden Geſtraͤuch umgraͤnzt, vom murmelnden Bach durch-
ſchlaͤngelt, iſt ein recht warmes gefuͤhlvolles Gemaͤlde. Hinter meinem Ruͤcken thuͤrmt
ſich ein drohender Fels, deſſen Fußgeſtell mir einen erquickenden Sitz vergoͤnnt, und
uͤber ihn her verbreitet ein Wald von hundertjaͤhrigen Eichen den entſcheidenden Schat-
ten auf die liebliche Landſchaft. Welche Stille ſcheint dort oben zu herrſchen! Kein
Geraͤuſch, außer dem harmoniſchen Schall von liebefrohen unbekuͤmmerten Geſchoͤ-
pfen. Ich muß hinauf. Die ſuͤße Erwartung ebnet mir die rauhe beſchwerliche
Hoͤhe. O! wie wohl iſt mir, ins Thal hinunter und in die duftenden Gewoͤlbe des
Waldes, zugleich mein gegenwaͤrtiges und mein vergangenes Vergnuͤgen mit wahrer
Entzuͤckung fuͤhlen zu koͤnnen! O! du ſanfte, heilige Stille anmuthiger vom Geraͤuſch
und der Thorheit der Welt entlegener Waͤlder! du kannſt wahre ungezwungene Be-
geiſterung in die Seele gießen; zauberiſch ſetzeſt du mich jetzt in den Kreis aller mei-
ner Freunde und Liebſten auf der Welt; ich glaube ſie alle um mich her in eben dem
weichen Schooße des Vergnuͤgens liegen zu ſehen. Denn nichts zerreißt jetzt die
Kette der Gedanken, die meine Seele ſehnſuchtsvoll nach ihnen ausſpannt. Meine
Einbildungskraft macht mich durch ihre beſeligenden Gaukeleyen zu dem gluͤcklichſten
der Menſchen.“

„In dieſem bezaubernden Winkel brachte ich mit meinen Freunden drey Mo-
nate zu, ohne Ekel oder Ueberdruß uͤber die Einfoͤrmigkeit unſerer ſtillen Freuden be-
merkt zu haben. Man fuͤhlt hier, daß man Vergnuͤgen hat, ohne daß der Ver-
ſtand ſich abmattet, auszufinden, worinn das Vergnuͤgen beſteht. Dieſe ſuͤße Wir-
kung machen die ungekuͤnſtelten Vergnuͤgungen auf uns. Die Seele fuͤhlt in dieſer
weichen Lage ein unbeſchreibliches Wohlbehagen, und iſt bey dem angebornen Hang
zur Veraͤnderung, aus Furcht, ihr gemaͤchliches Gluͤck zu verlieren, doch der ſtillen
einſamen Gegend immer getreu.“

„Es giebt offene große Gegenden mit allem, was die Natur gewoͤhnlich zu ih-
rer Pracht braucht, bis zum Ueberfluß ausgeſchmuͤckt, wo die Sonne mit ihrer gan-
zen Majeſtaͤt bis in die verborgenſten Winkel dringt, und ein feſtliches Anſehen, ei-
nen gewiſſen Firniß uͤber das Allgemeine verbreitet. Dieſe Gegenſtaͤnde ſind ſchoͤn,
bis zum Entzuͤcken ſchoͤn, in den erſten Augenblicken oder Tagen. Aber bald koͤmmt
dem immer nach neuem Genuß begierigen Herzen die Luͤſternheit an, etwas Neues
zu ſuchen und zu wuͤnſchen. Und alsdann iſt ein ſchmaler Fußpfad unter ſchattigten
Baͤumen, am kleinen rieſelnden Bach; ein rauher herabhaͤngender Fels, um wel-
chen ſchwermuͤthige Stille eine Sehnſucht nach Ruhe in dem Herzen erreget, das
von dem zu vielem Genuß betaͤubt iſt; kurz, die geringſte einfaͤltigſte Gegend, ſo wie

ſie
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[110/0118] Siebenter Abſchnitt. Gaͤrten, deren Charakter in ſtille einſame Scenen, voll laͤndlicher ungekuͤnſtelter Einfalt. Jene kleine blu- migte Wieſe, vom daͤmmernden Geſtraͤuch umgraͤnzt, vom murmelnden Bach durch- ſchlaͤngelt, iſt ein recht warmes gefuͤhlvolles Gemaͤlde. Hinter meinem Ruͤcken thuͤrmt ſich ein drohender Fels, deſſen Fußgeſtell mir einen erquickenden Sitz vergoͤnnt, und uͤber ihn her verbreitet ein Wald von hundertjaͤhrigen Eichen den entſcheidenden Schat- ten auf die liebliche Landſchaft. Welche Stille ſcheint dort oben zu herrſchen! Kein Geraͤuſch, außer dem harmoniſchen Schall von liebefrohen unbekuͤmmerten Geſchoͤ- pfen. Ich muß hinauf. Die ſuͤße Erwartung ebnet mir die rauhe beſchwerliche Hoͤhe. O! wie wohl iſt mir, ins Thal hinunter und in die duftenden Gewoͤlbe des Waldes, zugleich mein gegenwaͤrtiges und mein vergangenes Vergnuͤgen mit wahrer Entzuͤckung fuͤhlen zu koͤnnen! O! du ſanfte, heilige Stille anmuthiger vom Geraͤuſch und der Thorheit der Welt entlegener Waͤlder! du kannſt wahre ungezwungene Be- geiſterung in die Seele gießen; zauberiſch ſetzeſt du mich jetzt in den Kreis aller mei- ner Freunde und Liebſten auf der Welt; ich glaube ſie alle um mich her in eben dem weichen Schooße des Vergnuͤgens liegen zu ſehen. Denn nichts zerreißt jetzt die Kette der Gedanken, die meine Seele ſehnſuchtsvoll nach ihnen ausſpannt. Meine Einbildungskraft macht mich durch ihre beſeligenden Gaukeleyen zu dem gluͤcklichſten der Menſchen.“ „In dieſem bezaubernden Winkel brachte ich mit meinen Freunden drey Mo- nate zu, ohne Ekel oder Ueberdruß uͤber die Einfoͤrmigkeit unſerer ſtillen Freuden be- merkt zu haben. Man fuͤhlt hier, daß man Vergnuͤgen hat, ohne daß der Ver- ſtand ſich abmattet, auszufinden, worinn das Vergnuͤgen beſteht. Dieſe ſuͤße Wir- kung machen die ungekuͤnſtelten Vergnuͤgungen auf uns. Die Seele fuͤhlt in dieſer weichen Lage ein unbeſchreibliches Wohlbehagen, und iſt bey dem angebornen Hang zur Veraͤnderung, aus Furcht, ihr gemaͤchliches Gluͤck zu verlieren, doch der ſtillen einſamen Gegend immer getreu.“ „Es giebt offene große Gegenden mit allem, was die Natur gewoͤhnlich zu ih- rer Pracht braucht, bis zum Ueberfluß ausgeſchmuͤckt, wo die Sonne mit ihrer gan- zen Majeſtaͤt bis in die verborgenſten Winkel dringt, und ein feſtliches Anſehen, ei- nen gewiſſen Firniß uͤber das Allgemeine verbreitet. Dieſe Gegenſtaͤnde ſind ſchoͤn, bis zum Entzuͤcken ſchoͤn, in den erſten Augenblicken oder Tagen. Aber bald koͤmmt dem immer nach neuem Genuß begierigen Herzen die Luͤſternheit an, etwas Neues zu ſuchen und zu wuͤnſchen. Und alsdann iſt ein ſchmaler Fußpfad unter ſchattigten Baͤumen, am kleinen rieſelnden Bach; ein rauher herabhaͤngender Fels, um wel- chen ſchwermuͤthige Stille eine Sehnſucht nach Ruhe in dem Herzen erreget, das von dem zu vielem Genuß betaͤubt iſt; kurz, die geringſte einfaͤltigſte Gegend, ſo wie ſie

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/118>, abgerufen am 24.11.2024.