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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Erster Anhang.
nung; er genießt blühende Gesundheit, arbeitet ohne Ehrbegierde; seine
Zeit fließt hin in ruhigem Nachdenken und unbefleckter Unschuld."

"Ihr schönen, schauervollen Scenen, besänftigt das unruhige Herz, gebt
dem Müden sanfte Ruhe, macht die wildesten Leidenschaften stille, und
flistert dem Unglücklichen Trost zu."

Einige Inschriften weisen den Gartenpflanzer auf die Grundregeln des guten
Geschmacks hin:

"Laßt die magische Kunst des Geheimnisses eure labyrinthischen Gänge ver-
stecken, laßt das Gesicht einen Theil davon entdecken, und das Uebrige
mag sich die Einbildungskraft ausmalen."

"Schutzgeist der Gärten! Schönstes Kind der Natur! Verbanne die regel-
mäßige Unförmigkeit der Risse, die mit Linial und Zirkel gemacht werden.
Die freyen Anlagen der Natur verachten diese Regelmäßigkeit. Gieb den
Gartenspaziergängen ihre gefallende Wildheit wieder; laß sie dem denken-
den Menschen in Stunden, die er der stillen Betrachtung weiht, eine ru-
hige Zuflucht seyn!"

Nach diesen Grundsätzen, die hier empfohlen werden, sind die Anlagen zu Marien-
werder
ausgeführt. Sie kündigen nicht bloß den glücklichen Pflanzer, sondern
auch den Mann von Kenntniß, von Beobachtung und von Gefühl an. Man sieht
hier den großen Reichthum und die Schönheiten unsrer einheimischen Bäume, wenn
ein Kenner sie wählt und ordnet; denn alle diese Pflanzungen enthalten nur an eini-
gen wenigen Stellen einen ausländischen Baum, und wie reich sind sie dennoch an
schonen Malereyen! Die Anordnung läßt die Verschließung und die Eröffnung der
Auftritte mit einer immer geschäfftigen Abwechselung erscheinen; alles zeigt sich, so
unbeweglich es ist, in einer scheinbaren Bewegung, um das Auge an sich zu zau-
bern; auch wo es getäuscht wird, verweilt es noch mit Vergnügen an dem Ort der
Täuschung. Allein nicht überall wird es auf einen anlockenden und die Erwartung
aufspannenden Gegenstand gerichtet; oft ruhet es, zumal nach einem etwas längern
Fortgang zwischen lebhaften Auftritten, in der sanften Dämmerung der Gebüsche
oder in der tiefen Dunkelheit ferner Einbuchten der Pflanzungen. Die Höhen, die
Abhänge, die Niedrigungen, die hellern in ihren Umrissen so verschiedenen Rasen,
die überall den Boden bekleiden, und worinn sich die kiesigten Wege fortwinden, die
schattigten Gruppen, wovon jede ein besoderes, aber in manchen Ansichten neues
Gemälde darstellt, die abändernden Formen, Richtigungen und Malereyen dieser

Gruppen,
Erſter Anhang.
nung; er genießt bluͤhende Geſundheit, arbeitet ohne Ehrbegierde; ſeine
Zeit fließt hin in ruhigem Nachdenken und unbefleckter Unſchuld.“

„Ihr ſchoͤnen, ſchauervollen Scenen, beſaͤnftigt das unruhige Herz, gebt
dem Muͤden ſanfte Ruhe, macht die wildeſten Leidenſchaften ſtille, und
fliſtert dem Ungluͤcklichen Troſt zu.“

Einige Inſchriften weiſen den Gartenpflanzer auf die Grundregeln des guten
Geſchmacks hin:

„Laßt die magiſche Kunſt des Geheimniſſes eure labyrinthiſchen Gaͤnge ver-
ſtecken, laßt das Geſicht einen Theil davon entdecken, und das Uebrige
mag ſich die Einbildungskraft ausmalen.“

„Schutzgeiſt der Gaͤrten! Schoͤnſtes Kind der Natur! Verbanne die regel-
maͤßige Unfoͤrmigkeit der Riſſe, die mit Linial und Zirkel gemacht werden.
Die freyen Anlagen der Natur verachten dieſe Regelmaͤßigkeit. Gieb den
Gartenſpaziergaͤngen ihre gefallende Wildheit wieder; laß ſie dem denken-
den Menſchen in Stunden, die er der ſtillen Betrachtung weiht, eine ru-
hige Zuflucht ſeyn!“

Nach dieſen Grundſaͤtzen, die hier empfohlen werden, ſind die Anlagen zu Marien-
werder
ausgefuͤhrt. Sie kuͤndigen nicht bloß den gluͤcklichen Pflanzer, ſondern
auch den Mann von Kenntniß, von Beobachtung und von Gefuͤhl an. Man ſieht
hier den großen Reichthum und die Schoͤnheiten unſrer einheimiſchen Baͤume, wenn
ein Kenner ſie waͤhlt und ordnet; denn alle dieſe Pflanzungen enthalten nur an eini-
gen wenigen Stellen einen auslaͤndiſchen Baum, und wie reich ſind ſie dennoch an
ſchonen Malereyen! Die Anordnung laͤßt die Verſchließung und die Eroͤffnung der
Auftritte mit einer immer geſchaͤfftigen Abwechſelung erſcheinen; alles zeigt ſich, ſo
unbeweglich es iſt, in einer ſcheinbaren Bewegung, um das Auge an ſich zu zau-
bern; auch wo es getaͤuſcht wird, verweilt es noch mit Vergnuͤgen an dem Ort der
Taͤuſchung. Allein nicht uͤberall wird es auf einen anlockenden und die Erwartung
aufſpannenden Gegenſtand gerichtet; oft ruhet es, zumal nach einem etwas laͤngern
Fortgang zwiſchen lebhaften Auftritten, in der ſanften Daͤmmerung der Gebuͤſche
oder in der tiefen Dunkelheit ferner Einbuchten der Pflanzungen. Die Hoͤhen, die
Abhaͤnge, die Niedrigungen, die hellern in ihren Umriſſen ſo verſchiedenen Raſen,
die uͤberall den Boden bekleiden, und worinn ſich die kieſigten Wege fortwinden, die
ſchattigten Gruppen, wovon jede ein beſoderes, aber in manchen Anſichten neues
Gemaͤlde darſtellt, die abaͤndernden Formen, Richtigungen und Malereyen dieſer

Gruppen,
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[230/0238] Erſter Anhang. nung; er genießt bluͤhende Geſundheit, arbeitet ohne Ehrbegierde; ſeine Zeit fließt hin in ruhigem Nachdenken und unbefleckter Unſchuld.“ „Ihr ſchoͤnen, ſchauervollen Scenen, beſaͤnftigt das unruhige Herz, gebt dem Muͤden ſanfte Ruhe, macht die wildeſten Leidenſchaften ſtille, und fliſtert dem Ungluͤcklichen Troſt zu.“ Einige Inſchriften weiſen den Gartenpflanzer auf die Grundregeln des guten Geſchmacks hin: „Laßt die magiſche Kunſt des Geheimniſſes eure labyrinthiſchen Gaͤnge ver- ſtecken, laßt das Geſicht einen Theil davon entdecken, und das Uebrige mag ſich die Einbildungskraft ausmalen.“ „Schutzgeiſt der Gaͤrten! Schoͤnſtes Kind der Natur! Verbanne die regel- maͤßige Unfoͤrmigkeit der Riſſe, die mit Linial und Zirkel gemacht werden. Die freyen Anlagen der Natur verachten dieſe Regelmaͤßigkeit. Gieb den Gartenſpaziergaͤngen ihre gefallende Wildheit wieder; laß ſie dem denken- den Menſchen in Stunden, die er der ſtillen Betrachtung weiht, eine ru- hige Zuflucht ſeyn!“ Nach dieſen Grundſaͤtzen, die hier empfohlen werden, ſind die Anlagen zu Marien- werder ausgefuͤhrt. Sie kuͤndigen nicht bloß den gluͤcklichen Pflanzer, ſondern auch den Mann von Kenntniß, von Beobachtung und von Gefuͤhl an. Man ſieht hier den großen Reichthum und die Schoͤnheiten unſrer einheimiſchen Baͤume, wenn ein Kenner ſie waͤhlt und ordnet; denn alle dieſe Pflanzungen enthalten nur an eini- gen wenigen Stellen einen auslaͤndiſchen Baum, und wie reich ſind ſie dennoch an ſchonen Malereyen! Die Anordnung laͤßt die Verſchließung und die Eroͤffnung der Auftritte mit einer immer geſchaͤfftigen Abwechſelung erſcheinen; alles zeigt ſich, ſo unbeweglich es iſt, in einer ſcheinbaren Bewegung, um das Auge an ſich zu zau- bern; auch wo es getaͤuſcht wird, verweilt es noch mit Vergnuͤgen an dem Ort der Taͤuſchung. Allein nicht uͤberall wird es auf einen anlockenden und die Erwartung aufſpannenden Gegenſtand gerichtet; oft ruhet es, zumal nach einem etwas laͤngern Fortgang zwiſchen lebhaften Auftritten, in der ſanften Daͤmmerung der Gebuͤſche oder in der tiefen Dunkelheit ferner Einbuchten der Pflanzungen. Die Hoͤhen, die Abhaͤnge, die Niedrigungen, die hellern in ihren Umriſſen ſo verſchiedenen Raſen, die uͤberall den Boden bekleiden, und worinn ſich die kieſigten Wege fortwinden, die ſchattigten Gruppen, wovon jede ein beſoderes, aber in manchen Anſichten neues Gemaͤlde darſtellt, die abaͤndernden Formen, Richtigungen und Malereyen dieſer Gruppen,

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/238>, abgerufen am 21.11.2024.